Gegen Morgen brach die Sonne durch die Wolken. Jason lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baum und rieb sich die entzündeten Augen. Nach allen Richtungen hin war der Boden mit Schnee bedeckt, aber um den Baum herum bezeichnete ein dunkler Kreis die Stellen, an denen Jasons Füße den Schnee niedergetreten hatten. Jason rutschte zu Boden und ließ sich von der Sonne wärmen.
Er war vor Erschöpfung benommen, und seine Lippen waren aufgesprungen. Ein Hustenanfall nach dem anderen schüttelte seinen geschwächten Körper. Obwohl die Sonne eben erst aufgegangen war, brannte sie heiß auf ihn nieder. Seine Haut fühlte sich heiß und trocken an.
Irgend etwas stimmte nicht. Dieser Gedanke drängte sich ihm immer wieder auf, bis er sich schließlich damit befaßte. Er drehte und wendete ihn nach allen Seiten. Was war nicht in Ordnung? Seine körperliche Verfassung.
Lungenentzündung. Die Symptome waren alle da.
Seine ausgetrockneten Lippen sprangen auf, als er grimmig lächelte, so daß ihm Blut über das Kinn lief. Nachdem er die gefährlichsten Raubtiere auf Pyrrus zu besiegen gelernt hatte, war er schließlich den kleinsten unter ihnen zum Opfer gefallen. Aber so schnell gab er nicht auf. Er rollte den linken Ärmel nach oben und drückte den Medikasten gegen den bloßen Arm. Das Gerät summte kurz, dann leuchtete eine rote Lampe auf. Jason konnte sich im Augenblick nicht mehr daran erinnern, was die Lampe zu bedeuten hatte. Dann hielt er den Kasten in die Höhe und sah, daß eine der Nadeln aus ihrer Halterung hervorragte. Natürlich. Das in der Ampulle enthaltene Mittel war aufgebraucht. Der Medikasten mußte wieder gefüllt werden.
Jason warf das Gerät fluchend von sich. Es fiel klatschend in eine Pfütze und verschwand. Das war das Ende aller Medizinen, das Ende des Medikastens — und Jason dinAlts Ende. Der einsame Kämpfer gegen die Gefahren eines todbringenden Planeten. Der mutige Fremde, der es mit allen Pyrranern aufnehmen konnte. Dabei hatte er nicht einmal zwanzig Stunden lang durchhalten können.
Hinter seinem Rücken ertönte plötzlich ein verhaltenes Knurren. Jason warf sich herum und schoß im gleichen Augenblick. Die Gefahr war vorüber, bevor er sie richtig wahrgenommen hatte. Er starrte die häßliche Bestie an, die nur einen Meter von ihm entfernt verendet war, und erkannte, daß er eine gute Ausbildung genossen hatte.
Das Tier schien mit den Hunden verwandt zu sein, die er bei den Wilden gesehen hatte. Etwa so, wie ein Wolf mit Hunden verwandt ist. Jason fragte sich, ob dieser Vergleich auch auf andere Punkte zutraf. Jagten diese Tiere ebenfalls in Rudeln?
Bei diesem Gedanken sah er auf — keine Sekunde zu früh. Die großen Bestien schlichen von allen Seiten näher heran. Als er zwei erschossen hatte, knurrten die übrigen wütend und zogen sich in den Wald zurück. Aber sie flohen nicht. Der Tod der anderen schien sie nicht zu erschrecken, sondern nur in noch größere Wut zu versetzen.
Jason erkannte, daß das Fieber seine Vorteile hatte. Er wußte, daß er nur noch bis Sonnenuntergang zu leben hatte — oder bis er seine Munition verschossen hatte. Aber trotzdem berührte diese Tatsache ihn nur wenig. Das alles spielte keine Rolle mehr. Er lehnte sich gegen den Baumstamm und hob nur ab und zu eine Hand, um zu schießen. Von Zeit zu Zeit mußte er hinter den Baum sehen, weil auch von dort Angreifer heranschlichen. Ein dünnerer Baum wäre besser gewesen, aber die Anstrengung war nicht der Mühe wert.
Irgendwann am Nachmittag gab er seinen letzten Schuß ab. Er erlegte damit eines der Tiere, das ziemlich nahe herangekommen war. Zuvor hatte er festgestellt, daß er auf größere Entfernungen meistens danebentraf. Das Tier fletschte die Zähne und verendete; die anderen wichen zurück und heulten wütend. Eines von ihnen war deutlich zu sehen, und Jason betätigte den Abzug seiner Waffe.
Diesmal ertönte nur ein leises Klicken. Er drückte nochmals ab, weil er an eine Ladehemmung dachte, aber der erwartete Schuß fiel nicht. Das Pistolenmagazin war leer, die Reservegeschosse in der Tasche an seinem Gürtel verbraucht. Jason erinnerte sich undeutlich daran, daß er mehrmals nachgeladen hatte, obwohl er nicht mehr genau wußte, wie oft er das Magazin aufgefüllt hatte.
Das war also das Ende. Die Pyrraner hatten recht gehabt, er war ihrem Planeten nicht gewachsen. Aber sie selbst brauchten sich nicht darüber zu freuen, denn auch sie würden ihm eines Tages unterliegen. Pyrraner starben nicht in ihrem Bett. Alte Pyrraner starben nicht, sondern wurden einfach aufgefressen.
Nachdem er jetzt nicht mehr wach bleiben mußte, um schießen zu können, wurde das Fieber übermächtig. Er wollte schlafen und wußte, daß er nie wieder aufwachen würde. Seine Augen schlossen sich halb, während er die Raubtiere beobachtete, die auf ihn zukrochen. Das erste setzte bereits zum Sprung an; Jason sah, wie es seine Beinmuskeln anspannte.
Es sprang. Dann wirbelte es durch die Luft und fiel schwer zu Boden, bevor es Jason erreicht hatte. Ein kurzer Metallbolzen ragte neben einem Auge aus dem häßlichen Kopf.
Zwei Männer traten aus dem Wald und sahen auf Jason herab. Ihre bloße Gegenwart schien die Raubtiere zu erschrecken, denn sie waren alle verschwunden.
Grubber. Jason hatte sich so sehr auf die Stadt konzentriert, daß er die Wilden ganz vergessen hatte. Jetzt war er froh, daß sie rechtzeitig gekommen waren. Er konnte nicht gut sprechen, deshalb wollte er lächeln. Aber dann taten ihm die Lippen weh, deshalb fiel er lieber in Ohnmacht.
Später konnte Jason sich kaum noch an die nun folgenden Ereignisse erinnern. Er spürte die Gegenwart großer Tiere und glaubte getragen zu werden. Dann nahm er undeutlich Wände, Holzrauch und Stimmengewirr wahr. Aber er war zu erschöpft, um sich darum zu kümmern, sondern dämmerte statt dessen nur willenlos vor sich hin.
„Allmählich höchste Zeit“, stellte Rhes fest. „Noch ein paar Tage auf diese Art und Weise, dann hätten wir dich begraben, selbst wenn du noch geatmet hättest.“
Jason kniff angestrengt die Augen zusammen und versuchte das Gesicht zu erkennen, das über seinem Bett verschwamm. Schließlich sah er Rhes und wollte mit ihm sprechen. Aber schon nach dem ersten Wort erlitt er einen heftigen Hustenanfall. Jemand hielt ihm einen Becher an die Lippen und gab ihm eine süßlich schmeckende Flüssigkeit zu trinken. Jason ruhte sich einen Augenblick lang aus, dann nahm er einen neuen Anlauf.
„Wie lange bin ich schon hier?“ Die Stimme klang dünn und schien aus weiter Entfernung zu kommen. Jason erkannte sie kaum als seine eigene.
„Eine Woche. Und warum hast du nicht zugehört, als wir uns zum erstenmal unterhalten haben?“ wollte Rhes wissen.
Jason sah ihn verwirrt an.
„Du hättest an der Absturzstelle bleiben sollen“, fuhr Rhes fort. „Wußtest du nicht mehr, daß ich von einer Landung irgendwo auf Pyrrus gesprochen habe? Nun, darüber brauchen wir uns keine Gedanken mehr zu machen. Aber beim nächstenmal hörst du lieber besser zu.
Meine Leute erreichten das Wrack vor Anbruch der Dunkelheit. Sie nahmen zunächst an, daß der Pilot mit dem Schiff untergegangen sei. Aber dann nahm einer der Hunde deine Spur auf, verlor sie allerdings nachts in den Sümpfen wieder. Die Männer wollten schon Verstärkung anfordern, als sie endlich deine Schüsse hörten. Offenbar kamen sie gerade noch rechtzeitig. Glücklicherweise war einer der Männer ein Redner und konnte die wilden Hunde fortscheuchen. Sonst hätten meine Leute sie alle umbringen müssen — und das kann sich unangenehm auswirken.“
„Vielen Dank für die Hilfe“, sagte Jason. „Aber was war dann? Ich erinnere mich noch daran, daß ich bereits mit dem Leben abgeschlossen hatte. Schließlich ist mit einer Lungenentzündung nicht zu spaßen — aber anscheinend wirken eure Heilmittel doch besser, als du mir damals erzählt hast.“
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