Der General tastete die Wand ab, legte die Hand auf einen versteckt angebrachten Griff und riß eine Klappe auf, die hinter der Tapete verborgen gewesen war. Jetzt wurde eine dunkle Öffnung sichtbar, in der nur ein riesiger schwarzer Hebel waagerecht aus der Wand ragte.
Stevens drehte sich nach den anderen um. »Verstehen Sie mich richtig«, sagte er rasch. »Ich weiß nur, wo der Notausgang anfängt. Wo er aufhört, weiß ich ebensowenig wie Sie, weil ich offiziell nicht einmal ahnen darf, wo wir uns im Augenblick befinden — und ich habe auch keine Ahnung. Wir können nur hoffen, daß der Ausstieg zu einer Art Turm führt, weil wir wissen, daß wir fast zweihundert Meter unter der Erde sind und daß von oben irgendwie Salzwasser herunterkommt. Verstanden? Okay, ich öffne jetzt den Ausgang.«
Er wandte sich um und zog den schwarzen Hebel nach unten. Oberst Mabel Wallingford stand dicht hinter ihm, Oberst Griswold und Captain Kidley wiederum dicht hinter ihr.
Der Hebel bewegte sich zwei Zentimeter weit und blieb dann stecken. Stevens zog mit beiden Händen daran, bis er nur noch bis zu den Knien im Wasser hing. Oberst Mabel faßte ebenfalls an und machte einen Klimmzug an dem schwarzen Hebel.
»Halt!« rief Griswold plötzlich. »Wenn der Hebel klemmt, bedeutet das ...«
Der Hebel bewegte sich ruckartig zwanzig Zentimeter weiter nach unten. Kaum zwei Meter neben der kleinen Gruppe platzte die Tapete von der Wand, als eine schmale Eisentür aufflog. Im gleichen Augenblick schoß ein schwarzer Wasserstrahl mit hohem Druck aus der eben entstandenen Öffnung. Die vier Offiziere wurden voll getroffen und verloren sofort den Boden unter den Füßen.
Der Wasserstrahl strömte unvermindert rasch in den unterirdischen Bunker und füllte ihn innerhalb weniger Minuten, während die restliche Luft durch den Ventilatorschacht hinausgedrückt wurde. Die vier Lampen glühten noch kurze Zeit weiter, bis sie schließlich rasch nacheinander erloschen.
Margo und Clarence Dodd lehnten nebeneinander auf dem Geländer der Brücke, sahen zu den Hügeln hinauf und sprachen über die seltsamen Rauchwolken, die der leichte Morgenwind von Süden herantrieb. Sie verdunkelten die Sonne etwas und ließen ihr Licht rötlicher als sonst wirken.
»Vielleicht sind das nur Buschfeuer in den Bergen«, meinte der kleine Mann. »Ich fürchte allerdings, daß noch mehr dahintersteckt, Miß Gelhorn. Wohnen Sie in Los Angeles?«
»Ich habe einen Bungalow in Santa Monica gemietet, aber das ist kein großer Unterschied.«
»Haben Sie dort Familie?«
»Nein, ich lebe allein.«
»Das ist gut. Falls wir nämlich keinen Regen bekommen ...«
»Sehen Sie nur!« unterbrach Margo ihn und wies nach unten. »Das Flußbett ist plötzlich voll Wasser! Bedeutet das nicht, daß es in den Bergen geregnet hat?«
In diesem Augenblick kam Hixons Lieferwagen mit triumphierendem Hupen von einer Erkundungsfahrt an der Küste entlang zurück. Dicht hinter ihm fuhr ein gelber Schulbus mit etwa zwanzig Sitzplätzen. Die beiden Fahrzeuge hielten auf der Brücke an. Wojtowicz kletterte aus dem Bus. Er trug eines der beiden Gewehre in der Hand. Doc kam hinter ihm her, blieb aber auf der Treppe stehen, damit alle ihn sehen konnten.
»Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen die freudige Mitteilung machen, daß ich für Sie alle ein ausgezeichnetes Transportmittel beschafft habe«, rief er fröhlich. »Ich habe darauf bestanden, einen Blick auf den Monica Mountainway zu werfen — und dort stand dieser entzückende kleine Schulbus, als habe er nur auf uns gewartet. Er ist aufgetankt und reichlich mit keimfreier Milch und Sandwiches mit Erdnußbutter und Marmelade beladen. Machen Sie sich alle fertig, damit wir in fünf Minuten fahren können!«
Doc trat auf die Straße herab und ging auf das Brückengeländer zu. »Das dort unten ist nicht Regenwasser, sondern die Flut, Doddsy«, stellte er fest, als der kleine Mann fragend nach unten zeigte. »Sie brauchen nur einen Blick über das andere Geländer zu werfen, dann sehen Sie eine einzige ununterbrochene Wasserfläche, die bis China reicht. In unseren Tagen muß man eben auf Überraschungen dieser Art gefaßt sein. Sie haben das zweite Gewehr, Doddsy — deshalb fahren Sie mit den Hixons. Ida ebenfalls, damit sie sich um Ray Hanks kümmern kann. Ich kommandiere den Bus.«
»Mister Brecht«, sagte Margo, »wollen Sie jetzt den Monica Mountainway benützen?«
»Jedenfalls so weit wie möglich«, antwortete Doc. »Ich möchte erst einmal sechshundert Meter höher sein, wenn sich das irgendwie schaffen läßt. Und dann ...« Er zuckte mit den Schultern.
»Mister Brecht«, fuhr Margo fort. »Vandenberg drei liegt ziemlich am Ende der Bergstraße. Eigentlich sogar in unmittelbarer Nähe. Morton Opperly hält sich dort auf — er ist für die wissenschaftliche Seite des Mondprojektes verantwortlich. Meiner Meinung nach müßten wir uns mit ihm in Verbindung setzen.«
»Eigentlich gar keine schlechte Idee«, meinte Doc nachdenklich. »Er ist bestimmt vernünftiger als die Idioten in V-2 und freut sich vielleicht sogar über ein paar Rekruten, die nicht übergeschnappt sind. Ich bin auch dafür, daß wir in dieser kritischen Situation Anschluß an die besten Wissenschaftler suchen. Allerdings weiß vorläufig noch niemand, ob wir V-3 jemals erreichen — oder Opperly noch dort ist, wenn wir endlich ankommen«, fügte er schulterzuckend hinzu.
»Darüber brauchen wir uns jetzt noch keine Sorgen zu machen«, antwortete Margo. »Ich möchte nur, daß Sie mir helfen, wenn sich eine Gelegenheit bietet, mit ihm Verbindung aufzunehmen. Ich habe einen wichtigen Grund dafür, den ich allerdings vorläufig noch nicht erklären kann.«
Doc warf ihr einen fragenden Blick zu und nickte dann langsam. »Wird gemacht«, versprach er, bevor er sich abwandte, um die Fragen und Vorschläge der anderen entgegenzunehmen, die sich aufgeregt um ihn drängten.
Margo stieg sofort in den Schulbus und setzte sich auf den Platz hinter dem Fahrer. Er war ein mürrischer Alter mit so eingefallenen Wangen, daß sie sich fragte, ob er überhaupt noch Zähne besaß.
»Sehr freundlich von Ihnen, daß Sie uns auf diese Weise aushelfen«, stellte sie fest.
»Meinen Sie mich?« erkundigte der Alte sich ungläubig und drehte sich nach Margo um. » Er hat mir erzählt, daß demnächst eine zweihundert Meter hohe Flutwelle zu erwarten ist«, fuhr er dann fort und wies mit dem Daumen durch die offene Tür auf Doc. »Er hat mir lebhaft genug ausgemalt, was passiert, wenn ich nicht bald weiter in die Berge hinauffahre. Und dann hat er mir noch gesagt, daß ich nicht lange zu überlegen brauche, ob ich seine Leute mitnehmen will, weil er einen Kerl mit einem Gewehr mitgebracht hatte. Freundlich von mir? Ich hatte gar keine andere Wahl!« Er schüttelte den Kopf und fügte hinzu: »Außerdem ist meine normale Route durch einen Erdrutsch blockiert. Deshalb verliere ich eigentlich nichts, wenn ich mich diesem komischen Haufen anschließe.«
Margo lachte. »Sie gewöhnen sich bestimmt bald an uns«, meinte sie.
In diesem Augenblick bestieg der Ladestock den Schulbus und rief Doc über die Schulter zu: »Gut, Wanda und ich fahren in diesem Klapperkasten, aber ich weigere mich, Milch zu trinken, die mit künstlichen Mitteln keimfrei gemacht worden ist!«
Der Fahrer warf Margo einen Blick zu. »Vielleicht«, meinte er dann zweifelnd.
Die anderen Mitglieder stiegen nacheinander ein. Hunter ließ sich neben Margo nieder, als sie mit dem Fahrer sprach. Sie machte demonstrativ etwas mehr Platz, aber er sah sie nicht ein mal an. Doc stand in der Tür und zählte die Fahrgäste. »Alles an Bord«, stellte er dann fest. Er beugte sich hinaus und rief Hixon zu: »Okay, wir fahren! Folgen Sie in Linie achteraus!«
Die beiden Fahrzeuge wendeten auf der breiten Brücke. Margo sah, daß das Wasser in dem ehemals trockenen Flußbett schon wieder einen Meter weiter gestiegen war. Der Teil des Strandes, auf den der Felsbrocken gefallen war, stand ebenfalls bereits unter Wasser. Am vergangenen Abend war die Straße hier fast fünfhundert Meter vom Meer entfernt gewesen, aber jetzt brachen sich die Wellen kaum hundert Meter vor dem Asphalt.
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