»Und was ist, wenn die Hitschi herkommen, damit es spannend wird oder weil sie Bücher wollen?«, fragte Paul erbost.
»Bücher! Was würden sie mit Büchern anfangen? Vielleicht wegen der Beerenfrüchte. Manchmal gehen sie mit den Maschinen – Tiny Jim sagt, sie sollen das reparieren, was defekt ist. Aber nicht immer. Und die Maschinen arbeiten nicht sehr gut. Außerdem kann man sie von weitem hören.«
Sie saßen alle eine Weile stumm da und sahen einander an. Schließlich sagte Lurvy: »Ich sehe das so. Wir bleiben noch eine Woche. Das ist wohl nicht zu gefährlich. Wir haben – wie viele sind es, Paul? – noch fünf Kameras. Wir stellen sie an verschiedenen Orten auf, schließen sie an den Monitor hier an und lassen sie in Ruhe. Wenn wir aufpassen, können wir sie vielleicht so verstecken, dass die Hitschi sie nicht finden. Wir erkunden alle roten Tunnels, weil die ungefährlich sind, und von den blauen und grünen so viele, wie wir können. Nehmen Proben. Machen Aufnahmen. Ich will mir diese Reparaturmaschinen ansehen. Und wenn wir so viel bewältigt haben, wie wir können, werden wir … werden wir sehen, wie viel Zeit uns bleibt. Dann entscheiden wir, ob wir in den goldenen Bereich gehen.«
»Aber nicht länger als eine Woche. Von jetzt an«, sagte Paul. Er beharrte nicht darauf. Er wollte nur sichergehen, dass er richtig verstanden hatte.
»Nicht länger«, bestätigte Lurvy, und Janine und Wan nickten.
Aber achtundvierzig Stunden später waren sie trotzdem im goldenen Bereich.
Sie hatten beschlossen, die beschädigte Kamera auszuwechseln, und gingen zu viert zu der Dreifachkreuzung, wo der Beerenfrucht-Strauch stand, bar aller reifen Früchte. Wan war der Erste, Hand in Hand mit Janine. Sie machte sich los, um auf die zerstörte Kamera zuzueilen.
»Sie haben sie völlig zertrümmert«, sagte sie staunend. »Du hast uns nicht erzählt, dass sie so stark sind, Wan. Schau mal, ist das Blut?«
Paul riss ihr das Gerät aus der Hand, drehte es um und starrte die schwarze Kruste an einer Kante stirnrunzelnd an.
»Sieht so aus, als hätten sie versucht, die Kamera zu öffnen«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass ich das mit bloßen Händen könnte. Er muss irgendwie abgerutscht sein und sich verletzt haben.«
»O ja«, sagte Wan mit schriller Stimme zerstreut, »sie sind sehr stark.« Seine Aufmerksamkeit galt nicht der Kamera. Er starrte in den langen goldenen Korridor, schnupperte und horchte auf ferne Geräusche.
»Du machst mich nervös«, sagte Lurvy. »Hörst du etwas?«
Er hob gereizt die Schultern.
»Man riecht sie, bevor man sie hört, aber nein, ich rieche nichts. Sie sind nicht sehr nah. Und ich habe keine Angst. Ich komme oft hierher, um Bücher zu holen oder zu beobachten, was sie Komisches treiben.«
»Glaub’ ich«, sagte Janine und nahm Paul die alte Kamera ab, während er nach einem Versteck für die neue suchte. Viele Stellen gab es nicht. Die Hitschi waren kärglich eingerichtet.
Wan brauste auf.
»Ich bin den Korridor hinuntergegangen, so weit ich sehen kann«, prahlte er. »Sogar dahin, wo die Bücher sind, ganz weit unten – seht ihr? Manche sind im Korridor.«
Lurvy blickte hinunter, wusste aber nicht genau, was Wan meinte. An die fünfzig Meter entfernt gab es einen Haufen von glitzerndem Zeug, aber keine Bücher. Paul, der das Schutzband von einem Klebehaken abzog, um ihn an der Wand so hoch wie möglich anzubringen, sagte: »Wie du immer mit deinen Büchern angibst. Ich habe sie gesehen, weißt du. ›Moby Dick‹ und ›Don Quichotte‹. Was sollten die Hitschi damit anfangen?«
»Du bist dumm, Paul«, erklärte Wan würdevoll. »Das sind nur die, die mir die Toten Menschen gegeben haben, nicht die richtigen Bücher. Das sind die richtigen Bücher.«
Janine sah ihn verwundert an, dann ging sie ein paar Schritte in den Tunnel hinein.
»Das sind keine Bücher!«, rief sie über die Schulter.
»Aber natürlich! Ich sag’ dir, es sind Bücher!«
»Nein, es sind keine! Komm selber her!« Lurvy öffnete den Mund, um sie zurückzurufen, zögerte und folgte ihr. Der Korridor war leer, und Wan wirkte nicht aufgeregter als sonst. Schon auf halbem Weg zu dem glitzernden Haufen erkannte Lurvy, was sie vor sich hatte, und eilte zu Janine, um einen der Gegenstände aufzuheben.
»Wan«, sagte sie, »das kenne ich. Das sind Hitschi-Gebetsfächer. Auf der Erde gibt es hunderte davon.«
»Nein, nein!« Er wurde zornig. »Warum sagt ihr, dass ich lüge?«
»Ich sage nicht, dass du lügst, Wan.« Sie entrollte das Ding in ihren Händen. Es glich einer spitz zulaufenden Schriftrolle aus Kunststoff; in ihren Händen öffnete sie sich mühelos, schnurrte aber, losgelassen, sofort wieder zusammen. Es war der häufigste Gegenstand der Hitschi-Kultur, zu Dutzenden in den verlassenen Tunnels auf der Venus gefunden, von Gateway-Prospektoren bei jedem erfolgreichen Flug mitgebracht. Niemand war je dahinter gekommen, was die Hitschi damit machten; und ob der Name, den sie ihnen gegeben hatten, passte, wussten nur die Hitschi. »Man nennt sie ›Gebetsfächer‹, Wan.«
»Nein, nein«, sagte er gereizt, nahm ihn ihr weg und marschierte in die Kammer. »Man betet nicht damit. Man liest sie. So.« Er begann die Rolle in eines der tulpenförmigen Gebilde in der Wand zu stecken, warf einen Blick darauf und ließ sie fallen. »Das ist kein gutes«, sagte er und kramte in dem Haufen von Fächern am Boden. »Warte. Ja. Das ist auch nicht gut, aber wenigstens etwas, das man erkennen kann.« Er schob die Rolle in die Tulpe hinein. Es gab ein kaum hörbares elektronisches Flüstern, dann verschwanden Tulpe und Rolle. Eine zitronenförmige Farbwolke hüllte sie ein und formte sich zu einem gebundenen Buch, aufgeschlagen auf einer Seite mit vertikalen Schriftzeichen. Eine blecherne Stimme – eine menschliche Stimme! – begann in einer ratternden, vokalreichen Sprache etwas vorzutragen.
Lurvy konnte die Worte nicht verstehen, aber zwei Jahre auf Gateway hatten sie zu einer Weltbürgerin gemacht. Sie ächzte: »Ich … ich glaube, das ist Japanisch. Und das sieht aus wie ein Haiku. Wan, was machen die Hitschi mit Büchern in Japanisch?«
Er sagte überlegen: »Das sind nicht wirklich die alten, Lurvy, das sind nur Kopien anderer Bücher. Die guten sind alle so. Tiny Jim sagt, alle Bänder und Bücher der Toten Menschen – aller Toten Menschen, selbst derjenigen, die nicht mehr hier sind – wurden darin gespeichert. Ich lese sie die ganze Zeit.«
»Mein Gott«, sagte Lurvy. »Und wie oft habe ich so etwas in der Hand gehabt und nicht gewusst, wozu es gut sein soll!«
Paul schüttelte staunend den Kopf. Er griff in das leuchtende Bild und zog den Fächer aus der Tulpe. Das ging mühelos; das Bild verschwand, die Stimme hörte mitten im Wort auf, und er drehte die Rolle mit den Händen immer wieder, um sie genau zu betrachten.
»Das begreife ich nicht«, sagte er. »Jeder Wissenschaftler auf der Welt hat sich mit diesen Dingern befasst. Wie kommt es, dass nie jemand erkannt hat, was das ist?«
Wan zog die Schultern hoch. Er war nicht mehr wütend; er genoss den Triumph, diesen Leuten zu zeigen, wie viel mehr er wusste als sie.
»Vielleicht sind sie auch dumm«, erklärte er mit schriller Stimme, dann fügte er nachsichtiger hinzu: »Oder vielleicht hatten sie nur solche, die niemand verstehen kann – außer möglicherweise die Alten, wenn die sich überhaupt die Mühe machen, sie zu lesen.«
»Hast du davon eines zur Hand, Wan?«, fragte Lurvy.
Er bewegte gereizt die Schultern.
»Damit gebe ich mich nie ab«, erwiderte er. »Aber wenn ihr mir nicht glaubt …« Er kramte in dem Haufen, und seine Miene verriet, dass sie Zeit mit Dingen vergeudeten, die er schon erkundet und für unwichtig befunden hatte. »Ja, ich glaube, das ist eine von den wertlosen.«
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