Klara verschwand in der Toilette. Ich zündete mir eine Zigarette an, fast die letzte, die ich hatte, und blies Rauchwölkchen durch die sich ausdehnenden Rauchwölkchen vor ihnen, die regungslos in der regungslosen Luft hingen. Die Kapsel schwankte ein wenig, und ich konnte die ferne bräunliche Scheibe des Planetenmondes über den Bildschirm heraufgleiten sehen. Eine Minute später raste die winzige, grelle Wasserstoffflamme des Landefahrzeugs darauf zu. Ich fragte mich, was ich tun würde, wenn ihnen der Treibstoff ausging oder sie abstürzten oder irgendeinen Defekt erlitten. Was ich in diesem Fall würde tun müssen, war, sie dort für immer zurückzulassen. Was ich mich fragte, war, ob ich den Nerv besitzen würde zu tun, was ich tun musste.
Es schien eine schreckliche, triviale Vergeudung von Menschenleben zu sein.
Was machten wir hier? Hunderte oder tausende von Lichtjahren zu fliegen, damit wir uns gegenseitig das Herz brechen konnten?
Ich entdeckte, dass ich mich an die Brust fasste, so, als sei die Metapher Wirklichkeit. Ich spuckte auf die Zigarettenglut, um sie zu löschen, und schob den Stummel in eine Abfalltüte. Kleine Ascheflöckchen schwebten herum, wo ich sie unüberlegt hingeschnippt hatte, aber ich hatte keine Lust, ihnen nachzujagen. Ich sah die große, fleckige Sichel des Planeten in der Ecke des Bildschirms auftauchen und bewunderte sie als Kunstgegenstand: gelbliches Grün auf der Tageslichtseite des Terminators, ein amorphes Schwarz auf dem Rest, das die Sterne verdeckte. Man konnte die äußeren, dünneren Schichten der Atmosphäre an den wenigen hellen Sternen erkennen, die hindurchfunkelten, aber alles andere war so dicht, dass nichts hindurchschien. Es war natürlich ausgeschlossen, dort zu landen. Selbst wenn es eine feste Oberfläche gab, würde sie unter so viel dichtem Gas begraben sein, dass wir dort nie überleben konnten. Die Gesellschaft sprach davon, ein Spezial-Landefahrzeug zu entwickeln, das die Luft eines jupiterähnlichen Planeten durchdringen konnte, und vielleicht würde das eines Tages gelingen; aber nicht so rechtzeitig, dass uns das jetzt etwas genützt hätte.
Klara war immer noch in der Toilette.
Ich spannte meine Schlinge auf, zog mich hinein, legte den Kopf auf die Seite und schlief ein.
Vier Tage später kamen sie zurück. Mit leeren Händen.
Dred und Ham Tayeh waren verdrießlich, schmutzig und reizbar; Sam Kahane wirkte ganz aufgeräumt. Ich ließ mich davon nicht täuschen; wenn er etwas von Wert gefunden hätte, wären wir über Funk unterrichtet worden. Aber ich war neugierig.
»Was habt ihr gefunden, Sam?«
»Null«, sagte er. »Nur Gestein, wir haben nichts geortet, wonach sich zu schürfen gelohnt hätte. Aber ich habe eine Idee.«
Klara tauchte neben mir auf und sah Sam neugierig an. Ich betrachtete die beiden anderen; sie machten den Eindruck, als wüssten sie, was Sam meinte, und seien nicht begeistert davon.
»Der Stern ist ein Doppelstern, wisst ihr«, sagte er.
»Woher weißt du das?«, fragte ich.
»Ich habe die Kameras laufen lassen. Ihr habt das große, blaue Baby da draußen gesehen …« Er schaute sich um und grinste. »Na ja, ich weiß jetzt nicht, welche Richtung, aber es war in der Nähe des Planeten, als wir die ersten Bilder machten. Jedenfalls schien es ziemlich nah zu sein, und ich ließ die Abtaster laufen. Sie haben eine Bewegung registriert, die ich nicht glauben konnte. Es muss ein Doppelstern sein, nicht mehr als ein halbes Lichtjahr entfernt.«
»Das könnte ein Wanderstern sein, Sam«, meinte Ham Tayeh. »Hab’ ich dir schon gesagt. Nur ein Stern, der in der Nacht vorbeizieht.«
Kahane zuckte die Achseln.
»Trotzdem. Er ist sehr nah.«
»Planeten?«, warf Klara ein.
»Weiß ich nicht«, gab er zu. »Augenblick – da ist er, glaube ich.«
Wir blickten alle auf den Sichtschirm. Es gab keine Frage, welchen Stern Kahane meinte. Er war heller als Sirius von der Erde aus, Größe mindestens minus zwei.
»Das ist interessant, und ich hoffe, ich weiß nicht, was du denkst, Sam«, sagte Klara leise. »Ein halbes Lichtjahr macht mindestens zwei Jahre Flug bei Höchstgeschwindigkeit des Landefahrzeugs aus, selbst wenn wir den Treibstoff dafür hätten. Und den haben wir nicht, Jungs.«
»Das weiß ich«, erwiderte Sam, »aber ich habe nachgedacht. Wenn wir dem Antrieb der Hauptkapsel nur einen ganz kleinen Stoß geben könnten …«
Ich verblüffte mich selbst damit, dass ich schrie: »Aufhören!« Ich zitterte am ganzen Körper. Ich konnte es nicht unterdrücken. Manchmal war es wie Zorn, manchmal wie Entsetzen. Ich glaube, wenn ich in diesem Augenblick eine Pistole in der Hand gehabt hätte, ich wäre in der Lage gewesen, Sam auf der Stelle niederzuschießen.
Klara berührte mich, um mich zu beruhigen.
»Sam«, sagte sie ganz sanft, »ich weiß, wie dir zumute ist.« Kahane war von fünf Flügen hintereinander mit leeren Händen heimgekommen. »Ich wette, dass man das tun kann.«
Er wirkte erstaunt, argwöhnisch und verteidigungsbereit zugleich.
»So?«
»Ich meine, ich kann mir vorstellen, wenn wir Hitschi wären, statt der menschlichen Tölpel, die wir sind – na, dann wüssten wir, was zu tun ist. Wir würden herkommen, uns umsehen und sagen: ›Oh, he, schaut mal, unsere Freunde hier‹ – oder was eben hier war, als sie einen Kurs zu diesem Ziel gesetzt haben – ›unsere Freunde müssen weggezogen sein. Sie sind nicht mehr zu Hause.‹ Und dann würden wir sagen: ›Na gut, macht nichts, mal sehen, ob sie nebenan sind.‹ Und wir würden das Ding hier und dieses Ding dort drücken, dann würden wir hinüberzischen zu dem großen blauen Stern …« Sie machte eine Pause und sah ihn an, ohne meinen Arm loszulassen. »Nur sind wir keine Hitschi, Sam.«
»Mensch, Klara! Das weiß ich. Aber es muss einen Weg geben …«
Sie nickte.
»Den gibt es bestimmt, aber wir kennen ihn nicht. Was wir wissen, ist, dass noch kein einziges Schiff jemals die Kurseinstellung verändert hat und zurückgekommen ist, um davon zu erzählen. Erinnerst du dich? Kein einziges!«
Er antwortete ihr nicht direkt; er starrte nur auf den großen blauen Stern auf dem Sichtschirm und sagte: »Stimmen wir ab.«
Die Abstimmung endete natürlich 4 zu 1 gegen ein Verstellen der Einstellung an der Kurstafel, und Ham Tayeh ließ Sam nicht mehr an die Konsole heran, bis wir auf dem Heimweg die Lichtgeschwindigkeit überschritten hatten.
Der Flug zurück nach Gateway dauerte nicht länger als der Hinflug, aber er schien kein Ende nehmen zu wollen.
Es hat abermals den Anschein, als funktioniere Sigfrids Klimaanlage schon wieder nicht, aber ich erwähnte nichts davon. Er wird mir nur mitteilen, dass die Temperatur exakt 22,5 Grad Celsius beträgt, wie immer, und fragen, warum ich seelischen Schmerz durch zu große Hitzeempfindung ausdrücke. Von diesem Quatsch habe ich wirklich genug.
»Überhaupt habe ich von dir einfach genug, Siggy«, sage ich laut.
»Das tut mir Leid, Rob. Aber ich wäre dankbar, wenn du mir ein bisschen mehr über deinen Traum erzählen könntest.«
»Ach, Scheiße.« Ich lockere die Haltegurte, weil sie unbequem sind. Das unterbricht auch den Anschluss von einigen Messgeräten Sigfrids, aber zur Abwechslung weist er mich einmal nicht darauf hin. »Der Traum ist ziemlich langweilig. Wir sind im Raumschiff. Wir kommen zu einem Planeten, der mich anstarrt wie mit einem menschlichen Gesicht. Ich kann die Augen wegen der Brauen nicht sehr gut sehen, aber auf irgendeine Weise weiß ich, dass er weint, und das ist meine Schuld.«
»Erkennst du das Gesicht, Bob?«
»Keine Ahnung. Einfach ein Gesicht. Weiblich, glaube ich.«
»Weißt du, weshalb es weint?«
»Das nicht, aber ich bin verantwortlich dafür, was es auch sein mag. Da bin ich sicher.«
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