
1908 Lichtjahre von der Erde entfernt erinnerte sich mein Freund – mein früherer Freund, und bald wieder mein Freund – Audee Walthers an meinen Namen, allerdings nicht in einem freundlichen Zusammenhang.
Er verstieß gegen eine Vorschrift, die ich erlassen hatte.
Ich habe bereits erwähnt, dass ich sehr viele Dinge besaß, unter anderem auch Anteile an dem größten Raumschiff, das die Menschheit kannte. Es gehörte zu den technischen Spielereien, welche die Hitschi im Sonnensystem zurückgelassen hatten. Es schwebte über die Oort’sche Wolke hinaus, ehe es entdeckt wurde. Entdeckt von menschlichen Wesen, will sagen – Hitschi und Australopithekus-Vormenschen zählen nicht.
Wir nannten das Schiff »Hitschi-Himmel«. Als mir aber der Gedanke kam, dass es sich ausgezeichnet als Transporter verwenden ließe, um einige dieser armen Teufel, die sich hier nicht ernähren konnten, von der Erde zu einem gastfreundlicheren Planeten zu bringen, überredete ich die anderen Aktionäre, das Schiff umzutaufen. Es wurde nach meiner Frau S. Ya. Broadhead genannt. Ich steckte das Geld hinein, um es für den Transport von Siedlern umzurüsten. Dann begannen wir den Pendelverkehr mit dem besten und nächstgelegenen Planeten – Peggys Planet.
Dieses Unternehmen brachte mich wieder in eine Situation, in der mein Gewissen und der gesunde Menschenverstand einander bekämpften. Eigentlich wollte ich alle an einen Ort bringen, wo sie glücklich sein konnten. Aber um dies zu ermöglichen, musste ich einen Gewinn erwirtschaften. So kam es zu Broadheads Vorschriften. Diese entsprachen weitgehend den früheren Verfügungen auf dem Gateway-Asteroiden. Für den Hinflug musste bezahlt werden. Man konnte ihn auch auf Kredit bekommen, wenn man das Glück hatte, dass man ein Freilos zog. Die Rückfahrt zur Erde war aber nur gegen bar möglich. Als Siedler mit Landanspruch konnte man die sechzig Hektar wieder der Gesellschaft überschreiben, die dafür eine Rückfahrkarte ausgab. Wenn man kein Land mehr besaß, weil man es verkauft, eingetauscht oder beim Würfeln verloren hatte, blieben nur zwei Möglichkeiten: Das Geld für den Rückflug bar auf den Tisch zu legen, oder man blieb, wo man war.
Es sei denn, man war ein qualifizierter Pilot, und einer der Schiffsoffiziere entschied sich, auf Peggys Planet zu bleiben. Dann konnte man den Rückflug abarbeiten. Walthers hatte sich für diese Lösung entschieden. Er hatte keine blasse Ahnung, was er tun würde, wenn er wieder auf der Erde war. Er wusste nur, dass er unter keinen Umständen in dem leeren Appartement bleiben konnte, nachdem Dolly ihn verlassen hatte. Er verkaufte sämtliche Möbel und einigte sich in den paar Minuten zwischen den Transportflügen mit dem Kapitän der S. Ya. Dann ging es los. Eigentlich fand er es merkwürdig, ja unangenehm, dass dieser Rückflug, der ihm als völlig unmöglich erschienen war, als Dolly ihn darum gebeten hatte, nun die einzige Alternative darbot, nachdem er von ihr verlassen worden war. Aber, wie er schon festgestellt hatte, war das Leben oft merkwürdig und unangenehm.
Er ging also in der letzten Minute an Bord der S. Ya. Vor Erschöpfung zitterte er. Da ihm noch zehn Stunden bis zum Dienstantritt blieben, schlief er erst einmal. Trotzdem war er noch ganz kaputt und vielleicht auch durch die seelische Erschütterung wie betäubt, als ihm ein fünfzehnjähriger gescheiterter Kolonist eine Tasse Kaffee brachte und ihn in den Kontrollraum des interstellaren Transportschiffes S. Ya. Broadhead , vormals Hitschi-Himmel , führte.
Wie riesig dieses verdammte Ding war! Von außen sah es gar nicht so aus, aber diese langen Korridore, diese Abteile mit zehn Etagenbetten übereinander, die jetzt leer standen, diese bewachten Laufgänge und Hallen mit unbekannten Maschinen oder Sockeln, von denen man die Maschinen abmontiert hatte – solche Weiträumigkeit hatte Walthers noch nie bei einem Raumschiff erlebt! Sogar der Kontrollraum war riesig. Alle Steuervorrichtungen waren doppelt vorhanden. Walthers hatte schon Hitschi-Schiffe geflogen – so war er zu Peggys Planet gelangt, als Pilot eines umgebauten Fünfers. Hier waren die Geräte fast die gleichen, nur gab es sie in zweifacher Ausführung. Wenn nicht beide Plätze bemannt waren, konnte der Transporter nicht fliegen. »Willkommen an Bord, Siebter!« Die zierliche, asiatisch aussehende Frau lächelte ihm vom linken Sitz aus zu. »Ich bin Janie Yee-xing, Dritter Offizier. Sie sind meine Ablösung. Kapitän Amheiro muss jeden Augenblick kommen.« Sie bot ihm keine Hand zum Gruß. Walthers hatte das erwartet. Ständig zwei Piloten im Einsatz hieß, dass diese ihre Hände auch ständig an den Instrumenten hatten. Sonst flog der Vogel nicht. Er wäre zwar nicht abgestürzt, aber er würde nicht auf dem richtigen Kurs mit der nötigen Beschleunigung bleiben.
Ludolfo Amheiro kam herein. Er war ein untersetzter, nicht sehr großer Mann mit grauen Koteletten und neun blauen Armspangen über dem linken Handgelenk – nur wenige Leute trugen diese heutzutage noch. Walthers wusste, dass jede von ihnen einen Flug an Bord eines Hitschi-Schiffes bedeutete, und zwar zu der Zeit, als man nie wusste, wohin einen das Schiff führen würde. Hier war ein Mann mit Erfahrung! »Freu’ mich, Sie an Bord zu haben, Walthers«, sagte er von oben herab. »Kennen Sie sich mit der Wachablösung aus? Ist ziemlich einfach. Wenn Sie Ihre Hände auf die Yee-xings auf dem Steuer legen …« Walthers nickte und tat, was er ihm auftrug. Ihre Hände fühlten sich warm und weich an, als sie sie vorsichtig unter seinen herauszog. Dann rutschte sie mit ihrem niedlichen Hintern vom Pilotensitz, um Walthers Platz zu machen. »Das wär’s, Walthers!«, meinte der Kapitän zufrieden. »Der Erste Offizier, Madjhour, wird das Schiff fliegen.« Er winkte dem dunklen, lächelnden Mann zu, der sich gerade auf den rechten Sitz geschoben hatte. »Er wird Ihnen alles Nötige erklären. Jede Stunde haben Sie zehn Minuten Pinkelpause … Ja, das wär’s dann wohl. Essen Sie doch heute mit mir zu Abend, wenn Sie Lust haben.«
Diese Einladung wurde durch ein Lächeln des Dritten Offiziers Janie Yee-xing noch untermauert. Walthers war selbst erstaunt, während er den Erklärungen Ghazi Madjhours zuhörte, dass bereits zehn Minuten vergangen waren, seit er zum letzten Mal an die weggelaufene Dolly gedacht hatte.
Ganz so einfach war es aber nicht. Fliegen blieb Fliegen. Das verlernte man nicht. Aber mit der Navigation war das schon anders, besonders da eine Menge der alten Hitschi-Navigationskarten entschlüsselt worden waren – jedenfalls zum Teil –, während Walthers Schafhirten und Prospektoren auf Peggys Planet herumgeflogen hatte.
Die Sternkarten der S. Ya. waren weit komplizierter als die, welche Walthers auf dem Hinflug benutzt hatte. Es gab zwei Versionen. Die interessantere war die der Hitschi. Auf diesen Karten waren merkwürdige goldene und graugrüne Markierungen eingezeichnet, deren Bedeutung nur teilweise bekannt war. Aber es war wirklich alles eingetragen. Die andere wies sehr viel weniger Details auf, war aber für menschliche Wesen viel zweckdienlicher. Sie war von Menschen erstellt worden und trug englische Beschriftung. Außerdem musste das Schiffslog kontrolliert werden, das automatisch alles aufzeichnete, was das Schiff tat oder sah. Ferner gab es noch die vielen Anzeigen des ganzen internen Systems – die gingen zwar den Piloten nichts an. Wenn aber etwas schief ging, musste er das wissen. All das war natürlich für Audee neu.
Das Erlernen dieser neuen Fachkenntnisse hielt Walthers ganz schön in Trab, was ihm nur recht war. Janie Yee-xing war seine Lehrerin, was ihm auch sehr recht war, weil sie seine Gedanken in andere Bahnen lenkte … außer in den schlimmen Minuten, ehe er einschlief.
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