Manchmal überrascht mich etwas so, dass ich nicht weiß, ob ich weinen oder zornig werden oder lachen soll. Diesmal stand ich rasch auf und starrte auf meine liebe Frau hinunter. Und dann entschied ich, was ich tun wollte, und lachte.
»Manchmal verblüffst du mich, Essie«, sagte ich.
»Aber warum, Robin?« Sie griff nach meiner Hand. »Angenommen, es wäre andersherum, hm? Angenommen, es wäre ich, die vor vielen Jahren eine große, persönliche Tragödie durchgemacht hat. Genau wie die deine, Robin. In der jemand, den ich sehr geliebt habe, sehr zu Schaden kam, auf eine solche Weise, dass ich diese Person nie sehen oder ihr erklären könnte, was geschehen ist. Glaubst du nicht, dass ich unbedingt wenigstens mit ihr sprechen wollte, auf irgendeine Weise, um ihr zu sagen, was ich empfinde?«
Ich wollte antworten, aber sie stand auf und legte ihren Finger auf meine Lippen.
»War eine rhetorische Frage, Robin. Wir kennen beide die Antwort. Wenn deine Klara noch lebt, wird sie unbedingt von dir hören wollen. Da gibt es keinen Zweifel. Also, so ist der Plan«, fuhr sie fort. »Du wirst sterben – nicht bald, hoffe ich. Dein Gehirn geht in die Maschine. Vielleicht mache ich eine Kopie für mich, falls du erlaubst? Aber eine Kopie fliegt zum Schwarzen Loch, um Klara zu suchen, und findet sie und sagt zu ihr: ›Klara, Liebes, was geschehen ist, war nicht zu ändern, aber ich möchte dir sagen, dass ich mein Leben gegeben hätte, um dich zu retten. ‹ Und dann, Robin, weißt du, was Klara dieser sonderbaren Maschine antworten wird, die aus dem Nichts auftaucht, vielleicht nur ein paar Stunden ihrer Zeit nach dem Ereignis?«
Ich wusste es nicht. Der springende Punkt war ja, dass ich es nicht wusste. Aber das sagte ich nicht, weil Essie mir keine Gelegenheit dazu gab. Sie erklärte: »Dann wird Klara antworten: ›Aber ich wusste das, lieber Robin. Denn von allen Männern, die je geboren wurden, bist du derjenige, dem ich am meisten vertraue, den ich am meisten achte und liebe.‹ Ich weiß, dass sie das sagen würde, Robin, weil das für sie die Wahrheit wäre. Wie für mich.«

An seinem zehnten Geburtstag gab Robin Broadhead um sechs Uhr eine Einladung. Die Frau nebenan schenkte ihm Socken, ein Brettspiel und eine Art Juxgeschenk, ein Buch mit dem Titel »Alles, was wir über die Hitschi wissen«. Ihre Tunnels waren vor kurzem erst auf der Venus entdeckt worden, und es gab viele Vermutungen über den Ort, an den die Hitschi gegangen sein mochten, über ihre äußere Erscheinung und ihre Absichten. Der Jux an dem Buch war, dass es zwar hundertsechzig Seiten umfasste, sie aber alle leer waren.
Zur selben Zeit am selben Tag – oder jedenfalls entsprechend der Ortszeit, die sehr verschieden war – ging eine Person vor dem Schlafengehen unter den Sternen spazieren. Der Mann hatte auch einen Jahrestag vor sich, aber keine Einladung. Er war weit entfernt von Robin Broadheads Geburtstagstorte mit ihren Kerzen, über vierzigtausend Lichtjahre, und weit davon entfernt, irgendeine Ähnlichkeit mit dem Aussehen eines menschlichen Wesens zu besitzen. Er hatte einen Namen, aber aus Achtung und aufgrund der Arbeit, die er geleistet hatte, gab man ihm gewöhnlich eine Bezeichnung, die mit »Kapitän« zu übersetzen wäre. Über seinem kantigen, pelzbesetzten Kopf waren die Sterne ungewöhnlich hell und nah. Wenn er zu ihnen aufschaute, schmerzten seine Augen, trotz der sorgsam konstruierten glasartigen Schale, die den Platz umgab, auf dem sein Haus stand, und einen großen Teil des Planeten dazu. Trübe M-Sterne vom roten Typ, heller als der Mond, von der Erde aus gesehen. Drei goldene G-Sterne. Ein einzelner heißer strohfarbener Stern der Klasse F, schmerzhaft anzuschauen. Es gab an seinem Himmel keine Sterne der Klassen O oder B. Es gab auch keine schwach leuchtenden Sterne. Kapitän konnte jeden Stern beim Namen nennen, den er sah, weil es nur an die zehntausend waren, fast alle kühle und alte, und selbst der trübste für das bloße Auge deutlich sichtbar.
Und hinter diesen vertrauten tausenden – nun, er konnte nicht über sie hinaussehen, nicht von dort aus, wo er spazieren ging, aber er wusste aus seinen vielen Raumfahrten, dass hinter ihnen die turbulente, fast unsichtbare blau getönte Schale lag, die alles umgab, was ihm und seinem Volk vom Universum gehörte. Es war ein Himmel, der ein menschliches Wesen zutiefst erschreckt hätte. In dieser Nacht erschreckte er beinahe den Kapitän, der sich noch einmal durch den Kopf gehen ließ, was geschehen würde, wenn er erwachte.
Breit an Schultern und Hüften, schmal an der Brust, watschelte der Kapitän zu dem Band, das ihn zu seinem Schlafkokon zurückbringen würde. Es war eine kurze Fahrt. Nach seinem Wahrnehmungsvermögen nur einige Minuten. (Vierzigtausend Lichtjahre entfernt war Robin Broadhead damit beschäftigt, zu essen, zu schlafen, in die Oberschule zu gehen, zum ersten Mal Haschisch zu rauchen, sich ein Handgelenk zu brechen und es wieder gesund werden zu lassen und fast zehn Kilogramm zuzunehmen, bevor der Kapitän von dem Gleitband stieg.) Der Kapitän sagte gute Nacht zu seinen schläfrigen Zimmergenossen (zwei davon waren von Zeit zu Zeit auch seine sexuellen Gefährten), entfernte die Ranghalsketten von seinen Schultern, montierte das Lebenserhaltungs- und Kommunikationssystem zwischen seinen weit auseinander stehenden Beinen ab, hob den Deckel seines Kokons und schlüpfte hinein. Er drehte sich acht- oder zehnmal herum und deckte sich mit dem weichen, schwammigen, dichten Schlafabfall zu. Das Volk des Kapitäns entstammte nicht Wanderern auf einer Ebene, sondern Grabwesen. Sie schliefen am besten so wie ihre fernen Vorfahren. Als der Kapitän es sich bequem gemacht hatte, griff er mit einer mageren Hand durch den Stoff hinauf und zog den Kokon zu. Wie er es sein ganzes Leben lang getan hatte. Wie alle seiner Art, um gut zu schlafen. Wie sie die Sterne über sich gezogen hatten, um sich zuzudecken, als sie entschieden, dass es notwendig für sie war, sehr lange und unruhig zu schlafen.
Der Jux von Robins Geburtstagsbuch wirkte nicht so ganz, weil er nicht ganz stimmte. Manche Dinge wusste man über die Hitschi. In mancher Beziehung war klar, dass sie menschlichen Wesen völlig unähnlich waren, bis auf einige Ausnahmen. Ihre Neugier etwa. Nur Neugier konnte sie dazu gebracht haben, so viele fremde Orte zu besuchen, die so weit auseinander lagen. Und ihre Technologie. Die Wissenschaft der Hitschi war nicht die gleiche wie die der Menschen, aber sie beruhte auf derselben Thermodynamik, denselben Bewegungsgesetzen, derselben Art von Denken, das Winziges und Ungeheures, das Kernteilchen und das Universum selbst umfasste. Und die Grundchemie des Körpers. Sie atmeten ähnliche Luft. Sie aßen für Menschen verträgliche Nahrung.
Wesentlich für das, was alle über die Hitschi wussten – oder hofften oder vermuteten –, war, dass sie sich, wenn man es ganz genau nahm, von den Menschen gar nicht so sehr unterschieden. Ein paar tausend Jahre voraus, vielleicht, in Zivilisation und Wissenschaft. Vielleicht nicht einmal so viel. Und das, was alle vermuteten (oder hofften), war nicht falsch. Weniger als achthundert Jahre vergingen zwischen der Zeit, als die ersten primitiven Hitschi-Schiffe Masseaufhebung als Transportmethode versuchten, und der Zeit, in der ihre Expeditionen den größten Teil der Galaxis erforscht hatten. (In der Schlucht von Olduvai fragte sich einer von Schielauges Vorfahren, was er mit dem Antilopenknochen machen sollte, den er von seiner Mutter bekommen hatte.)
Achthundert Jahre – aber was für Jahre!
Die Hitschi explodierten. Es gab eine Milliarde von ihnen. Dann zehn. Dann hundert. Sie bauten Fahrzeuge mit Rädern und Rollen, um die unvertraute Oberfläche ihres Planeten zu erobern, und flogen nach kaum zwei Generationen mit Raketen in den Weltraum hinaus; noch einige Generationen mehr, und sie erforschten die Planeten naher Sterne. Sie lernten unterwegs. Sie benutzten Instrumente von ungeheurer Größe und großem Raffinement – einen Neutronenstern als Schwerkraftdetektor; ein Interferometer, ein Lichtjahr lang, um die Radiowellen von Galaxien aufzufangen und zu messen, deren Rotverschiebung sich dem Grenzbereich annäherte. Die Sterne, die sie besuchten, und die Galaxien, die sie betrachteten, waren beinahe identisch mit den von der Erde aus zu sehenden – die astronomische Zeit kümmert sich nicht um ein paar hunderttausend Jahre –, aber sie sahen schärfer und verstanden gründlicher.
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