Ich vermutete, dass sie einen Besichtigungsrundgang unternahm, und wünschte mir, ein bisschen früher gekommen zu sein. Ich hätte bei der Besichtigung gern jemanden dabeigehabt. Ich lehnte mich an den Efeu, der aus einer Tunnelwand wuchs, und zog meine Karte heraus.
Sie verschaffte mir wirklich eine Vorstellung davon, wonach ich suchen musste. Es gab Hinweise wie ›Central Park‹ und ›Superior-See‹. Was konnte das sein? Ich machte mir Gedanken über das ›Gateway-Museum‹, was interessant klang, und das ›Terminal-Hospital‹, was sehr schlimm klang – später kam ich dahinter, dass ›Terminal‹ hier so viel hieß wie ›am Ende der Strecke‹, bei der Rückkehr von einem Flug. Die Gesellschaft musste gewusst haben, dass man das auch anders verstehen konnte, aber die Gesellschaft machte sich nie große Mühe, die Gefühle eines Prospektors zu schonen.
WILLKOMMEN AUF GATEWAY!
Herzlichen Glückwunsch!
Sie sind einer der wenigen Menschen, die jedes Jahr in begrenztem Maß Teilhaber von Gateway Enterprises, Inc., werden. Ihre erste Verpflichtung besteht darin, die beigefügte Vereinbarung zu unterschreiben. Sehen Sie sich die Vereinbarung genau an und suchen Sie, falls verfügbar, juristischen Rat.
Bis Sie unterschrieben haben, besteht jedoch kein Anspruch auf Unterbringung, Verpflegung oder Teilnahme an den Lehrgängen des Unternehmens.
Im Gateway-Hotel und -Restaurant können diejenigen unterkommen, die als Besucher hier sind oder im Augenblick nicht den Wunsch haben, die Vereinbarung zu unterschreiben.
WIE GATEWAY UNTERHALTEN WIRD
Um die Kosten des Betriebs von Gateway zu decken, haben alle Personen pro Kopf einen täglichen Betrag für Luft, Temperatursteuerung, Verwaltung und andere Dienstleistungen zu entrichten.
Wenn Sie Gast sind, werden diese Kosten in Ihrer Hotelrechnung enthalten sein.
Der Tarif für andere Personen ist durch Anschlag bekannt gemacht. Die Steuer kann nach Wunsch bis zu einem Jahr im Voraus entrichtet werden. Bei Nichtentrichtung der täglichen Kopfsteuer wird die sofortige Verweisung von Gateway ausgesprochen.
Hinweis: Die Verfügbarkeit eines Schiffes für ausgewiesene Personen kann nicht garantiert werden.
Was ich wirklich sehen wollte, war ein Schiff.
Als dieser Gedanke heraufgebrodelt war, begriff ich sofort, dass mir das sehr am Herzen lag. Ich überlegte, wie ich zur Oberfläche kommen sollte, wo die Schiffsdocks waren. Während ich mich mit einer Hand an einem Geländer festhielt, versuchte ich mit der anderen die Karte offen zu halten. Es dauerte nicht lange, bis ich mich zurechtgefunden hatte. Ich war an einer Kreuzung mit fünf Abzweigungen, die auf der Karte mit ›Ost Stern Babe G‹ bezeichnet zu sein schien. Einer der fünf Tunnels führte zu einem Fallschacht, aber ich konnte nicht erkennen, welcher.
Ich versuchte es aufs Geratewohl, landete in einer Sackgasse und kratzte auf dem Rückweg an einer Tür, um mir den Weg erklären zu lassen. Sie ging auf.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich … und verstummte.
Der Mann, der die Tür geöffnet hatte, schien so groß zu sein wie ich, war es aber nicht. Seine Augen befanden sich auf einer Höhe mit den meinen. Aber an den Hüften hörte er auf. Er hatte keine Beine.
Er sagte etwas, aber ich verstand es nicht; es war nicht in Englisch. Es hätte auch keine Rolle gespielt. Meine Aufmerksamkeit war ganz gefangen genommen. Er trug gazeartiges, buntes Tuch von den Handgelenken bis zu den Hüften und flatterte leicht mit den Flügeln, um sich in der Luft zu halten. Bei Gateways niedriger Schwerkraft war das nicht schwierig. Aber es war verblüffend, das zu sehen.
»Verzeihung«, sagte ich. »Ich wollte nur wissen, wie ich Etage Tanja erreiche.« Ich gab mir Mühe, ihn nicht anzustarren, aber ohne Erfolg.
Er lächelte. Weiße Zähne in einem faltenlosen, alten Gesicht. Unter kurzen, weißen Haaren hatte er kohlschwarze Augen. Er schwebte an mir vorbei hinaus in den Korridor und sagte in ausgezeichnetem Englisch: »Gewiss. Die erste Biegung rechts, dann bis zum nächsten Stern und die zweite Abzweigung links. Sie ist gekennzeichnet.« Er zeigte mit dem Kinn die Richtung zum Stern an.
Ich bedankte mich und ließ ihn hinter mir schwebend zurück. Ich hätte mich am liebsten umgedreht, aber das entsprach wohl nicht den guten Manieren. Merkwürdig. Ich war nicht auf den Gedanken gekommen, dass es auf Gateway Krüppel geben könnte.
So naiv war ich damals noch.
Nachdem ich ihn gesehen hatte, kannte ich Gateway auf eine Weise, wie ich es aus den Statistiken nicht gekannt hatte. Die Statistiken sind ganz klar, und wir studierten sie, alle von uns, die als Prospektoren heraufkamen, und alle jene, die es sich nur wünschen konnten. Ungefähr achtzig Prozent der Flüge von Gateway erbringen nichts. Ungefähr fünfzehn Prozent kommen überhaupt nicht zurück. Es kommt also von zwanzig Personen im Durchschnitt eine von einem Flug mit etwas zurück, bei dem Gateway – bei dem die Menschheit im Allgemeinen – einen Gewinn erzielen kann. Und die meisten können noch von Glück sagen, wenn sie genug einnehmen, um auch nur die Kosten für ihre Anreise decken zu können.
Wenn man draußen verletzt wird … nun, das ist Pech. Das Terminal-Hospital ist so gut eingerichtet wie nur irgendeines sonst, aber man muss hingelangen, damit einem das etwas nützt. Man kann Monate unterwegs sein. Wenn man am anderen Ende der Reise verletzt wird – und da passiert das gewöhnlich –, kann für einen nicht viel getan werden, bis man nach Gateway zurückkommt. Und bis dahin kann es zu spät sein, einen wieder halbwegs zusammenzuflicken, und oft ist es auch zu spät, einen am Leben zu erhalten.
Für den Rückflug dahin, wo man hergekommen ist, wird übrigens nichts verlangt. Die Raketen kommen immer voller herauf, als sie zurückfliegen. Schwund nennt sich das.
Der Rückflug ist frei … aber wohin?
Ich ließ das Abwärts-Kabel in der Etage Tanja los, bog in einen Tunnel ein und stieß auf einen Mann mit Mütze und Armbinde. Firmenpolizei. Er sprach kein Englisch, deutete aber, und seine Größe war überzeugend; ich packte das Aufwärts-Kabel, fuhr eine Etage hinauf, suchte einen anderen Fallschacht und versuchte es noch einmal.
Der einzige Unterschied war, dass der Wachtposten diesmal Englisch sprach.
»Hier können Sie nicht durch«, sagte er.
»Ich möchte nur die Schiffe sehen.«
»Klar. Geht aber nicht. Sie brauchen ein blaues Abzeichen«, sagte er und tippte auf das seine. »Das sind Spezialisten des Unternehmens, Schiffsbesatzungen oder VIPs.«
»Ich gehöre zu einer Besatzung.«
Er grinste.
»Sie sind ein neuer Fisch von der Erde, nicht? Freund, Besatzungsmitglied sind Sie, wenn Sie für einen Flug eingeteilt sind, und nicht vorher. Gehen Sie wieder hinauf.«
»Sie verstehen doch, was mich bewegt, oder?«, erwiderte ich vernünftig. »Ich möchte nur mal einen Blick riskieren.«
»Das geht nicht, bis Sie Ihren Lehrgang abgeschlossen haben, aber bei dem kommen Sie manchmal hier herunter. Danach sehen Sie mehr, als Sie wollen.«
Ich debattierte noch ein bisschen, aber er hatte zu viele Argumente auf seiner Seite. Als ich nach dem Aufwärts-Kabel griff, schien aber der Tunnel plötzlich zu schwanken, und meine Trommelfelle dröhnten. Im ersten Augenblick dachte ich, der Asteroid explodiere. Ich starrte den Posten an, der nicht unfreundlich die Achseln zuckte.
»Ich habe nur gesagt, Sie können sie nicht sehen«, meinte er. »Ich sage nicht, Sie könnten sie nicht hören.«
Ich verbiss mir das ›Mensch!‹ oder ›Du guter Gott!‹, was ich eigentlich sagen wollte, und fragte: »Wohin fliegt das wohl?«
»Kommen Sie in einem halben Jahr wieder. Vielleicht wissen wir es bis dahin.«
Nun, das bot keinen Anlass zur Hochstimmung. Trotzdem erfüllte sie mich. Nach all den Jahren in den Nahrungsgruben war ich hier – nicht nur auf Gateway, sondern zur Stelle, wenn einige dieser furchtlosen Prospektoren sich auf eine Reise machten, die ihnen Ruhm und unvorstellbaren Reichtum bringen würde. Da kam es auf die Chancen nicht an. Das war wirklich Leben auf der Gipfelhöhe.
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