Aber ich kann nicht einschlafen. Noch nicht. In meinem Kopf rattern die Gedanken. Was sagen mir die Dinge, die ich über Menschen in den letzten Wochen gelernt habe, über Carolin und die Männer? Erstens: Sie findet Marc nett. Zweitens: Sie will aber nicht mit ihm sprechen, weil ihr das Gespräch im Café mittlerweile unangenehm ist. Und drittens: Deswegen redet sie sich ein, dass es sowieso nichts geworden wäre. Genau, so muss es sein! Daraus folgt viertens: Ich muss Marc dazu bringen, mit ihr zu sprechen. Aber wie mache ich das? Wie mache ich das bloß?
FÜNFUNDZWANZIG
Also, deine Theorie ist, dass Marc doch der richtige Mann für Carolin ist und sie es nur nicht zugeben will. Denn dann müsste sie ihn ja ansprechen, und das ist ihr peinlich. Und deswegen hat sie sich etwas zurechtkonstruiert, was angeblich an ihm nicht passt. Hm.« Herr Beck schaut sehr nachdenklich. »Donnerwetter. Du hast viel gelernt. Was allerdings kein Wunder ist, denn du hattest einen exzellenten Lehrmeister.«
»Ja, du bist toll. Aber was denkst du, sollte ich jetzt tun? Immerhin ist die Sache sehr kompliziert. Ich kann leider nicht einfach zu Marc marschieren und sagen He, ruf endlich an! Andererseits fürchte ich, wenn er nicht auftaucht, dann wird das nie etwas mit den beiden.«
Herr Beck nickt. »Tja. Kompliziert. Wirklich.«
Wir schweigen. Dann setzt Beck wieder an: »Im Grunde genommen kannst du nur eines machen: Lauf zur Praxis und hoffe, dass Marc das als Zeichen nimmt.«
»Als Zeichen? Für was denn? Dass ihn ein Dackel verfolgt?«
Herr Beck kichert. »Siehst du! Alles hast du dann doch noch nicht über die Menschen gelernt. Also: Wenn Menschen sich etwas sehr wünschen, neigen sie dazu, in allem ein Zeichen zu erblicken. Was es meistens gar nicht ist. Also, nehmen wir mal an, der Mensch möchte gerne Kinder haben. Dann wird er mit Sicherheit bald über einen Kinderwagen stolpern. Und es für ein Zeichen halten, dass eigener Nachwuchs angezeigt ist. In Wirklichkeit ist es natürlich nur ein Zeichen dafür, dass ihm jemand einen Kinderwagen in den Weg gestellt hat.« »Aha.«
Irgendwie verstehe ich Herrn Beck nicht ganz. Was hat denn jetzt ein Kinderwagen mit Marc und Carolin zu tun? Offensichtlich gucke ich belämmert, denn Herr Beck schüttelt den Kopf und wird gönnerhaft.
»Es ist doch ganz einfach, Herkules: Wenn Marc sich nach Carolin sehnt und dann dich sieht, wird er es für ein Zeichen halten, dass er Kontakt mit ihr suchen sollte.«
»Ja, aber so ist es doch von mir auch gemeint. Das wäre doch Absicht.«
Herr Beck schnaubt ungeduldig. »Sicher. Aber das weiß doch Marc nicht. Der kommt nicht auf die Idee, dass ein Dackel einen Plan hat. Der sieht in dir doch nur ein einfältiges Tier. Und deswegen wird er glauben, es sei ein Zeichen. Verstanden?«
Ehrlich gesagt nein, aber das traue ich mich nicht zuzugeben.
»Also laufe ich jetzt zu Marc und hoffe, dass er mich irgendwie sieht?«
»Genau. So machst du es.«
Vor der Praxis angekommen, wird mir klar, dass unser Plan einen entscheidenden Schönheitsfehler hat: Um diese Zeit ist die Straße hier ziemlich laut, einen bellenden Hund wird Marc wahrscheinlich gar nicht hören. Außerdem wird er kaum zu Hause sein, sondern vielmehr in der Praxis arbeiten. Selbst wenn ich da reinkomme, werde ich mich wohl nicht an der Frau am Tresen vorbeimogeln können. Und ohne begleitenden Hundebesitzer schmeißt die mich wahrscheinlich gleich raus. Seit meiner Jagd auf Bobo und Schneeweißchen genieße ich bei ihr bestimmt einen zweifelhaften Ruf.
Ich sitze also eine Weile auf dem Bürgersteig vor dem Hauseingang und denke nach. Weder nach Hause? Beck zur Hilfe holen? Nein, meine einzige Chance ist, in das Wartezimmer zu kommen und dort von Marc gesehen zu werden.
Als eine Frau mit einer Katze auf dem Arm den Hauseingang ansteuert, mache ich mich startbereit. Sie klingelt, die Tür geht auf, und ich schlüpfe hinter den beiden her. Die Katze beobachtet mich amüsiert. »Na, Kleiner? Heimlich zum Tierarzt? Will Frauchen nicht glauben, dass du krank bist?«
Ich schüttle den Kopf. »Ne, ich bin quasi in geheimer Mission unterwegs. Und wenn man überhaupt von Krankheit sprechen kann, dann würde ich sagen: herzkrank. Aber nicht ich, sondern mein Frauchen. Und der Herr Doktor auch.«
»So, so. Verliebt ist er also. Die Nachricht wird in dieser Praxis ja einschlagen wie eine Bombe. Schätze, die Hälfte der Patienten hier wird nur angeschleppt, weil Frauchen sich mit dem Tierarzt unterhalten will. Ich zum Beispiel werde auch deutlich häufiger entwurmt, seit Wagner die Praxis von seinem Vater übernommen hat.«
Das freut mich natürlich. Schließlich ist das Beste respektive der Beste für Carolin gerade gut genug, und man will sich ja keinen Ladenhüter einhandeln. Es verdeutlicht mir aber auch, dass ich schnell handeln muss. Die Konkurrenz steht schon in den Startlöchern.
Vor dem Tresen macht die Katzenbesitzerin schließlich Halt, um ihren Liebling anzumelden. Die junge Frau dahinter guckt erst zur Katze, dann zu mir.
»Oh, haben Sie jetzt auch einen Hund, Frau Urbanczik?«
Die schüttelt den Kopf. »Nein, warum?«
»Das kleine Kerlchen hier ist doch mit Ihnen hereingekommen.« Sie deutet auf mich.
»Ach, den habe ich gar nicht bemerkt, der muss mir einfach hinterhergelaufen sein. Aber das ist nicht mein Hund.«
Die junge Frau im Kittel schaut in den Warteraum. »Gehört irgendjemand dieser Hund?«
Auf den aufgereihten Plastikstühlen sitzen drei Menschen, sie alle schütteln wortlos den Kopf. So, wenn Wagner nicht gleich auftaucht, ist mein Plan gescheitert. Denn die Helferin wird mich bestimmt gleich rausschmeißen. Ich setze meinen mideidigsten Blick auf.
»Hm, irgendwie kommt mir der Hund bekannt vor. Aber ohne Besitzer kann ich die meisten Tiere gar nicht zuordnen.« Sie überlegt. »Was machen wir denn jetzt mit dir? Ich will dich auch nicht einfach vor die Tür setzen. Wenn du allerdings ganz allein bist, sollten wir dich vielleicht ins Tierheim bringen, bis sich dein Herrchen findet.«
WUFF! Tierheim? Auf keinen Fall! Mist, ich habe mich offensichtlich gerade selbst ans Messer geliefert. Auweia, wie komme ich hier wieder raus? Und wo bleibt eigentlich Dr. Wagner? In diesem Moment geht die Tür des Sprechzimmers auf. Ich will schon meinem Schöpfer danken, doch statt Marc Wagner kommt ein kleines Mädchen durch die Türe. Heute klappt aber auch nichts. Das kleine Mädchen guckt mich an. Es hat ganz große blaue Augen, braune lockige Haare und viele kleine braune Punkte auf der Nase.
»Na, bist du der Nächste? Wie heißt du denn?«
»Wir wissen gar nicht, wie er heißt. Er scheint einfach so hereingekommen zu sein«, erklärt die Helferin dem Mädchen. »Ich werde gleich mal beim Tierheim anrufen.«
»Och nö!«, ruft das Mädchen. »Der ist doch so süß!« Sie bückt sich zu mir und krault mich hinter den Ohren. »Dann will ich ihn behalten. Warte, ich frage gleich mal Papa!«
Die Helferin lächelt. »Aber, Luisa, so einfach geht das nicht. Ich bin mir sicher, dass der Kleine schon längst ein Herrchen oder Frauchen hat, die ihn wahrscheinlich bald vermissen werden. Das Tierheim passt nur auf, bis sich die Besitzer melden.«
Das Mädchen, das Luisa heißt, verzieht den Mund. »Er ist so niedlich. Ich will ihn behalten!« Spricht's und stampft davon in Richtung Sprechzimmer. Durch die halb geöffnete Tür hört man sie mit jemandem sprechen.
»Papa, draußen sitzt ein niedlicher Hund, der ganz allein ist. Guck doch mal, ich glaube, der braucht unsere Hilfe. Können wir ihn nicht behalten? Frau Warnke will ihn ins Tierheim bringen.«
Papa? Mit wem spricht das Kind da bloß?
Die Tür zum Sprechzimmer schwingt jetzt wieder ganz auf und heraus kommen Luisa - und Marc Wagner! Wagner ist »Papa«? Heißt das etwa, Wagner hat ein Kind? Und demnach auch eine Frau? Völlig verwirrt lasse ich mich auf den Po plumpsen.
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