Rums. Das hat gesessen. Man könnte fast meinen, die Dame sei von Herrn Beck gebrieft worden. Beleidigt trolle ich mich wieder unter Carolins Stuhl. Dann eben nicht! Dann macht doch alle, was ihr wollt. Aber sagt hinterher nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.
Den restlichen Abend verbringe ich so gut wie stumm unter Carolins Stuhl. Allerdings macht Carolin auch keine weiteren Anläufe, Jens die schlechte Nachricht zu überbringen. Ob sie es sich wohl anders überlegt hat? Als die beiden schließlich aufstehen, um zu gehen, macht Jens einen Vorschlag, der mir besonders gut gefällt.
»Was hältst du davon, wenn wir noch ein bisschen mit Herkules spazieren gehen? Das letzte Mal waren wir an der Elbe, jetzt könnten wir ihm doch mal die Alster zeigen, oder? Und immerhin war er die letzte Stunde bemerkenswert ruhig. Deine kleine Gardinenpredigt schien also gewirkt zu haben. Das sollten wir belohnen. So von wegen positiver Verstärkung. Was meinst du?«
»Ja, warum nicht? Eine gute Idee.«
Mein Herz schlägt schneller. Bestimmt hat es sich Carolin anders überlegt, da bin ich mir nun ganz sicher. Sonst hätte sie bestimmt dankend abgelehnt.
Der See, der sich Alster nennt, liegt direkt neben dem Lokal. Wir schlendern auf dem breiten Weg direkt am Ufer entlang. Normalerweise würde ich mal eben losrennen und die Gegend erkunden, aber natürlich will ich auch hören, worüber die beiden sich unterhalten. Also bleibe ich erst mal da. Und dann - legt Jens seinen Arm um Carolin! Mittlerweile rast mein Herz richtig, so aufgeregt bin ich. Wie wird Carolin reagieren?
Sie macht erst einmal nichts. Ein gutes Zeichen. Die beiden schlendern weiter, ich immer hinterher.
»Weißt du«, setzt Carolin an, etwas zu sagen, verstummt dann aber wieder. Oh, oh! Doch kein gutes Zeichen?
»Was denn?« Jens bleibt stehen. Die beiden gucken sich nun direkt an, und er nimmt ihre Hände.
»Also, ich finde dich sehr nett, Jens. Aber ich glaube, ich bin noch nicht so weit. Und ich habe Angst, dir falsche Hoffnungen zu machen.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, wir hatten einen sehr romantischen Tag an der Elbe, und der heutige Abend war bis auf die Herkules'schen Ausfälle auch sehr schön. Aber ich denke, dass du dir jetzt vielleicht mehr erhoffst, als ich momentan geben kann. Und ich will dich nicht enttäuschen. Deswegen finde ich es besser, gleich Klartext zu reden. Ich glaube, ich kann mich gerade nicht verlieben. Bevor ich wieder über eine Beziehung nachdenke, muss ich erst einmal ein paar Sachen über mich selbst herausfinden.«
Jens lässt ihre Hände los. »Aha.«
Mehr sagt er nicht. Auweia. Am liebsten würde ich mich unter irgendeinem Busch verstecken, so unangenehm ist mir die Situation.
»Bist du jetzt sauer?«
»Nein. Ich bin nur erstaunt.«
»Ja, das glaube ich. Das hätte mir natürlich auch eher einfallen können.«
»Nein, so meine ich das gar nicht. Ich bin erstaunt, dass du hier allen Ernstes über eine Beziehung nachgedacht hast und dir Sorgen machst, dass ich eine solche will.«
»Ja, willst du denn nicht?«
Jens lacht. »Ne, natürlich nicht. Ich habe schließlich schon eine Freundin.«
WIE BITTE? Vor uns steht offensichtlich Thomas Nr. 2.
»Ja ... aber ... das wusste ich nicht.« Carolin klingt völlig fassungslos. Zu Recht.
»Na hör mal, Mädchen, liest du etwa nie die Gala? Oder die Bunte?«
»Nein, offen gestanden nicht.«
»Gut«, sagt Jens in gönnerhaftem Ton, »dann eben nicht. Aber wenn du sie lesen würdest, wüsstest du, dass ich seit vier Jahren mit Alexa von Schöning zusammen bin, einem sehr erfolgreichen Model.«
»Ja, aber ... was wolltest du denn von mir? Warum hast du dich mit mir überhaupt getroffen?«
»Weil ich dich super niedlich finde. Und weil ich gerne etwas Spaß habe. Alexa weiß das, es ist okay für sie. Ich dachte natürlich, du wüsstest das auch.«
Gut, dass ich nicht sprechen kann. Denn mir fehlen die Worte. Der ist ja schlimmer als Thomas! Der hat ja nicht mal ein schlechtes Gewissen. Carolin hat es auch die Sprache verschlagen.
»Du sagst ja gar nichts mehr. Ich meine, jetzt, wo du weißt, dass ich in festen Händen bin, spricht doch nichts gegen ein bisschen Spaß, oder? Musst dir doch gar keine Sorgen machen, dass ich was Ernstes will. Das müsste dir doch sehr entgegenkommen.« Carolin sagt nichts, sondern starrt ihn nur an.
»He, Carolin, lach mal!« Jens gibt ihr einen Stupps. Ich knurre ihn an. Finger weg von dieser Frau, und zwar sofort!
»O Mann, jetzt nervt der Köter aber echt. Was hat der bloß heute? Ich dachte, der mag mich.«
»Ja«, sagt Carolin fast tonlos, »ich dachte auch, ich mag dich. So kann man sich täuschen. Ich würde jetzt gerne nach Hause fahren.«
»Okay, dann machen wir das. Ich weiß allerdings nicht, warum du jetzt beleidigt bist. Ich meine, ist doch noch gar nichts passiert. Was allerdings sehr schade ist.« Jens grinst, Carolin guckt ihn sehr böse an.
Wir fahren im offenen Wagen zurück. Meine Ohren wehen im Wind, was ein sehr schönes Gefühl ist. Ansonsten fühlt sich gerade gar nichts gut an. Ich komme mir wie ein Riesenidiot vor. Mit diesem Mann wollte ich Carolin verkuppeln. Unfassbar! Ich habe anscheinend überhaupt keine Menschenkenntnis. Gut, Carolin auch nicht, aber das ist nur ein schwacher Trost.
Vor dem Haus hält Jens an. Carolin will sich gerade verabschieden, da beugt sich Jens nach vorne und rückt ihr ziemlich nah auf die Pelle.
»Carolin, jetzt mal im Ernst. Du und ich - das knistert doch richtig. Lass es uns doch wenigstens mal versuchen. Ich will ehrlich sein - ich habe richtig Lust auf dich. Dass du dich jetzt ein bisschen sträubst, macht die Sache nur noch interessanter.«
Carolin sagt nichts und greift nach dem Türgriff. Da packt sie Jens auf einmal, drückt sie wieder in den Sitz und fängt an, sie auf den Mund zu küssen. Carolin schreit auf und will ihn wegstoßen, aber Jens hält sie an den Händen fest und küsst sie weiter.
Ich bin völlig geschockt - das darf doch nicht wahr sein.
Der Schreck hält aber nicht lange an: Ich springe aus dem Fußraum hoch zu den beiden und beiße Jens in genau die Stelle, die schon beim letzten Mal Wunder bewirkt hat. Er brüllt und versucht, nach mir zu schlagen. Dabei muss er Carolin natürlich loslassen. Die nutzt den Moment, reißt die Tür auf, greift mich und springt aus dem Auto. Jens krümmt sich vor Schmerzen. Carolin schmeißt die Beifahrertür zu und läuft Richtung Haus, dann überlegt sie es sich aber anders und dreht sich noch einmal zum Auto.
»Einen schönen Gruß an Alexa. Sie soll sich keine Sorgen machen. Eine Tetanusimpfung hält meines Wissens locker zehn Jahre.«
VIERUNDZWANZIG
»Ah, da ist der Heldenhund!« Nina kommt auf mich zu, bückt sich und überreicht mir mit großer Geste ein Stück Fleischwurst. »Das hast du richtig gemacht, und ich hoffe, der Herr Uhland muss noch sehr, sehr lange an dich denken. Brav!«
Ich muss zugeben, dass ich diese Reaktion durchaus angemessen finde. Auch die Tatsache, dass ich letzte Nacht in Carolins Bett schlafen durfte, erscheint mir die passende Belohnung für einen mutigen Dackel wie mich. Zufrieden kaue ich auf der Wurst herum, während sich Nina noch einmal alle Details des Vorabends schildern lässt. Ab und zu stößt sie ein »Unfassbar!« oder »Gibt's doch nicht« aus, und immer wieder streichelt mich eine der beiden. Mittlerweile liege ich nämlich zwischen Carolin und Nina auf Carolins Sofa und habe alle viere von mir gestreckt. Herrlich! Ich liebe es, am Bauch gekrault zu werden! Das Leben kann so schön sein. Wahrscheinlich brauchen wir doch keinen Mann.
»Hast du das auch schon Daniel erzählt?«
»Nein, und ich glaube, das mache ich auch nicht. Wir haben uns zwar wieder vertragen, und er sagt, es sei okay. Aber trotzdem ist die Stimmung irgendwie angespannt. Da muss ich ihn nicht noch mit einer Schilderung meines grandios verunglückten Rendezvous behelligen.«
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