»Ich habe ihr prophezeit, daß sie in das Zauberland nicht mehr zurückkehren wird, und meine Vorhersage hat sich bewahrheitet«, sagte Ramina stolz. »Wir Feen haben die Gabe, die Zukunft vorauszusehen.«
Auf die Frage, wie der Kampf Anns und ihrer Freunde gegen Urfin ausgehen werde, blieb Ramina jedoch die Antwort schuldig.
Ann erzählte, daß Elli im College studiere und bald Lehrerin sein würde, was die Königin sehr löblich fand.
»Elli ist so zärtlich und lieb zu den Kindern, daß sie bestimmt eine hervorragende Lehrerin sein wird«, versicherte Ramina.
Dann fragte sie noch, wie es dem einbeinigen Seemann Charlie Black und dem wackeren Fred Cunning gehe.
»Prächtige Burschen – sie verdienen es, glücklich zu sein«, sagte Ramina.
Als sie erfuhr, daß Fred die wunderbaren Maultiere hergestellt hatte, mit denen Ann und Tim in das Zauberland gekommen waren, begehrte Ramina, sie zu sehen. Ann versprach, ihren Wunsch zu erfüllen.
Man trennte sich sehr freundschaftlich. Die Abschiedsszene wurde allerdings von Arto verdorben, der sich wieder losgerissen hatte und laut bellte.
Nach dem Abgang der Mäusekönigin beschloß Ann, den Fernseher auszuprobieren, da sie befürchtete, daß er beim Handgemenge im Palast beschädigt worden sei. Sie stellte den Kasten auf den wackligen Tisch, der im Zimmer stand, und sprach erregt die Zauberworte:
»Birelija-turelija, buridakl-furidakl,
Es röte sich der Himmel, es grüne das Gras,
Kasten, Kästchen, zeig mir bitte dies und das!«
Die Mattscheibe begann zu flimmern und zeigte einen Weg, auf dem der Holzfäller und der Scheuch, von Wachen umgeben, dahinwankten.
»Man bringt sie in ein anderes Gefängnis!« rief Ann.
Auf den Holzfäller gestützt, schleppte sich der Scheuch mühsam dahin. Seine Beine knickten bei jedem Schritt ein, und der Kopf lag ihm fast auf der Brust. Man sah, daß er völlig erschöpft war. Nicht viel besser stand es um den Holzfäller. Selbst im Apparat konnte man seine ungeölten Gelenke knacken hören.
Obwohl Ann den Scheuch zum erstenmal sah, erkannte sie ihn sofort – nicht umsonst hatte die Schwester ihr so oft von ihm erzählt. Ja, ihr schien sogar, als habe sie viele Male neben ihm gesessen, seine molligen Hände gehalten und ihm den klugen, sägespänegefüllten Kopf gestreichelt…
»Du Armer«, flüsterte Ann unter Tränen. »Was haben sie nur aus dir gemacht!«
Man hörte, wie der Holzfäller seinem Gefährten Mut zusprach. Als dies nicht half, nahm der eiserne Mann den Scheuch auf die Arme und trug ihn, wie eine liebevolle Mutter ein krankes Kind.
Wackerer Holzfäller! Dein liebevolles Herz war immer treu, selbst in den schwersten Stunden… Ach, würden die Menschen aus Fleisch und Blut sich so verhalten wie du, wieviel schöner wäre das Leben auf Erden!
Die zeitweilige Herrscherin der Smaragdeninsel, die weniger empfindlich war als die anderen Zuschauer, beobachtete kühl, wohin die Marranen die Häftlinge führten. Von Zeit zu Zeit krächzte sie leise:
»Kreuzung der zwei Eichen… Erdbeerhügelfarm… Und jetzt? Ach so, da ist ja die Verliebtenbrücke… Oh, nun weiß ich, wohin man sie führt«, rief sie plötzlich freudig: »Auf das Gut von Ol Burn!«
»Worüber freut Ihr Euch denn?« fragte Ann mißmutig.
»Wie soll ich mich nicht freuen«, erwiderte die Krähe, »wo ich doch jeden Stein und jeden Strauch dort kenne. Wenn man sie jetzt in den Gemüsekeller sperrt… Ganz richtig, da ist er ja schon!«
Kaggi-Karr bog sich vor Lachen.
Auf die stumme Frage ihrer Freunde sagte sie:
»Das Dach dieses Kellers hat ein Loch, durch das ich schon eine Menge Äpfel und Birnen geklaut habe. Ha, ha, ha!«
Anns und Tims Gesichter hellten sich auf. Aus den Worten der Krähe wurde ihnen klar, daß sie von nun an eine Verbindung mit dem Holzfäller und dem Scheuch haben würden. Ihre Freude steigerte sich noch mehr, als der Bildschirm einen Schuppen zeigte, in dem sie Din Gior und Faramant erblickten. Die Kinder erkannten den einen am langen Bart, den anderen an der grünen Brille, die er niemals absetzte.
»Hurra!« frohlockte Tim. »Jetzt werden wir sie alle auf einmal befreien!«
In der Tat, jetzt war ihre Aufgabe viel leichter. Das Schicksal des langbärtigen Soldaten und des Hüters des Tores hatte ihnen große Sorgen bereitet, um so mehr, als sie nicht wußten, wo sie die beiden suchen sollten. Nun aber hatten sie die Möglichkeit, alle vier mit einem Schlag zu befreien.
Die Kinder baten den Kasten, er möge ihnen auch Urfin Juice zeigen, und im Nu ging ihr Wunsch in Erfüllung.
Urfin saß finsteren Angesichts auf seinem Thron. Tim verspürte große Genugtuung, als er eine riesige Beule auf dessen Kopf sah, die der Verband nur schlecht verdeckte.
Vor Urfin stand der Polizeichef, der dicke, rotschopfige Enkin Fled.
»Ich fühle«, sagte Urfin und rieb sich die Beule, »daß auf der Smaragdeninsel Freunde des Scheuchs, die ich nicht kenne, ihr Unwesen treiben. Vor acht Jahren hätte ich geschworen, daß wir es mit dem Mädchen Elli zu tun haben.«
Um nicht loszuprusten, hielt Ann die Hand vor den Mund.
»Bring die Polizei und alle meine Räte und Anhänger auf die Beine!« fuhr Urfin fort. »Laß ausrufen, daß ich auf die Köpfe der unbekannten Feinde zehn… nein, fünf der größten Smaragde aus meiner Schatzkammer setze!«
Die Krähe bat, auf das Violette Land umzuschalten, denn sie wünschte Lestar zu sehen, den kleinen ruhigen Alten, der, wie Ann aus den Berichten Ellis wußte, ein sehr findiger Ingenieur war.
Der Bildschirm zeigte Lestar auf einem riesigen Erdhaufen, um den sich ein tiefer Graben hinzog, hinter dem steinerne Türmchen mit Schießscharten ragten.
»Sie bauen Befestigungen!« rief Tim. »Rellem hat die Wahrheit gesagt.«
»Habt ihr denn daran gezweifelt?« fragte Kaggi-Karr. »Diese Information hat er doch von mir bekommen!«
Die Krähe hatte vom Scheuch viele unbekannte Wörter übernommen, mit denen sie von Zeit zu Zeit ihre Rede ausschmückte.
Anns Herz begann heftig zu klopfen, als sie hinter dem Erdhaufen den Löwen hervortreten sah. Er sagte zum Ingenieur:
»Freund Lestar, Euer Werk macht gute Fortschritte. Aber seid Ihr sicher, daß Urfin uns nicht überrascht, bevor es fertig ist?«
»Ich habe Vorkehrungen getroffen«, erwiderte Lestar. »Die ganze Straße bis zur Smaragdeninsel wird von Vögeln überwacht, denen hölzerne Boten beigegeben sind. Sobald Urfins Armee sich in Marsch setzt, werden wir in wenigen Stunden darüber unterrichtet sein. Vorläufig gibt es keinen Grund zur Aufregung.«
»Man sieht, daß er durch die Schule des Feldmarschalls Din Gior gegangen ist«, sagte die Krähe voller Hochachtung. »Ich werde Lestar zum zeitweiligen Herrscher des Violetten Landes ernennen. Ich glaube, er ist der geeignete Mann für dieses hohe Amt. Gleich heute will ich den Befehl über die Vogelstaffel weitergeben. Wie ich sehe, ist auch der Löwe eingetroffen. Das lob ich mir. Und jetzt laßt uns mal sehen, wie es bei den Käuern steht. Wie weit mag wohl Oberst Chart gekommen sein?«
Wieder hatten die Zuschauer Grund zum Staunen: Der Bildschirm zeigte ein heiteres blaues Dorf. Vor blauen Häusern spielten auf der Straße Kinder in blauen Hemden und blauen Höschen.
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