Der Marsch war auch ohne Kanone nicht leicht. Noch ein Glück, daß mehr als zwei Dutzend Holzköpfe mit Lan Pirot an der Spitze mit dabei waren. Die kräftigen Holzkerle hatten den ganzen Wageninhalt – Bettzeug, Proviant und Werkzeug – auf ihre Schultern geladen, und jetzt schritten sie dem Zug voran, hielten Ausschau, suchten das Gelände nach Hinterhalten und Fallen ab und räumten große Steine aus dem Wege.
In der zweiten Reihe schritten Charlie Black und Tim, der Arto auf dem Arm hielt (das Hündchen mußte seine Kräfte für den kommenden Kampf mit Arachna schonen). Ihnen folgte der Eiserne Holzfäller, der den Scheuch stützte, weil der Ärmste fortwährend taumelte und oft hinfiel, was den ganzen Zug aufhielt. Din Gior und Faramant schritten an der Seite des dicken Doktor Boril, dem die Arzneitasche wie gewöhnlich an der Hüfte baumelte. Din Gior trug den Zauberfernseher, den man den Holzköpfen nicht anvertraute, und auf der Schulter Faramants hockte die Krähe Kaggi-Karr. Das Ende des Zuges und seine Rückendeckung bildete der majestätisch stampfende eiserne Ritter Tilli-Willi.
Die Luftstreitkraft der kleinen Armee repräsentierte Karfax. Er trug Ann auf dem Rücken und hielt nach allen Seiten Ausschau.
Unsere Helden freuten sich ungemein, als sie die Grenze der Besitzungen Arachnas überschritten. Über ihnen spannte sich ein blauer Himmel, den kein einziges Wölkchen trübte, ein Himmel, wie sie ihn schon lange nicht gesehen hatten. Die Sonne sandte freigebig ihre Strahlen auf sie herab, und belebende frische Luft strömte in ihre Lungen, die schon lange nicht so frei geatmet hatten. Die Menschen nahmen die Rafalooblätter, die sie schon längst satt hatten, vom Mund und beglückwünschten sich gegenseitig. Selbst die Holzköpfe jauchzten vor Freude, denn sie fühlten, daß ihre nassen Körper, die so viele Tage die Sonne entbehren mußten, schnell trocken wurden. Nur Tilli-Willi blickte verständnislos zum Himmel – er hatte in seinem kurzen Leben eine solch herrlich strahlende Sonne noch nicht gesehen.
Nach mehreren Wegstunden, als es auf den Abend zuging, beschloß man, Rast zu machen und den Morgen abzuwarten, weil man nicht im Dunkeln bei der Höhle Arachnas ankommen wollte, wo vielleicht Fallen vorhanden waren.
Wie herrlich war diese Nacht in der frischen warmen Luft unter den großen funkelnden Sternen am tiefblauen Himmel!
Auf seinem harten Lager ausgestreckt, betrachtete Charlie Black den Himmel.
»Diese Pracht hat die verdammte Hexe dem Zauberland geraubt! Schon allein deswegen verdient sie den Tod!« sagte er.

Ann, Tim und Arto verbrachten unter den flauschigen Schwingen Karfax’ eine sehr angenehme Nacht.
Als der Morgen graute, machte sich der bunte Zug wieder auf die Beine, und in drei Stunden erreichte er die Höhle Arachnas. Sie war leer, und auch die Zwerge waren spurlos verschwunden.
Bevor man in den letzten, entscheidenden Kampf zog, wollte der Scheuch sich noch einmal die Hexe im Fernseher angucken.
Man stellte den Zauberkasten auf einen flachen Stein, und alle drängten sich vor den Bildschirm. Der Scheuch sprach die Zauberworte, der Schirm leuchtete auf, und bald war auf ihm auch Arachna zu sehen. Sie stand, in ihr blaues Gewand gehüllt, geduckt zwischen wilden Felsen. Das Gesicht der Hexe war vor Wut und Angst verzerrt. Sie hielt nach allen Seiten Ausschau, und man konnte erkennen, daß sie sich fürchtete, in ihrem Schlupfwinkel entdeckt zu werden. Neben ihr lag griffbereit eine gewaltige Keule.
»Oho, die liebe Person hat sich aber schwer bewaffnet!« sagte Faramant.
Tilli-Willi rief:
»Gegen mein Schwert ist dieses Holzstück eine Nichtigkeit, das kann ich bei allen Fockmasten schwören!«

Nachdem sie ergebnislos nach dem Zauberbuch Arachnas gesucht hatte, machte sich die Schar wieder auf den Weg. Das ganze schwere Gepäck blieb auf dem Platz vor der Höhle liegen.
Arto lief schnuppernd voran. Er hatte die Spur der Hexe aufgenommen und folgte ihr so sicher wie ein Mensch, der sich frei auf der Straße einer Stadt bewegt. Lestar und Tilli-Willi hatten es nicht leicht, dem zottigen schwarzen Tier zu folgen, das wie ein Knäuel durch Büsche, mannhohes Gras und Geröll rollte. Deshalb flog Kaggi-Karr über ihren Köpfen und wies ihnen den Weg. In der hintersten Reihe schritten die Holzköpfe und die Menschen, und über ihnen schwang Karfax gleichmäßig seine gewaltigen Flügel. Er trug jetzt niemanden auf dem Rücken, denn es stand ein schwerer Kampf bevor, und er wäre glatt überfordert gewesen, wenn er sich noch um einen Reiter zu kümmern und auf ihn acht zu geben hätte.
Alle halbe Stunde prüfte der Scheuch im Fernseher, ob die Hexe noch in ihrem Schlupfwinkel steckte. Arachna war noch da, doch ihr Verhalten wurde immer unruhiger. Sie hielt ihre Augen so starr auf den Himmel gerichtet, daß man befürchten mußte, sie werde den Adler entdecken. Charlie Black gab Karfax durch ein Zeichen zu verstehen, er solle niedriger fliegen, worauf dieser in Tiefflug überging.
»Die Spur Arachnas ist jetzt frischer und deutlicher zu erkennen«, meldete Arto. »Wir nähern uns ihrem Schlupfwinkel.«
Der Weg wurde inzwischen immer schlechter. Viele Schluchten, schmale und breite, unterbrachen ihn. Über die schmalen schlugen die Holzköpfe Brücken aus den mitgenommenen Stämmen, die breiten mußten umgangen werden. Tilli-Willi, der an der Spitze des Zuges schritt, mußte größte Vorsicht beobachten, denn ein winziger Fehltritt hätte genügt, damit er abstürzte und sich schwere Verletzungen zuzog, was den ganzen Feldzug gefährden konnte.
»Wie weit sich diese verdammte Hexe verzogen hat!« ächzte der kurzbeinige Boril, der seinen Gefährten kaum noch folgen konnte.
»Bleibt doch zurück, Doktor!« schlug ihm Charlie Black mehrmals vor.
»Um nichts in der Welt! Die Medizin muß immer auf ihrem Posten sein!« erwiderte jedes Mal der tapfere kleine Doktor und setzte keuchend und schwitzend den Weg fort.
Plötzlich tauchte auf einem Berggipfel die riesige schwarze Figur Arachnas auf, die das Nahen ihrer Feinde entdeckt hatte.
Der Zug Charlie Blacks war jetzt Zielscheibe eines schweren Steinbombardements, das die Hexe eröffnete. Mit ihren gewaltigen Händen hob sie riesige Steine auf und schleuderte sie auf weite Entfernung. Beim Aufschlag zerbrachen die Steine, und mächtige Brocken flogen nach allen Seiten. Einer hatte bereits einen Holzkopf getroffen und zerfetzt. Die Steine, die auf Tilli-Willi zuflogen, wurden von ihm geschickt mit dem Schild pariert.
Kapitän Black hatte in der Nähe zwei große gegeneinander gelehnte Steinplatten entdeckt, die eine Art Dach bildeten, unter dem er und seine Gefährten Deckung vor dem Steinhagel fanden.
Der Seemann sagte:
»Wenn Giganten kämpfen, sollen sich Zwerge lieber fernhalten. Unsere Schläge sind für die Riesen nicht mehr, als Mückenstiche.«

Um das Bild der Schlacht besser verfolgen zu können, hatte sich der Seemann dicht am Ausgang postiert. Er sah, wie Tilli-Willi zäh den Hang erklomm, während die Hexe gewaltige Steine auf ihn hinabwarf. Bangen Herzens beobachtete er, wie die Felsbrocken mit schrecklichem Gedröhn hinabrollten. Sie waren so groß, daß kein Schild sie hätte abwehren können. Wenn ein Brocken auf Tilli-Willi zuflog, wich er geschickt aus, und das Geschoß flog sausend an ihm vorbei.
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