Die Schlacht der Zwinkerer mit der mächtigen Arachna dauerte nicht mehr als zehn Minuten. Als Arachna Reißaus nahm, brachen alle Anwesenden in ein Siegesgeheul aus. Die Hexe auf dem Teppich aber dachte bei sich:
›Urfin Juice hatte recht, als er sagte, freiheitliebende Völker seien nicht so leicht zu unterwerfen. Aber ich gebe dennoch nicht auf!…‹
Sie befahl dem Teppich, zur Smaragdenstadt zu fliegen. Arachna wußte nicht, daß über die Vogelstafette bereits ein Bericht über alles, was sich im Marranental und vor dem Violetten Palast zugetragen hatte, an den Scheuch abgegangen war und daß dieser Bericht vor ihr eintreffen würde.
Während Arachnas Teppich mit der Geschwindigkeit eines alten, wackligen Eisenbahnzugs dahinsegelte, fraß in ihr die Erinnerung an die Erniedrigungen, die sie von den Marranen und den Zwinkerern erlitten hatte. ›Wie war es möglich, daß diese Jammerlappen eine so mächtige Zauberin wie ich es bin, eine Zauberin, die nur ein Hurrikap besiegen konnte, in die Flucht geschlagen haben?‹ fragte sie sich. Aber wie groß ihr Ärger auch war, sie mußte eingestehen, daß sie die Schwächere gewesen war.
›Das kommt daher, daß ihrer viele sind, während ich ganz allein dastehe‹, folgerte sie. ›Der elende Feigling, der da zu meinen Füßen sitzt und mit den Knien schlottert, kann doch nicht als Helfer zählen! Selbst mit dem einfachsten Auftrag wird er nicht fertig. Doch wen soll ich mir schon als Bundesgenossen wählen?…‹
Nach langem Überlegen sagte sie sich, daß im Zauberland weder Menschen noch Tiere vorhanden sind, die ihr zu helfen bereit wären.
»Dann werde ich eben allein weiterkämpfen!« knirschte Arachna. »Und Urfins Geschwätz werde ich mir aus dem Kopf schlagen!«
Wenn sie als Zauberin so dachte, so bedeutete das zweifellos, daß sie die Prophezeiungen des ehemaligen Königs nicht vergessen konnte. Die Stimmung der Hexe war schrecklich. Nicht nur, weil sie zwei Niederlagen erlitten hatte, sondern auch, weil ihre nackten Füße froren und der Hunger sie plagte. Sie hatte einen ganzen Tag nichts zu sich genommen und hätte jetzt wohl eine ganze Ochsenherde verschlingen können. Doch weit und breit war kein Vieh zu sehen. Die Farmen, an denen sie vorbeikamen, waren leer, denn die Vögel hatten über ihre Stafette die Farmer gewarnt, und diese hatten ihr Vieh versteckt und hielten sich selbst an Orten verborgen, die niemand erspähen konnte. Es blieb Arachna nichts anderes übrig, als vor einem Obsthain niederzugehen und sich mit Früchten vollzustopfen, obwohl sie diese gar nicht mochte.
Nachdem sie ihren Hunger leidlich gestillt hatte, flog sie weiter. Unterdessen hatte die Vogelstafette die Nachricht vom Nahen der Hexe bereits zur Smaragdeninsel getragen. Der Scheuch berief sofort seinen Stab ein. Als erster erschien Feldmarschall Din Gior, der seinen prächtigen knielangen Bart mit einem goldenen Kamm gekämmt hatte. Dann trafen der Versorgungschef der Armee Faramant und die Leiterin des Nachrichtenwesens Kaggi-Karr ein. Bevor man Entscheidungen traf, mußte man genau wissen, welche Gefahr drohte. Auf einem kleinen Tisch stand der Kasten mit dem Bildschirm, den Elli einst dem Scheuch geschenkt hatte. Die Mitglieder des Stabs nahmen vor dem Fernseher Platz, und der Scheuch sprach:
»Birelija-turelija, buridakl-furidakl, es röte sich der Himmel, es grüne das Gras – Kästchen, Kästchen, bitte zeig uns das: Zeig uns die Hexe mit dem Zauberteppich!«

Auf dem Schirm begann es zu flimmern, dann erschien vor dem Hintergrund des Himmels ein Teppich, auf dem eine riesige Frau saß. Bei ihrem Anblick wurde es nicht nur den Stabsmitgliedern, sondern sogar dem Scheuch unheimlich. Grausig war das Aussehen der Hexe mit dem langen blauen Gewand, dem grimmigen roten Gesicht und dem Büschel pechschwarzer Haare auf dem Scheitel. Zu ihren Füßen kauerte eine kleine Figur, in der der Scheuch und seine Gefährten sofort Ruf Bilan erkannten.
»Oh, da ist ja auch der Verräter!« rief Faramant überrascht aus. »Völlig unverständlich, wie der zur Hexe gekommen und ihr Kumpan geworden ist!«
»Lump zu Lump gesellt sich gern«, schnarrte die Krähe wütend. »Es soll mich nicht wundern, wenn irgendwo in der Nähe auch der ehrsüchtige Urfin Juice auftaucht. Ist doch auch einer von dieser Sorte…«
Im Scheuch erwachte die Neugier.
»Laßt uns sehen, wo das Früchtchen steckt. Einen Feind soll man beobachten, sooft man nur kann. Ich habe zu selten Stellas Geschenk benutzt, ja diesen Vorwurf kann ich mir nicht ersparen.« Er wandte sich dem Fernseher zu und sprach:
»Birelija-turelija, buridakl-furidakl, es röte sich der Himmel, es grüne das Gras – Kästchen, Kästchen, bitte zeig uns das: Zeig uns Urfin Juice, wo immer er auch sein mag.«
Da erschien auch schon auf dem Bildschirm eine schöne Wiese mit einem schmucken Häuschen in der Mitte und Bauten im Hintergrund. Vorne stand in einem Gemüsegarten Urfin auf den Knien und jätete ein Gurkenbeet. Daneben hockte die Eule Guamoko. Der Scheuch und seine Gefährten hörten, was die beiden sprachen:
»… so, so, um nichts in der Welt?« sagte die Eule, die wahrscheinlich einen Satz beendete.
»Um nichts in der Welt«, bestätigte Urfin. »Sie tat alles, um mich zu überreden, doch ich blieb fest und wiederholte: ›Bei diesem Unfug mach ich nicht mit!‹«
»Buchstäblich so hast du gesagt, Herr?«
»Buchstäblich!«
»Und was hat sie darauf erwidert?«
»Sie hat mit den Füßen getrampelt und gebrüllt, daß die Höhle erzitterte und beinahe einstürzte. Ich, kreischte sie, bin eine mächtige Zauberin, ich, kreischte sie, zerdrücke dich wie eine Fliege, wenn du nicht gehorchst und nicht in meine Dienste trittst!«
»Und du?«
»Ich sagte nur: Auch wenn Ihr mich zerdrückt, gegen mein Volk ziehe ich nicht! Ich habe ihm genug Böses zugefügt…«
»Und was tat die Hexe dann?«
»Sie fuchtelte mir mit der Faust vorm Gesicht, und ich muß dir sagen, diese Faust war fast so groß wie mein Haus…«
Der Scheuch und seine Freunde blickten sich verdutzt an. Es war fast nicht zu glauben, daß das derselbe Urfin war, der sich zweimal zum Herrscher des Zauberlandes aufgeworfen hatte. Natürlich wußten die Zuhörer nicht, daß dieser ehemalige König bei der Wiedergabe seines Gesprächs mit Arachna reichlich übertrieb und daß er gehörig auflegte, als er von den Drohungen der Hexe erzählte. Doch im wesentlichen stimmte es schon, was er sagte, im wesentlichen sprach er die Wahrheit! Denn hätte er dem Drängen der Hexe nachgegeben, würde er jetzt wohl doch neben ihr auf dem fliegenden Teppich sitzen und nicht in seinem fernen Garten auf dem Gurkenbeet Unkraut jäten.
Urfin und die Eule sprachen jetzt über etwas anderes, doch der Scheuch hatte genug gehört. Er wußte nun, daß Urfin kein Feind, sondern eher ein Verbündeter war, und daß er allem Anschein nach den Menschen helfen würde, wenn sie ihn riefen.
Der Scheuch stellte den Fernseher ab. Jetzt wußten er und sein Stab, mit wem sie es zu tun hatten. Sie verspürten aber keine große Angst. Sie erinnerten sich, wie sie die Smaragdenstadt gegen Hunderte Holzköpfe Urfins und ein ganzes Marranenheer verteidigt hatten… Diesmal war der Feind nur eine Person, freilich von gewaltigem Wuchs und ungeheurer Kraft, aber immerhin nur eine Person, denn Ruf Bilan zählte ja nicht.
Bis zur Ankunft Arachnas würden noch ein Tag und eine Nacht vergehen, das war klar, und die Einwohner gingen ungesäumt daran, Verteidigungsanlagen zu bauen. Von den Vögeln hatten die Militärführer der Stadt bereits erfahren, daß die Hexe einen ganzen Obsthain vertilgt hatte, woraus man schließen konnte, daß sie sehr hungrig sein mußte. Man ergriff also Maßnahmen, damit sie keine Nahrungsmittel bekam.
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