wicht verlor und Bilan bis an den Rand des Teppichs rollte. Er wäre bestimmt abgestürzt, hätte die Hexe ihn nicht rechtzeitig mit ihrer riesigen Pranke gepackt und festgehalten.
Es entspann sich ein Kampf zwischen der Hexe und dem Drachen. Arachna befahl mit gellender Stimme dem Teppich, hochzufliegen, doch Oicho, der Drachen, zerrte ihn verbissen herunter. Da das geflügelte Ungeheuer sehr kräftig war, begann der Teppich abzusinken. Schon streckte der Drache seine mächtige Tatze aus, um ihn zu umklammern, doch in diesem Augenblick riß der Teppich, und ein großes Stück löste sich von ihm los und blieb in den Zähnen des Drachen.
Oichos Kopf tauchte mit dem abgerissenen Zipfel im Hain unter, während der Rest des Teppichs sich sonderbar zu bauschen begann und dann mit seinen Insassen wieder hochflatterte.
Wir wollen hier gleich erzählen, was später mit dem Zipfel des Zauberteppichs im Land der Unterirdischen Erzgräber geschah. Er hatte sich einen der Größe angemessenen Teil der Auftriebskraft erhalten, die ausreichte, um einen Menschen in der Luft zu tragen. Die Erzgräber reinigten das Stück Teppich, stopften und besäumten es, und als dies geschehen war, benutzte es der Herrscher des Landes, Ruschero, für Geschäftsreisen. Einmal flog er mit dem Zipfel sogar zu seinem Freund Prem Kokus, dem Herrscher des Landes der Käuer.
Nach dem Gefecht mit Oicho knirschte die Hexe:
»Mir reicht’s! Jetzt sehe ich, wie recht Urfin hatte! Die Völker hängen an ihrer Freiheit, sie wollen nicht auf sie verzichten…« Und sie befahl dem Teppich: »Fliege zurück! Zur Höhle!«
Ruf Bilan aber lispelte:
»Gnädige Herrin, noch waren wir nicht bei den Käuern! Ich versichere Euch: Ihr braucht Euch nur zu zeigen, und sie werden sich auf der Stelle unterwerfen. Das sind die schüchternsten und friedlichsten Menschen auf der Welt, sie fürchten sich schrecklich vor jeder Waffe. Schon der Anblick eines Küchenmessers läßt sie erbeben. Fliegen wir zu den Käuern, Herrin!«
»Schön, ich will das letzte Mal auf deinen Rat hören«, erwiderte die Hexe finster. »Teppich, du sollst uns jetzt zu den Käuern tragen!«
Die Käuer waren in der Tat schüchterne und friedliche Menschen, und man durfte annehmen, daß sie es niemals wagen würden, sich in einen Kampf mit der mächtigen Zauberin einzulassen. Doch sie fanden ein anderes Mittel, um sich ihrer zu erwehren.
Die Vogelstafette hatte sie längst von der Absicht der Hexe unterrichtet, und sie verbargen sich in den dichten Wäldern und Erdhütten, deren es viele in ihrem Lande gab. Schon ein Jahr zuvor, als sie sich auf den Überfall der Marranen vorbereiteten, hatten sie in den Wäldern geräumige Unterstände gebaut, in denen sie jetzt mit ihren Familien und ihrem Vieh Zuflucht fanden.
Als die Hexe auf ihrem heftig schlingernden Teppich schließlich das Blaue Land erreichte und mit ihrem Diener in den hübschen freundlichen Dörfern der Käuer zu stöbern begann, fand sie kein Lebewesen und auch nichts Eßbares vor. Nur in einer Hütte gewahrte sie einen zurückgelassenen Kater, den sie wütend am Schwanz packte und mit solcher Wucht gegen einen Baum schmetterte, daß von dem armen Tier nichts übrigblieb.
»Du hast dasselbe verdient, verdammter Lügner!« fauchte sie den schlotternden Ruf Bilan an. »Es wird den Einwohnern des Zauberlandes eine Freude sein, sich einer so mächtigen Gebieterin wie Euch zu unterwerfen! Haha!« wiederholte sie höhnisch die Worte, die der Verräter einmal gesagt hatte. »Wo ist nun diese Freude geblieben, sag, wo ist sie! Ich sehe keine Spur davon!«
Bei diesen Worten vergingen dem Knirps Hören und Sehen, und er zitterte wie Espenlaub.
Als die beiden mit dem Teppich wieder aufstiegen, glitten unter ihnen langsam in Nebel gehüllte Felder und Wälder dahin.

Zweiter Teil Schwere Tage des Zauberlandes

Mit Ach und Krach schaffte der beschädigte Teppich den Rest des Weges zur Höhle. Beim Anblick der zu ihrem Empfang herbeigeeilten Zwerge befahl die Hexe barsch:
»Essen her! Gebratene Ochsen! Aber dalli!«
Über drei Feuern wurden Ochsen gebraten, die einer nach dem anderen im Rachen der Riesin verschwanden. Die Köche fielen vor Müdigkeit fast um, als die Hexe vom Tisch aufstand.
»Jetzt will ich schlafen«, brummte sie.
Doch bevor sie sich hinlegte, befahl Arachna den Zwergen, ihr ein Paar neue Schuhe zu nähen. Kastaglio, der Chronist, war sehr neugierig, wo die Schuhe der Herrin geblieben waren, doch er wagte es nicht, sie danach zu fragen.
Seine Neugier befriedigte Ruf Bilan. Der klatschsüchtige Verräter konnte der Versuchung nicht widerstehen, die Geschichte der traurigen Abenteuer Arachnas wiederzugeben. Kastaglio trug sie in den letzten, unabgeschlossenen Band der Chronik ein, und dadurch sind die damit zusammenhängenden Begebenheiten auch uns bekannt geworden.
Kaum hatte sich die Zauberin hingelegt, da versank sie auch schon in einen tiefen Schlaf. Drei Wochen hintereinander schlief sie, und die Zwerge hofften schon, ihr Schlaf werde wieder viele Jahre dauern. Die kleinen Menschlein wagten es jedoch nicht, den Befehl der Gebieterin zu mißachten, und nähten ihr ein Paar neue Schuhe.
Das war keine leichte Aufgabe! Zur Erfüllung des Auftrags waren die Häute von Hundert Ochsen notwendig, die sich in den Vorratsspeichern des vorsorglichen kleinen Volkes fanden.
Man nahm das Fußmaß der schlafenden Hexe, und dreißig Schuster begannen auf der Wiese vor der Höhle die Schuhe zuzuschneiden, während zehn Gehilfen den Zwirn drehten und pechten. Die Sohlen schafften die Schuster mit Leichtigkeit, doch die Oberteile bereiteten ihnen viel Mühe, und erst als Leitern herangeschafft wurden, ging ihnen die Arbeit etwas schneller von der Hand.
Beim Nähen der Schuhe wurden vierhundertsiebzehn Knäuel Zwirn verbraucht und siebenhundertvierundfünfzig Ahlen zerbrochen, denn das Leder war dick, und man mußte in einer unbequemen Lage arbeiten. Das alles kostete viel Schweiß, doch als Arachna erwachte, standen die riesigen Schuhe fertig vor ihr. Die Hexe zog sie an und war zufrieden, sie mußte zugeben, daß es gediegene Arbeit von Handwerkern war, die ihr Fach beherrschten.
»Bringt mir das Essen!« befahl sie.
Als sie satt war, legte sie sich in die Sonne und dachte nach, wie sie sich an den Menschen rächen könnte.
›Nehmen wir an, ich versuche, ihnen ein markiges Erdbeben zu bescheren‹, überlegte Arachna. ›Das wird mir wahrscheinlich nicht gelingen. Wenn ich nicht einmal das Marranental gehörig durchschütteln konnte, wie sollten mir die Kräfte für das ganze Zauberland reichen? Vielleicht soll ich Heuschrecken auf sie hetzen? Vor meinem langjährigen Schlaf pflegte mir das zu gelingen. Die Heuschrecken werden das Korn auf den Feldern, das Gras auf den Wiesen und die Früchte in den Obstgärten auffressen… Aber was wird dann geschehen? Das Vieh wird vor Hunger krepieren, und ich selbst werde dann nichts zu essen haben. Nein, das kommt nicht in Frage! Was habe ich noch auf Lager? Aha, die Überschwemmung. Damit werde ich sie schon kleinkriegen! Wenn es drei Wochen unaufhörlich gießt, die Flüsse aus den Ufern treten und die Menschen auf die Dächer flüchten, um sich vor der Flut zu retten, ja, dann werden sie heulen!‹ Doch im selben Augenblick beschlichen sie Zweifel: ›Schön, sie werden heulen, doch was hab ich davon? Sie werden nicht glauben, daß ich ihnen das Hochwasser geschickt habe, sondern sagen: Die Natur! Das kommt von der Natur! Und niemand wird es ihnen ausreden können!‹ Arachna lag lange da und zerbrach sich den Kopf, dann sprang sie plötzlich auf und stieß einen Freudenschrei aus: »Ich hab’s! Der Gelbe Nebel! Das wird für sie eine Bescherung sein! Oh, der Gelbe Nebel! Ich entsinne mich, wie meine Mutter Karena die stolzen Taureken mit dem Gelben Nebel kleingekriegt hat. Nur zwei Wochen hielten sie es aus, dann kamen sie voller Demut und unterwarfen sich ihr. Ja, der Gelbe Nebel ist wohl das Richtige! Ich kann ihn hervorrufen und nach Belieben wieder abstellen, also werden alle Menschen verstehen, daß die Zauberei von mir ausgeht… Vor allen Dingen aber hat es diesen Nebel noch nie im Zauberland gegeben, und er wird für die Menschen und für die Tiere eine schreckliche Neuheit sein!«
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