»Sogar noch mehr«, sagte Elieshi und tippte auf den Monitor, auf dem der Computer eine Ansicht des neu entstandenen DNS-Stranges darstellte. »Sehen Sie sich das an«, flüsterte sie, »die Basen ordnen sich nicht zu Dreier-, sondern zu Vierer-Abschnitten an. Zu einem Quadruplett, wenn es das überhaupt gibt.«
»Gibt es. Aber das hieße ja ...«, ich überschlug die Zahl in meinem Kopf, ». es gäbe nicht nur einhundertfünfundzwanzig, sondern sechshundertfünfundzwanzig mögliche Kombinationen. Eine unglaubliche Anzahl. Wozu braucht ein Lebewesen einen solch gewaltigen Datenspeicher?«
»Vielleicht um bestimmte Fähigkeiten auszubilden?«, mutmaßte Elieshi. »Fähigkeiten, von denen wir noch nichts wissen?«
Fassungslos starrte ich auf den Monitor, der uns in immer neuen Ansichten den neu entstandenen DNSStrang präsentierte. Ich ließ mich auf meinem Stuhl nach hinten sinken.
»Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen«, murmelte ich, »aber Mokele ist so eine Art SuperSaurier.«
»Er ist weit mehr«, sagte Elieshi. »Er ist ein Sprung in der Evolution. Eine entwicklungsgeschichtliche Weiterentwicklung, wie es sie noch nie zuvor gegeben hat. Sie könnte das Leben auf diesem Planeten für immer verändern.«
Dienstag, 16. Februar
E gomo starrte missmutig in den Himmel. Seit den frühen Morgenstunden und ihrem Aufbrach ins Grasland nieselte es, und die Wolken ließen keine Lücke erkennen. Ein feiner, gleichmäßiger Regen fiel seit Stunden vom Himmel. Ein Regen, der sich auf der Haut festsetzte und sie nach einer gewissen Zeit zu durchdringen schien. Und als ob das noch nicht genug sei, hatte sich der Zustand seiner Schulter in den letzten Stunden weiter verschlechtert. Elieshi hatte ihm zwar erklärt, der Schmerz sei normal und gehöre zum natürlichen Vorgang der Heilung, aber er wusste es besser. Es war der Gott des Windes und des Wetters, der sie von ihrer Reise abhalten wollte und von ihrem Ziel, das Geheimnis der alten Stadt zu entschlüsseln. Dass es eine alte Stadt war, daran hegte niemand mehr einen Zweifel. Die Zeichen waren zu deutlich. Überall um sie herum fanden sich Tonscherben, überwachsene Mauerreste und die Fundamente längst zerstörter Gebäude. Selbst die Spuren von Straßen ließen sich mit einiger Fantasie erkennen. Dieser Ort war erfüllt von alten Erinnerungen.
Egomo beobachtete das vor ihnen liegende Gelände mit größter Vorsicht, immer damit rechnend, einem Leoparden oder einer Rotte angriffslustiger Warzenschweine zu begegnen. Aber so unangenehm der Regen auch sein mochte, er schien sämtliche Tiere verscheucht und sie unter das schützende Blätterdach des nahe gelegenen Waldes getrieben zu haben. Seine Sorgen begannen mit jedem zurückgelegten Meter zu schwinden. Trotzdem vermisste Egomo den Beistand Stewart Malo-neys. Seine Hilfe wäre bei diesem riskanten Unternehmen mehr als willkommen gewesen. Doch der Jäger hatte sich vollkommen in seine Trauer zurückgezogen und wollte weder essen noch sich ihnen anschließen. Er war ein gebrochener Mann. Egomo bedauerte das umso mehr, als er ihn für einen der tapfersten Jäger hielt, denen er je begegnet war. Das Bild, wie er allein vor Mo-kele gestanden hatte, ohne Waffe und ohne Hoffnung zu überleben, und dabei nicht die Spur von Angst zeigte, würde ihm immer im Gedächtnis bleiben. Doch nach dem Tod seines Freundes war alles anders geworden. Im Gegensatz zu ihm hatten Elieshi und David die Tragödie gut überwunden. Sie schnatterten ohne Unterlass und redeten über Dinge, die Egomo nicht verstand. Evolution, Radioaktivität und extraterrestrisches Leben. Sie sprachen auch davon, wie außergewöhnlich Mokele sei, gefährlich zwar und überlegen, aber auch hochintelligent. Als ob ihnen das erst jetzt klar geworden war. Dabei redeten sie so laut, dass es bis zur anderen Seite der Ebene zu hören gewesen wäre, hätte nicht der Regen alle Geräusche verschluckt. Stadtmenschen. Immerhin war
David so klug gewesen, das Tagebuch des getöteten Soldaten mitzunehmen. Darin befanden sich, neben vielen dicht beschriebenen Seiten, auch Karten des Geländes, auf denen die Standorte einiger besonderer Gebäude eingetragen waren. Egomo hatte kaum Erfahrung im Umgang mit Karten, er wusste nur, dass sie eine Abbildung der Landschaft mit den Augen eines fliegenden Vogels waren. Sein eigenes Volk merkte sich die räumliche Umgebung zwar auf andere Art - sie betteten Pfade, Wasserstellen und Jagdreviere in Erzählungen ein -, aber wenn man sich einmal an das Prinzip gewöhnt hatte, ging es ganz gut. Auf einem bestimmten Punkt der Karte hatten sich auffällig viele handschriftliche Notizen befunden, ein sicheres Zeichen für die Wichtigkeit dieses Ortes. Egomo sah sich um. Wenn er sich nicht sehr täuschte, befanden sie sich jetzt genau an der richtigen Stelle.
*
»Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie mit den Forschungsergebnissen von Engel und Macko nicht vertraut sind?«, fragte ich atemlos. »Ich rede von extraterrestrischen Aminosäuren.« Egomo hatte einen unerbittlichen Laufschritt vorgelegt, und das Sprechen fiel mir unter diesen Bedingungen schwer. »Haben Sie nie etwas davon gehört, dass diese Bausteine des Lebens bereits vor über dreißig Jahren in Meteoriten gefunden wurden?«
Elieshi verneinte, und ich musste gestehen, dass ich
es genoss, ihr gegenüber endlich einmal einen Informationsvorsprung zu haben. Seit wir das Camp verlassen hatten, lieferten wir uns Gefechte, wie man sie nur unter Akademikern führte. Und endlich hatte ich ein Thema gefunden, bei dem ich mich besser auskannte. »Der Allende-Meteorit, 1969. Eine sensationelle Entdeckung, denn in ihm fanden sich Aminosäuren, die bewiesen, dass die Bausteine des Lebens im gesamten Weltall verstreut sind und praktisch jeden Planeten unter geeigneten Voraussetzungen befruchten können. Man spricht mittlerweile tatsächlich von Saatkörnern. Es ist Funden wie diesen zu verdanken, dass ich mich überhaupt für die Wissenschaft der Genetik und der strukturellen Biologie zu interessieren begann.«
»Wollen Sie damit andeuten, dass es noch andere Gründe für Mokeles Mutationen geben könnte als nur Radioaktivität?«
»Schwer zu sagen. Das kann nur eine genauere Untersuchung erweisen. Aber egal, was dabei herauskommt, es ist schon jetzt eine Sensation. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn uns das dem Nobelpreis nicht ein gutes Stück näher bringt.«
Sie lachte. »Sie sind ein Träumer, David. Aber ein netter Träumer, das wollte ich Ihnen schon lange sagen.«
»Finden Sie?« Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. »Ich dachte, Sie können mich nicht leiden.«
»Nur am Anfang. Aber in der Zwischenzeit habe ich Sie besser kennen gelernt. Sie sind ein Junge, der noch nicht viel gesehen hat vom Leben. Daher Ihre Unsi-cherheit. Sie sind so ganz anders als Maloney.« Sie verstummte.
»Elieshi?«
»Hm?«
»Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?«
»Nur zu.«
»Es ist aber etwas sehr Persönliches.«
»Reden Sie keine Opern. Immer raus damit. Ich habe ein dickes Fell, schon vergessen?« Sie lächelte mich schelmisch an.
»Die Sache zwischen Ihnen und Maloney. Ist das etwas Ernstes?«
»Sie haben das mitbekommen?«
Ich spürte, dass ich schon wieder rot wurde. »Nun ... ich ...«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nicht der Rede wert. Es war Sex, mehr nicht. Von meiner Seite aus hätte es ruhig mehr werden können, aber Stew hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er es dabei belassen möchte. Seine Reaktion gestern am Grab hat mir das deutlich gemacht.« Sie zuckte die Schultern, und ihre Augen wurden traurig. »Er ist ein zutiefst einsamer Mann.«
Ich war verblüfft darüber, mit welcher Offenheit Elieshi über intime Details plaudern konnte. »Da haben Sie wohl Recht«, murmelte ich und dachte dabei an das Gespräch zwischen Sixpence und Maloney, das ich belauscht hatte. Es war offensichtlich, dass der Jäger sich vom Verlust seiner Familie nie mehr erholt hatte. Doch dieses Detail verschwieg ich Elieshi. Ich wusste nicht, wie diese Informati-on bei ihr ankommen würde. Abgesehen davon, dass ich sie unter höchst unredlichen Umständen erworben hatte.
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