Einer der Männer runzelte die Stirn. »Ich erkundige mich mal, wo sie abgeblieben ist.«
Er lief die Fluggastbrücke hinab. Doch dort war nur das Reinigungspersonal zugange. Er riss sämtliche Toilettentüren auf. Alle leer. Dann stürmte er nach vorn und wandte sich an die Flugbegleiterin, die gerade gehen wollte. »Wo hat Dana Evans gesessen?«
Verdutzt blickte die Stewardess auf. »Dana Evans? Die Nachrichtensprecherin aus dem Fernsehen?«
»Ja.«
»Die war nicht an Bord. Wäre schön gewesen. Ich hätte sie zu gern kennen gelernt.«
»Wissen Sie, was beim Holzhandel das Allerbeste ist, junge Frau?«, sagte Gregory Price gerade zu Dana. »Dass die Ware von selber wächst. Ja, Mann, man kann einfach dahocken und zuschauen, wie Mutter Natur für die nötige Kohle sorgt.«
Die Chefstewardess meldete sich über Lautsprecher.
»Wir landen in wenigen Minuten auf dem O’Hare Airport in Chicago. Achten Sie bitte darauf, dass Ihre Sitzgurte geschlossen und die Rückenlehnen hochgestellt sind.«
»Genau«, spöttelte eine Frau, die auf der anderen Seite des Ganges saß. »Achten Sie darauf, dass Ihre Sitzlehnen hochgestellt sind. Ich jedenfalls möchte nicht zurückgelehnt in den Tod gehen.«
Dana zuckte zusammen. Sie meinte wieder die Querschläger zu hören, die hinter ihr in die Wand einschlugen, spürte förmlich die Hand, die sie vor den Lastwagen geschubst hatte. Sie erschauderte beim bloßen Gedanken daran, wie knapp sie dem Tod entronnen war.
Vor ein paar Stunden noch, als sie in der Wartehalle des Flughafens Scheremetjewo II saß, hatte sie sich eingeredet, dass alles gut ausgehen werde. Die Guten gewinnen doch immer. Aber irgendetwas ließ ihr keine Ruhe, irgendein Gesprächsfetzen. War es ein Spruch von Matt? Etwas, was Kommissar Schdanoff gesagt hatte? Oder Tim Drew? Je länger sie darüber nachdachte, desto weniger konnte sie die Erinnerung greifen.
»Air-France Nummer zwo-zwanzig nach Washington D.C. steht zum Abflug bereit«, gab die Purserin vom Bodenpersonal über Lautsprecher bekannt. »Bitte halten Sie Ihre Pässe und Bordkarten bereit.«
Dana stand auf und begab sich zum Ausgang. Als sie an der Abfertigung ihren Flugschein vorlegte, fiel es ihr mit einem Mal wieder ein. Es waren die letzten Worte, die sie mit Sascha Schdanoff gewechselt hatte.
Niemand weiß, dass ich dort bin. Es handelt sich um eine Art sicheres Haus, wie man bei Ihnen sagen würde.
Roger Hudson war der einzige Mensch, dem sie mitgeteilt hatte, wo Sascha Schdanoff sich aufhielt. Und unmittelbar danach war Schdanoff ermordet worden. Hudson hatte von Anfang an auf gewisse undurchsichtige Verbindungen angespielt, die Taylor Winthrop angeblich mit den Russen pflegte. Als ich in Moskau war, ging das Gerücht, dass Winthrop sich auf private Geschäfte mit den Russen eingelassen haben soll .
Kurz bevor Taylor Winthrop Botschafter in Russland wurde, hat er offenbar im engsten Freundeskreis erklärt, dass er sich endgültig aus dem öffentlichen Leben zurückziehen wolle .
Allem Anschein nach war es Winthrop, der den Präsidenten dazu drängte, ihn zum Botschafter zu ernennen ...
Sie hatte Roger und Pamela ständig auf dem Laufenden gehalten. Und die beiden hatten sie fortwährend ausgespäht. Dafür gab es nur eine Erklärung:
Roger Hudson war der geheimnisvolle Kompagnon von Taylor Winthrop.
Dana blickte aus dem Fenster, als die Maschine der American Airlines auf dem O’Hare International Airport in Chicago landete, und hielt Ausschau nach irgendwelchen verdächtigen Gestalten. Nichts. Die Luft war rein. Dana atmete tief durch und begab sich zum Ausstieg. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Sie achtete darauf, dass sie so viele Menschen wie möglich um sich hatte, und ging inmitten der schwatzenden Menge ins Flughafengebäude. Sie musste einen dringenden Anruf erledigen. Während des Fluges war ihr ein so schrecklicher Gedanke gekommen, dass ihr die Gefahr, in der sie schwebte, daneben geradezu unbedeutend vorkam. Kemal. War er etwa ihretwegen in Gefahr? Sie durfte gar nicht daran denken, dass ihm etwas zustoßen könnte. Sie musste jemanden finden, der Kemal beschützte. Sofort fiel ihr Jack Stone ein. Er gehörte einer Organisation an, die über so viel Macht verfügte, dass sie den Schutz gewähren konnte, den sie und Kemal benötigten, und sie war davon überzeugt, dass er alle erforderlichen Vorkehrungen treffen würde. Er war ihr von Anfang an wohlgesonnen gewesen. Er gehört bestimmt nicht zu denen.
Ich möchte mich da lieber raushalten. Dadurch kann ich Ihnen am ehesten helfen, falls Sie wissen, was ich meine.
Dana ging in eine einigermaßen menschenleere Ecke der Haupthalle, griff in ihre Handtasche, suchte die Privatnummer heraus, die Jack Stone ihr gegeben hatte, und rief ihn an. Er meldete sich augenblicklich.
»Jack Stone.«
»Dana Evans hier. Ich stecke in der Klemme. Ich brauche Hilfe.«
»Was ist los?«
Dana hörte, wie besorgt er klang. »Ich kann jetzt nicht auf alles eingehen, aber ein paar Leute sind hinter mir her und versuchen mich umzubringen.«
»Wer?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich mache mir vor allem Sorgen um meinen Sohn Kemal. Können Sie mir jemand besorgen, der ihn beschützt?«
Er zögerte keine Sekunde. »Ich kümmere mich darum. Ist er zu Hause?«
»Ja.«
»Ich schicke jemanden vorbei. Und was ist mit Ihnen? Sie sagen, jemand versucht Sie umzubringen?«
»Ja. Sie - sie haben es zweimal versucht.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. »Ich werde zusehen, was ich tun kann. Wo sind Sie?«
»Ich bin am O’Hare, in der Schalterhalle der American Airlines, und ich weiß nicht, wann ich hier herauskomme.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich schicke jemanden hin, der Sie beschützt. Um Kemal brauchen Sie sich unterdessen keine Sorgen zu machen.«
Dana war zutiefst erleichtert. »Vielen Dank. Ich danke Ihnen.« Sie hängte ein.
Jack Stone, der in seinem Büro bei der FRA saß, legte den Hörer auf. Er drückte auf die Taste der Gegensprechanlage. »Die Zielperson hat soeben angerufen. Sie ist in der Wartehalle der American Airlines am O’Hare. Übernehmen Sie sie.«
»Ja, Sir.«
Jack Stone wandte sich an seinen Adjutanten. »Wann kommt General Booster aus Fernost zurück?«
»Er müsste heute Nachmittag wieder da sein.«
»Gut, dann nichts wie weg, bevor er rausfindet, was hier vor sich gegangen ist.«
Danas Handy klingelte.
»Jeff!«
»Hallo, mein Schatz.« Als sie seine Stimme hörte, hatte sie das Gefühl, jemand breite eine warme Decke über ihr aus, in die sie sich kuscheln konnte.
»Ach, Jeff!« Sie stellte fest, dass sie zitterte.
»Wie geht es dir?«
Wie es mir geht? Ich laufe um mein Leben. Doch das durfte sie ihm nicht erzählen. Er konnte ihr sowieso nicht helfen, jetzt nicht. Es war zu spät. »Ich - mir geht’s gut, Liebster.«
»Wo steckst du zurzeit, du Weltenbummlerin?«
»Ich bin in Chicago. Morgen komme ich nach Washington zurück.« Wann wirst du endlich wieder bei mir sein? »Wie -wie geht es Rachel?«
»Allem Anschein nach kommt sie ganz gut klar.«
»Du fehlst mir.«
Rachels Schlafzimmertür ging auf, und sie trat ins Wohnzimmer. Sie wollte Jeff gerade rufen, hielt aber inne, als sie sah, dass er am Telefon war.
»Du fehlst mir mehr, als du dir überhaupt vorstellen kannst«, sagte Jeff.
»Ach, ich liebe dich so sehr.« Ein in der Nähe stehender Mann starrte sie allem Anschein nach an. Dana schlug das Herz im Halse. »Liebster, wenn - wenn mir irgendwas zustoßen sollte ... musst du immer dran denken, dass ich -«
Jeff klang augenblicklich besorgt. »Falls dir etwas zustoßen sollte? Was soll das heißen?«
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