»Sieht geschmeidig aus«, pflichtete Tito ihm bei.
Sie unterhielten sich etwa eine Stunde lang über ihre Zeit im Knast. Eddie erzählte Tito, dass er für eine ausländische Firma arbeite, blieb allerdings in seinen Aussagen ziemlich vage. Tito hatte sowieso nicht die Absicht, weiter nachzubohren. Um den wahren Grund seines Hierseins zu verschleiern, ließ er immer wieder Namen bestimmter Mithäftlinge fallen und erkundigte sich bei Eddie, was aus ihnen geworden war – Kennst du noch den Sowieso? Was ist mit dem und dem? Und so weiter. Tito wusste, dass Eddie im Knast mit Ken Sands befreundet gewesen war. Langsam näherte er sich seinem eigentlichen Anliegen.
»Sag mal, Eddie, und was ist eigentlich aus Ken geworden?«
Er hätte schwören können, dass sich Eddie einen Moment lang versteifte.
Eddie leerte den Rest seines Champagners und fixierte Tito. »Ken? Den haben sie entlassen, soweit ich weiß. Keine Bewährung, hat seine Strafe abgesessen.«
»Hat er?« Tito spielte den Dummen.
»Ja, ist vor ungefähr sechs Monaten rausgekommen.«
»Der Typ war das klassische Beispiel einer gemeingefährlichen Sau.« Tito lachte nervös. »Hast du noch Kontakt zu ihm?«
»Nee, Mann, hab nur gehört, dass er entlassen wurde. Der hat seine eigenen Sachen am Laufen. Zeug, das er noch erledigen wollte, nachdem er draußen war, wenn du kapierst, was ich meine?«
»Was denn?«
»Woher soll ich das wissen? Vielleicht wollte er sich an den Leuten rächen, die ihn in den Bau gebracht haben. Wie auch immer, mein Beileid für jeden, mit dem er ein Hühnchen zu rupfen hat.«
»Das kannst du laut sagen. War der nicht mit diesem albanischen Gangster auf der Zelle? Diesem Guri? Den kennst du doch noch, oder? Hab ein paarmal gesehen, wie du mit ihm gequatscht hast.«
»Ich hab mit vielen gequatscht, als ich im Bau war, genau wie du. Dann geht die Zeit schneller rum.« Eddie spielte die Sache herunter.
Tito nickte. »Glaubst du, Ken dealt wieder? Das hat er doch gemacht, bevor er eingebuchtet wurde, oder? Vielleicht hat er sich mit den Albanern zusammengetan. Hab gehört, die ziehen das richtig professionell auf.«
Eddie musterte Tito mit argwöhnischem Blick. »Was ist los, Alter, bist du auf der Suche nach einem Job? Oder willst du Dope abgreifen?«
»Nee, Mann, ich hab, was ich brauche.« Tito fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel.
Eddie nickte. »Okay. Und warum interessierst du dich dann so für Ken? Schuldet der dir noch Geld oder so? Falls ja, dann würde ich es an deiner Stelle einfach vergessen. Das ist den Ärger nicht wert, verstehst du?«
»Ach was, ich frag doch bloß.«
»Ja, das sehe ich. Aber wenn man zu viel fragt, kann das unangenehme Folgen haben, und das weißt du auch.«
Tito hob in einer beschwichtigenden Geste die Hände. »Wir quatschen doch nur, Alter, mehr nicht. Ist mir doch scheißegal, was der treibt.«
Eddie schwieg, aber sein Unbehagen war ihm deutlich anzusehen. Tito war sich sicher, dass sein alter Mithäftling mehr wusste, als er preisgab, und das reichte ihm. Er würde die Info an die zwei Bullenschweine weitergeben, die bei ihm zu Hause aufgetaucht waren. Sollten die Eddie doch selber grillen. Er hatte getan, was er konnte.
»Komm, wir nehmen noch eine Flasche«, schlug Eddie vor und winkte dem Barkeeper.
»Zu Champagner sag ich nie nein. Lass mich nur kurz pissen gehen.«
Während Tito in Richtung Toilette davonging, steuerte Eddie die Raucherlounge im Erdgeschoss an. Das war der ruhigste Ort für ein Telefonat.
Es war schon spät. Tito hatte zusammen mit Eddie im Airliner noch zwei Flaschen Champagner klargemacht. Als er wieder in seiner Wohnung in Bell Gardens ankam, spürte er bereits die ersten Anzeichen des mordsmäßigen Katers, mit dem er am nächsten Morgen aufwachen würde.
Tito stolperte durch die Tür. Champagner hatte die seltsame Angewohnheit, ihn ganz schnell betrunken zu machen. Aber wenn er ehrlich war, gefiel es ihm, betrunken zu sein. Und sich mit teurem Champagner zu betrinken, den jemand anders bezahlt hatte, gefiel ihm noch besser. Nur seine Zunge fühlte sich ein bisschen pelzig an.
Er öffnete die Kühlschranktür, goss sich ein großes Glas Orangensaft ein und kippte es in einem Zug hinunter. Dann ging er ins Wohnzimmer zurück und ließ sich auf das alte dunkelrote Sofa fallen, das nach Aschenbecher stank. Dort saß er einige Minuten lang, bevor er beschloss, dass er eine kleine Stärkung nötig hatte. Etwas, das seinen Kreislauf wieder in Gang brachte. Tito erhob sich schwerfällig und ging zur Kommode. Er zog die unterste Schublade auf, nahm ein silbernes Döschen und einen kleinen rahmenlosen Spiegel heraus und trug alles zum Esstisch. Aus der Dose holte er einen handgefalteten Papierumschlag. Er schüttete eine großzügig bemessene Portion weißes Pulver auf den Spiegel und formte mit Hilfe einer Rasierklinge eine lange, dicke Linie. Das war besonders gutes Zeug, fast nicht gestreckt. Erstklassiger kolumbianischer Schnee. Deswegen teilte er ihn auch nie mit den dreckigen, zweitklassigen Nutten, die er mit nach Hause brachte. Nein, dieser Stoff hier war für ihn, und nur für ihn.
Tito suchte in seinen Taschen nach einem neuen Geldschein. Das Einzige, was er fand, war ein Fünf-Dollar-Schein, und neu war der nicht gerade. Aber er würde schon irgendwie gehen. Er war zu betrunken, um nach was Besserem zu suchen. Er rollte den Schein auf, so gut er konnte, dann zog er eine Hälfte der Line in ein Nasenloch und die andere Hälfte ins andere.
Anschließend sackte er auf seinem Stuhl nach hinten, schloss die Augen und kniff sich die Nasenlöcher zu.
»Ja, so gehört sich das«, murmelte er durch zusammengebissene Zähne. Genau das hatte er gebraucht. Er legte den Kopf in den Nacken, saß eine Zeitlang mit geschlossenen Augen da und genoss den Effekt, wie sich Droge und Alkohol in seinem Blut vermischten.
Tito war ganz mit seinem Trip beschäftigt und hörte nicht, wie seine Wohnungstür geöffnet wurde. Er war so hinüber gewesen, dass er ganz vergessen hatte, von innen abzuschließen.
Mit noch immer zurückgelegtem Kopf öffnete Tito schließlich die Augen, aber statt der Zimmerdecke sah er ein Gesicht über sich. Und Augen, die er kannte.
Am nächsten Morgen saß Hunter an seinem Schreibtisch und las die E-Mails, die sich über Nacht angesammelt hatten. Er war früh ins Büro gekommen, nur fünf Minuten nach Garcia. Keiner der beiden hatte gut geschlafen.
Hunter hatte sich vom Computer losgerissen und war gerade dabei, einige Notizen durchzugehen, als Alice an die Tür klopfte und ohne auf ein »Herein« zu warten eintrat. Ihre Augen verrieten, dass auch sie nicht viel Schlaf bekommen hatte. Sie ging schnurstracks zu Hunters Schreibtisch und legte ihm eine dreiseitige computergeschriebene Liste vor. Hunter sah auf.
»Die Liste der Bücher, die Sands aus der Bibliothek des Gefängnisses in Lancaster ausgeliehen hat«, verkündete sie, wobei sie den Triumph in ihrer Stimme nicht ganz unterdrücken konnte.
Hunter hielt ihren Blick fest.
»Ich musste hinfahren, um sie mir zu besorgen«, erklärte sie.
»Du musstest was?«, fragte Garcia.
»Ihr System wurde noch nicht auf Computer umgestellt, deswegen gibt es keinen Online-Katalog. Die Bibliothek verwendet noch ein uraltes Karteikarten-System, und sie haben ihre ganz eigene bizarre Art, alles zu archivieren. Wenn ich nicht hingefahren wäre, hätte es Tage, vielleicht sogar Wochen gedauert, bis wir das hier bekommen hätten.«
Hunter musste die nächste Frage nicht stellen, sie stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Also schön, ich habe hier gestern einen kleinen Lagerkoller bekommen«, gestand Alice. »Ihr zwei wart den ganzen Tag unterwegs. Ich hatte es satt, im Internet zu suchen und nichts zu finden. Also habe ich ein bisschen rumtelefoniert, und Bezirksstaatsanwalt Bradley hat mit dem Gefängnisdirektor gesprochen, damit ich mir die Bibliothek ansehen kann. Ich habe mehrere Stunden gebraucht, um das alles hier zusammenzustellen.«
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