Mr. Murbles, ein älterer Herr mit empfindlichem Magen, war am Donnerstagabend eilends hergekommen. Er fand die gerichtliche Voruntersuchung unzulänglich geleitet und seinen Mandanten ganz und gar unmöglich. Die ganze Zeit hatte er verzweifelt versucht, Sir Impey Biggs zu erreichen, aber der Kronanwalt war übers Wochenende verreist und hatte keine Adresse hinterlassen. Mr. Murbles knabberte ein wenig trockenen Toast und war nicht abgeneigt, den Kriminalbeamten, der ihn respektvoll mit »Sir« anredete und ihm die Butter reichte, sympathisch zu finden.
»Möchte jemand in die Kirche gehen?« fragte die Herzogin.
»Theodore und ich würden gern hinfahren«, sagte Mrs. Pettigrew-Robinson, »wenn es nicht zu viele Umstände macht; wir könnten aber auch zu Fuß gehen. So sehr weit ist es ja auch nicht.«
»Gute zweieinhalb Meilen«, warf Oberst Marchbanks ein.
Mr. Pettigrew-Robinson schenkte ihm einen dankbaren Blick.
»Natürlich fahren Sie im Wagen mit«, sagte die Herzogin. »Ich gehe ja selbst.«
»Was, das wollen Sie wirklich?« fragte der Ehrenwerte Freddy. »Ich meine, wird man Sie da nicht ein bißchen anstarren und so?«
»Bitte, Freddy«, antwortete die Herzogin, »spielt das denn eine Rolle?«
»Nun«, sagte der Ehrenwerte Freddy, »ich meine ja nur, das sind hier doch lauter Sozialisten und Methodisten ...«
»Wenn sie Methodisten sind«, erklärte Mrs. Pettigrew-Robinson, »werden sie nicht in der Kirche sein.«
»Wirklich nicht?« entgegnete der Ehrenwerte Freddy. »Verlassen Sie sich darauf, daß sie da sind, wenn es was zu sehen gibt. Das ist für die doch schöner als ein Begräbnis.«
»Auf jeden Fall«, stellte Mrs. Pettigrew-Robinson fest, »hat man in diesen Dingen eine Pflicht und darf auf seine persönlichen Gefühle keine Rücksicht nehmen - besonders heutzutage, wo die Leute so furchtbar lasch sind.«
Dabei sah sie den Ehrenwerten Freddy an.
»Oh, kümmern Sie sich nicht um mich«, entgegnete dieser junge Mann liebenswürdig. »Ich will ja nur sagen, wenn diese Tölpel Ihnen dumm kommen, machen Sie mir keine Vorwürfe.«
»Wer spricht denn davon, Ihnen Vorwürfe zu machen, Freddy?« meinte die Herzogin.
»Nur so eine Redensart«, sagte der Ehrenwerte Freddy.
»Was meinen Sie dazu, Mr. Murbles?« erkundigte sich die Herzogin.
»Ich meine«, sagte der Anwalt, indem er bedächtig seinen Kaffee umrührte, »daß Ihre Absicht durchaus bewundernswert ist und Ihnen sehr zur Ehre gereicht, liebe gnädige Frau, aber Mr. Arbuthnot hat auch recht, wenn er sagt, daß Sie sich der Gefahr eines - äh - unerfreulichen Aufsehens aussetzen. Ich -äh - bin immer ein aufrichtiger Christ gewesen, aber ich kann nicht glauben, daß unsere Religion von uns verlangt, uns unter so - äh - überaus peinlichen Umständen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu begeben.«
Mr. Parker fühlte sich an einen Ausspruch von Lord Melbourne erinnert.
»Nun, aber immerhin«, sagte Mrs. Marchbanks, »wie Helen ganz richtig sagt, was spielt es für eine Rolle? Es braucht sich ja niemand wirklich wegen irgend etwas zu schämen. Natürlich wurde ein dummer Fehler begangen, aber ich sehe nicht ein, warum man deshalb nicht in die Kirche gehen sollte, wenn man möchte.«
»Gewiß nicht, ganz gewiß nicht, meine Liebe«, sagte der Oberst herzlich. »Wir könnten sogar selbst hingehen, was? Einen Spaziergang in die Richtung machen, meine ich, und kurz vor der Predigt hineingehen. Ich glaube, das wäre gut. Würde jedenfalls zeigen, daß wir dem guten Denver nichts Unrechtes zutrauen.«
»Du vergißt, Lieber«, antwortete seine Frau, »daß ich der armen Mary versprochen habe, bei ihr zu bleiben.«
»Natürlich, natürlich - dumm von mir«, sagte der Oberst. »Wie geht's ihr denn?«
»Sie hat die ganze Nacht kein Auge zugetan, die Ärmste«, sagte die Herzogin, »vielleicht findet sie heute morgen ein wenig Schlaf. Es war ja so ein Schock für sie.«
»Der sich noch als Glück im Unglück entpuppen könnte«, meinte Mrs. Pettigrew-Robinson.
»Ich darf doch bitten!« sagte ihr Gatte.
»Möchte wissen, wann wir endlich von Sir Impey hören«, warf Oberst Marchbanks rasch ein.
»Ja, wirklich«, stöhnte Mr. Murbles. »Ich setze große Hoffnung in seinen Einfluß auf den Herzog.«
»Natürlich«, sagte Mrs. Pettigrew-Robinson, »er muß reden - zum Besten aller. Er muß sagen, was er um diese Zeit draußen getan hat. Oder wenn er es nicht sagt, muß man es anders herausbekommen. Meine Güte, dafür sind Detektive doch da, oder nicht?«
»Das gehört zu ihren undankbaren Aufgaben«, sagte Mr. Parker plötzlich. Er hatte so lange nichts gesagt, daß jetzt alles zusammenzuckte.
»Aha«, sagte Mrs. Marchbanks, »und ich erwarte, daß Sie den Fall im Handumdrehen aufklären werden, Mr. Parker. Vielleicht haben Sie den wirklichen Mör- ... den Missetäter schon die ganze Zeit in der Hinterhand.«
»Nicht ganz«, antwortete Mr. Parker, »aber ich will mir alle Mühe geben, ihn zu erwischen. Außerdem«, fuhr er grinsend fort, »werde ich wahrscheinlich bald Hilfe bekommen.«
»Von wem?« erkundigte sich Mr. Pettigrew-Robinson.
»Vom Schwager der gnädigen Frau.«
»Peter?« fragte die Herzogin. »Mr. Parker muß sich über den Amateurdetektiv der Familie nicht wenig amüsieren«, fügte sie hinzu.
»Ganz und gar nicht«, sagte Parker. »Wimsey könnte einer der besten Detektive Englands sein, wenn er nicht so bequem wäre. Wir können ihn zur Zeit nur nicht finden.«
»Ich habe nach Ajaccio telegrafiert - postlagernd«, sagte Mr. Murbles, »aber ich weiß nicht, wann er sich dort melden wird. Er hat niemandem gesagt, wann er wieder nach England zurückkommen will.«
»So ein alter Herumtreiber«, ließ der Ehrenwerte Freddy sich taktlos vernehmen. »Sollte jetzt aber lieber hier sein, wie? Ich meine, wenn dem alten Denver was passiert, nicht wahr, dann ist er doch das Oberhaupt der Familie - bis Denver junior volljährig ist.«
Mitten in die betretene Stille hinein, die auf diese Bemerkung folgte, hörte man draußen einen Spazierstock laut klappernd in den Schirmständer fallen.
»Wer mag das sein?« fragte die Herzogin.
Die Tür schwang auf.
»Schönen guten Morgen allerseits«, rief der Neuankömmling gutgelaunt. »Wie geht's, wie steht's? Hallo, Helen! Oberst, Sie schulden mir seit vorletztem September noch eine halbe Krone. Morgen, Mrs. Marchbanks, Morgen Mrs. P. Nun, Mr. Murbles, wie gefällt Ihnen dieses Dre- ... scheußliche Wetter? Bleib ruhig sitzen, Freddy; möchte dir um Himmels willen keine Umstände machen. Parker, alter Junge, du bist doch die Zuverlässigkeit in Person; stets griffbereit, wie diese patentierten Nasentropfen. Sagt mal, seid ihr etwa schon alle fertig? Ich hatte ja früher aufstehen wollen, aber dann hab ich so geschnarcht, daß Bunter sich nicht getraut hat, mich zu wecken. Beinahe wäre ich ja heute nacht noch hereingeschneit, aber wir sind erst um zwei Uhr früh hier eingetroffen; da wäre euer Empfang sicher nicht sehr begeistert ausgefallen. Wie bitte, Oberst? Ach so - Flugzeug. Victoria von Paris nach London - dann North Eastern bis Northallerton - scheußlich schlechte Straße von da an, und kurz vor Riddlesdale noch eine Reifenpanne. Jämmerlich schlechtes Bett im Gasthaus. Hatte gehofft, hier mit ein bißchen Glück noch das letzte Würstchen zu erwischen. Was? Sonntagmorgen in einer englischen Familie und keine Würstchen? Weiß der Himmel, was soll aus der Welt nur werden, nicht wahr, Oberst? Ich sage dir, Helen, diesmal war Gerald es wirklich. Du hättest den Burschen nicht allein lassen sollen; immer muß er was Dummes anstellen. Was ist das? Curry? Danke, mein Lieber. Hört mal, ihr braucht gar nicht so knickrig zu sein; ich war drei Tage an einem Stück unterwegs. Reich mir mal den Toast, Freddy. Wie meinen Sie, Mrs. Marchbanks? Ach so, ja, ziemlich; Korsika war hinreißend - lauter so schwarzäugige Gesellen mit Messern im Gürtel, und diese bezaubernd hübschen Mädchen! In einem Ort hat Bunter sogar ein regelrechtes Abenteuer mit der Wirtstochter gehabt. Man traut dem alten Knaben gar nicht zu, daß er für so was empfänglich ist. Mein Gott, hab ich einen Hunger! Weißt du, Helen, eigentlich hatte ich dir ja aus Paris ein paar schicke Seidenhöschen mitbringen wollen, aber als ich sah, daß Parker mir hier bei den Blutflecken zuvorkommen wollte, haben wir schleunigst unsere Siebensachen gepackt und sind abgeschwirrt.«
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