Zeuge: »Auch das nicht.«
Untersuchungsrichter: »Oder haben Sie noch andere Schüsse gehört?«
Zeuge: »Nur den einen; aber ich bin nach meiner Rückkehr wieder eingeschlafen und wurde dann vom Chauffeur geweckt, der den Arzt holen wollte. Das muß ungefähr um Viertel nach drei gewesen sein.«
Untersuchungsrichter: »Ist es nicht ungewöhnlich, daß Wilderer so nah bei Ihrem Haus schießen?«
Zeuge: »Doch, ziemlich. Wenn Wilddiebe sich so nah heranwagen, kommen sie meist von der anderen Seite der Schonung, wo das Moor ist.«
Dr. Thorpe sagte aus, daß man ihn gerufen habe, um den Toten anzusehen. Er wohne in Stapley, fast vierzehn Meilen von Riddlesdale. In Riddlesdale selbst gebe es keinen Arzt. Der Chauffeur habe ihn morgens um Viertel vor vier aus dem Bett geholt, und er habe sich schnell angezogen und sei sofort mit ihm hinausgefahren. Um halb fünf seien sie beim Jagdhaus angekommen. Als er den Toten gesehen habe, sei dieser allem Anschein nach schon drei bis vier Stunden tot gewesen. Die Lunge sei von einem Geschoß durchbohrt gewesen und der Tod durch Blutverlust und Ersticken herbeigeführt worden. Der Tod sei aber nicht sofort eingetreten - der Verstorbene habe wahrscheinlich noch einige Zeit gelebt. Er habe eine Autopsie vorgenommen und festgestellt, daß die Kugel von einer Rippe abgelenkt worden sei. Ob das Opfer sich die Wunde selbst beigebracht oder ob jemand anders den Schuß aus nächster Nähe abgegeben habe, lasse sich nicht erkennen. Kampfspuren seien jedenfalls nicht feststellbar gewesen.
Inspektor Craikes aus Stapley war mit Dr. Thorpe im selben Wagen gekommen. Er hatte den Leichnam gesehen. Dieser habe zwischen der Tür des Wintergartens und dem zugedeckten Brunnen davor auf dem Rücken gelegen. Sobald es hell geworden sei, habe Inspektor Craikes Haus und Gelände abgesucht. Er habe Blutspuren auf dem ganzen Weg zum Wintergarten gefunden, außerdem Spuren, die zeigten, daß der Tote dort entlanggeschleift worden sei. Der Pfad münde in den Hauptweg zwischen Tor und Vordereingang des Hauses. (Ein Plan wurde vorgelegt.) Wo die beiden Wege sich träfen, beginne ein Gebüsch, das sich beiderseits bis zum Tor und dem Haus des Wildhüters hinziehe. Die Blutspur habe zu einer kleinen Lichtung in diesem Gebüsch geführt, etwa auf halbem Wege zwischen Haus und Tor. Dort habe der Inspektor eine große Blutlache, ein blutgetränktes Taschentuch und einen Revolver gefunden. Das Taschentuch habe die Initialen D. C. getragen, und der Revolver sei eine kleine Waffe amerikanischen Typs ohne Kennzeichnung gewesen. Die Wintergartentür habe beim Eintreffen des Inspektors offen gestanden und der Schlüssel darin gesteckt.
Der Tote habe, als er ihn sah, einen Smoking und leichte Halbschuhe angehabt, aber weder Mantel noch Hut. Er sei völlig durchnäßt gewesen, und seine Kleider seien nicht nur über und über blutbeschmiert, sondern auch voller Lehm und vom Schleifen des Körpers vollkommen in Unordnung gewesen. In den Taschen habe er ein Zigarrenetui und ein kleines, flaches Taschenmesser gefunden. Das Schlafzimmer des Toten sei nach Papieren und dergleichen durchsucht worden, dabei habe sich jedoch bisher nichts gefunden, was ein wenig Licht auf seine persönlichen Umstände werfen könne.
Daraufhin wurde der Herzog von Denver wieder aufgerufen.
Untersuchungsrichter: »Ich möchte Euer Gnaden fragen, ob Sie den Verstorbenen je im Besitz eines Revolvers gesehen haben.«
Herzog von D.: »Seit dem Krieg nicht.«
Untersuchungsrichter: »Sie wissen nicht, ob er einen bei sich zu tragen pflegte?«
Herzog von D.: »Keine Ahnung.«
Untersuchungsrichter: »Sie haben, wie ich annehme, auch keine Vermutung, wem dieser Revolver gehören könnte?«
Herzog von D. (maßlos überrascht): »Das ist mein Revolver - aus der Schreibtischschublade im Arbeitszimmer. Wie kommen Sie daran?« (Unruhe.)
Untersuchungsrichter: »Sind Sie sicher?«
Herzog von D.: »Vollkommen. Ich habe ihn erst neulich dort gesehen, als ich für Cathcart ein paar Fotos von Mary suchen wollte, und ich weiß noch, daß ich damals gesagt habe, er werde vom Herumliegen noch rostig. Da ist der Rostfleck.«
Untersuchungsrichter: »War der Revolver immer geladen?«
Herzog von D.: »Um Gottes willen, nein! Ich weiß im Grunde gar nicht, wozu er da war. Wahrscheinlich habe ich ihn einmal zusammen mit ein paar alten Militärsachen weggepackt und später zwischen meinem Schießzeug wiedergefunden, als ich im August in Riddlesdale war. Ich glaube, die Patronen lagen auch dabei.«
Untersuchungsrichter: »War die Schublade verschlossen?«
Herzog von D.: »Ja, aber der Schlüssel steckte. Meine Frau sagt immer, ich sei leichtsinnig.«
Untersuchungsrichter: »Wußte sonst jemand, daß der Revolver dort war?«
Herzog von D.: »Fleming, glaube ich. Sonst wüßte ich niemand.«
Kriminalinspektor Parker von Scotland Yard war erst am Freitag gekommen und hatte noch keine sehr eingehenden Ermittlungen anstellen können. Gewisse Indizien ließen ihn vermuten, daß außer den an der Entdeckung der Tragödie beteiligten Personen noch einer oder mehrere am Ort des Geschehens gewesen waren. Er wollte allerdings im Augenblick noch nicht mehr dazu sagen.
Der Untersuchungsrichter rekonstruierte nun an Hand der Aussagen den Vorgang in seiner zeitlichen Abfolge. Um zehn Uhr oder kurz danach habe zwischen dem Verstorbenen und dem Herzog von Denver ein Streit stattgefunden, woraufhin der Verstorbene das Haus verlassen habe und nicht mehr lebend gesehen worden sei. Laut Mr. Pettigrew-Robinsons Aussage sei der Herzog um halb zwölf die Treppe hinuntergegangen, und laut Oberst Marchbanks habe man ihn kurz danach im Arbeitszimmer umhergehen hören, dem Zimmer, in dem der dem Gericht als Beweisstück vorliegende Revolver gewöhnlich aufbewahrt werde. Dagegen stehe die beeidete Aussage des Herzogs selbst, daß er sein Zimmer nicht vor halb drei morgens verlassen habe. Die Geschworenen müßten nun entscheiden, welcher der einander widersprechenden Aussagen mehr Gewicht beizumessen sei. Dann zu den in der Nacht gehörten Schüssen: Der Wildhüter wolle einen Schuß um zehn vor zwölf gehört haben, aber er habe angenommen, daß es Wilddiebe seien. Es sei durchaus möglich, daß Wilderer am Werk gewesen seien. Andererseits passe Lady Marys Aussage, sie habe einen Schuß um drei Uhr morgens gehört, nicht gut zur Feststellung des Arztes, daß der Verstorbene um halb fünf bei seiner Ankunft in Riddlesdale bereits drei bis vier Stunden tot gewesen sei. Die Geschworenen müßten auch berücksichtigen, daß nach Ansicht des Arztes der Tod nicht unmittelbar nach dem Schuß eingetreten sei. Wenn sie dieser Aussage glaubten, müßten sie den Zeitpunkt des Schusses irgendwo zwischen elf Uhr und Mitternacht ansetzen, und das könne sehr wohl der Schuß gewesen sein, den der Wildhüter gehört habe. In diesem Falle müßten sie sich allerdings fragen, was für ein Schuß dann später Lady Mary Wimsey aufgeweckt habe. Wenn sie diesen Schuß Wilderern zuschreiben wollten, stehe dieser Annahme nichts entgegen.
Als nächstes kam der Untersuchungsrichter auf den Leichnam zu sprechen, den der Herzog von Denver morgens um drei vor der Tür des kleinen Wintergartens in der Nähe des Brunnens gefunden hatte. Es sei kaum zu bezweifeln, daß der Schuß, der Cathcart getötet habe, in dem Gebüsch abgegeben worden sei, das etwa sieben Minuten vom Haus entfernt liege, und daß der Leichnam von dort zum Haus geschleift worden sei. Den Tod habe zweifellos der Lungendurchschuß verursacht. Die Geschworenen müßten entscheiden, ob dieser Schuß von Cathcart selbst oder von jemand anderem abgegeben worden sei; im letzteren Falle müßten sie ebenfalls entscheiden, ob dies versehentlich, in Notwehr oder vorsätzlich und in Tötungsabsicht geschehen sei. Bei der Frage des Selbstmordes müßten sie alles in Betracht ziehen, was ihnen über den Charakter und die Lebensumstände des Verstorbenen bekannt sei. Der Verstorbene sei ein Mann in der Blüte seiner Jahre und offenbar sehr vermögend gewesen. Er habe eine verdienstvolle militärische Laufbahn hinter sich und sei bei seinen Freunden beliebt gewesen. Der Herzog von Denver habe immerhin eine so hohe Meinung von ihm gehabt, daß er der Verlobung seiner Schwester mit dem Verstorbenen zugestimmt habe. Es spreche alles dafür, daß die Verlobten, wenngleich sie dies vielleicht nicht deutlich nach außen gezeigt hätten, sehr gut miteinander ausgekommen seien. Der Herzog behaupte, daß der Verstorbene ihn am Mittwochabend von seiner Absicht in Kenntnis gesetzt habe, die Verlobung zu lösen. Ob die Geschworenen glaubten, daß der Verstorbene daraufhin, ohne mit der Dame gesprochen oder ihr ein Wort der Erklärung oder des Abschieds geschrieben zu haben, sofort hingegangen sei und sich erschossen habe? Andererseits müßten die Geschworenen bedenken, welche Beschuldigung der Herzog von Denver laut eigener Aussage gegenüber dem Verstorbenen erhoben habe. Er habe ihm vorgeworfen, ein Falschspieler zu sein. In den Gesellschaftskreisen, denen die hier Beteiligten angehörten, sei ein Delikt wie Falschspiel weitaus schändlicher als Sünden wie Mord oder Ehebruch. Möglicherweise könne schon die Andeutung eines solchen Vorwurfs, ob begründet oder nicht, einen besonders ehrempfindlichen Menschen dazu treiben, Hand an sich zu legen. Ob aber der Verstorbene in diesem Sinne ein Mann von Ehre gewesen sei? Er sei in Frankreich erzogen worden, und die französischen Ehrbegriffe unterschieden sich sehr von den britischen. Der Untersuchungsrichter selbst unterhalte in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt geschäftliche Beziehungen zu Franzosen und könne denjenigen Geschworenen, die noch nie in Frankreich gewesen seien, nur nahelegen, diese unterschiedlichen Ehrbegriffe zu berücksichtigen. Unglücklicherweise habe ihnen der Brief mit den angeblichen Beschuldigungen nicht vorgelegt werden können. Außerdem könne man fragen, ob ein Selbstmörder sich nicht eher in den Kopf schießen werde. Man müsse sich fragen, wie der Verstorbene an den Revolver gekommen sei. Und schließlich müsse man sich in diesem Falle auch fragen, wer den Leichnam zum Haus geschleift habe und warum der oder die Betreffende dies unter so großer Anstrengung getan und dabei die Gefahr in Kauf genommen habe, den letzten vielleicht noch glimmenden Lebensfunken auszulöschen 3 3 wörtlich
, statt das Haus zu wecken und Hilfe herbeizurufen.
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