Mr. Opalsen wandte sich an den Polizeiinspektor. »Sie haben doch nichts dagegen, daß ich... eh... diesen Herrn zuziehe, nicht wahr?«
»Nein, Sir«, erwiderte der Mann höflich, aber uninteressiert. »Vielleicht fühlt sich die Dame jetzt in der Lage, uns die Ereignisse zu erzählen?«
Mrs. Opalsen sah Poirot hilflos an. Er rührte sie zu ihrem Stuhl.
»Setzen Sie sich, Madame, und erzählen Sie uns die Geschichte ganz ruhig.«
Mrs. Opalsen trocknete sich umständlich die Augen. »Ich kam nach dem Dinner herauf, um meine Perlen, die ich Mr. Poirot zeigen wollte, zu holen. Das Zimmermädchen und Celestine waren beide im Zimmer wie gewöhnlich ...«
»Entschuldigen Sie bitte, Madame, aber was meinen Sie mit wie gewöhnlich!«
Mrs. Opalsen erklärte es.
»Ich habe angeordnet, daß niemand dieses Zimmer betreten darf, solange nicht meine Zofe Celestine dabei ist. So macht das Zimmermädchen morgens das Zimmer nur in Anwesenheit Celestines und kommt dann erst nach dem Dinner wieder, um die Betten unter derselben Bedingung abzudecken. Sonst kommt sie nie in diesen Raum.« »Wie ich sagte«, fuhr Mrs. Opalsen fort, »ich kam herauf, ging an diese Schublade hier« - sie zeigte auf die oberste rechte Schublade des Frisiertisches -, »nahm meine Juwelenkassette und schloß sie auf. Alles war an seinem Platz, nur die Perlen fehlten!«
Der Inspektor hatte eifrig Notizen gemacht. »Wann haben Sie die Perlen das letztemal gesehen?« fragte er. »Sie waren noch da, als ich zum Dinner hinunterging.« »Wissen Sie das bestimmt?«
»Ganz bestimmt. Ich war mir nicht schlüssig, was ich tragen sollte, aber schließlich entschied ich mich für die Smaragde und legte die Perlen in die Kassette zurück.« »Wer verschloß die Kassette?«
»Ich. Ich trage den Schlüssel an einer Kette um meinen Hals.« Sie hielt den Schlüssel hoch, während sie sprach. Der Inspektor sah ihn an und zuckte die Schultern. »Offenbar hat der Dieb einen zweiten Schlüssel. Das ist gar nicht so schwierig; es ist ein ganz einfaches Schloß. Was taten Sie, nachdem Sie die Juwelenkassette abgeschlossen hatten?« »Ich stellte sie zurück in die oberste Schublade, wo sie immer steht.«
»Die Schublade haben Sie nicht abgeschlossen?« »Nein, das tue ich nie. Meine Zofe bleibt im Zimmer, bis ich wieder heraufkomme.«
Das Gesicht des Inspektors wurde ernster. »Die Juwelen waren also noch da, als Sie zum Essen hinuntergingen. Und die Zofe verließ das Zimmer von diesem Zeitpunkt ab nicht mehr?«
Ganz plötzlich stieß Celestine einen leichten Schrei aus, als begriffe sie jetzt erst ihre schreckliche Lage, klammerte sich an Poirot und überschüttete ihn mit unzusammenhängenden französischen Worten.
Was für infame Andeutungen! Man verdächtige sie, Madame bestohlen zu haben! Man wisse ja, daß die Polizei unerhört dumm sei! Aber Monsieur, als Franzose ... ! »Belgier«, warf Poirot ein, ohne daß Celestine diesem Einwand Beachtung schenkte.
Monsieur würde doch nicht zusehen, wie man sie zu Unrecht beschuldigte. Warum beschäftigte man sich nicht mit dem Zimmermädchen? Sie hätte sie nie leiden können - dieses freche, rotbackige Ding -, eine geborene Diebin. Von Anfang an habe sie gewußt, daß dieses Mädchen nicht ehrlich sei. Und wie sie sie immer beim Zimmermachen beobachtet habe. Warum durchsuchten diese Idioten von Polizeibeamten das junge Ding nicht! Sie würde sich wundem, wenn sich Madames Perlen nicht bei diesem Flittchen finden würden! Trotz dieses in schnellstem und virtuosestem Französisch hervorgebrachten Redeschwalls -Celestine hatte ihn noch mit lebhaften Gesten untermalt - begriff das Zimmermädchen doch allmählich, wovon die Rede war. Das Blut schoß ihm in den Kopf.
»Wenn diese ausländische Person behauptet, ich hätte diese Perlen genommen, so ist das eine Lüge!« rief sie heftig. »Ich habe sie überhaupt nie gesehen!« »Durchsuchen Sie sie doch!« kreischte die Französin. »Sie werden sehen, sie hat sie.«
»Lügnerin!« schrie das Zimmermädchen und ging auf sie zu. »Sie haben sie selbst gestohlen, und nun wollen Sie es auf mich abwälzen. Ich war doch erst drei Minuten im Zimmer, ehe die Gnädige heraufkam, und Sie saßen hier die ganze Zeit wie eine Katze vor dem Mauseloch.« Der Inspektor schaute Celestine fragend an. »Ist das wahr? Haben Sie das Zimmer überhaupt nicht verlassen?« »Ich habe sie nicht allein gelassen«, gab Celestine widerwillig zu, »aber ich ging zweimal in mein Zimmer - einmal um Faden zu holen und einmal wegen der Schere. Die Zeit muß sie ausgenützt haben.«
»Sie waren ja nicht einmal eine Minute weg«, warf das Zimmermädchen wütend ein. »Sie sind ja nur rausgegangen und sofort wieder reingekommen. Ich wäre sehr froh, wenn die Polizei mich durchsuchen würde. Ich habe nichts zu befürchten!« In diesem Augenblick klopfte es an die Tür. Der Inspektor öffnete, und sein Gesicht erhellte sich. »Ah!« sagte er. »Vorzüglich! Ich habe für die Durchsuchung eine Polizistin angefordert. Da ist sie. Vielleicht gehen Sie ins nächste Zimmer.« Das Zimmermädchen ging mit hocherhobenem Kopf voran. Die Polizistin folgte ihr.
Die französische Zofe schluchzte auf einem Stuhl. Poirot sah sich im Zimmer um. Ich versuchte, eine genaue Skizze des Zimmers zu machen.
»Wohin führt diese Tür?« fragte Poirot und deutete auf die Tür neben dem Fenster. »Zum nächsten Appartement«, sagte der Inspektor. »Sie ist auf dieser Seite verschlossen.«
Poirot ging hinüber zur Tür, drückte die Klinke nieder, aber die Tür blieb zu. Dann zog er den Riegel zurück und versuchte es erneut.
»Und auf der ändern Seite auch«, bemerkte er. »Gut, das scheint in Ordnung zu sein.«
Er ging zu den Fenstern und untersuchte jedes einzelne. »Nichts! Nicht einmal ein Balkon.« »Selbst wenn einer da wäre, würde uns das wohl kaum weiterhelfen, da ja die Zofe das Zimmer nicht verlassen hat«, sagte der Inspektor ungeduldig. »Evidemment«, sagte Poirot, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Da Mademoiselle mit Bestimmtheit sagt, sie hätte das Zimmer nicht verlassen ... « Er wurde unterbrochen. Die Beamtin kam mit dem Zimmermädchen zurück. »Nichts«, sagte sie lakonisch. »Das möchte ich auch gehofft haben!« sagte das Stubenmädchen. »Dieses französische Luder sollte sich schämen, einem anständigen Mädchen die Ehre abzuschneiden!« »Schon gut, schon gut«, sagte der Inspektor und machte ihr die Tür auf. »Niemand verdächtigt Sie. Sie können jetzt gehen. Wir brauchen Sie vorläufig nicht mehr.« Das Zimmermädchen ging sehr ungern. »Wird sie auch durchsucht?« Sie deutete auf Celestine.
»Aber natürlich!« Der Inspektor schloß die Tür und drehte den Schlüssel um. Die Beamtin nahm Celestine am Arm und ging mit ihr in den kleinen Raum nebenan. Ein paar Minuten später kamen sie zurück. Ohne Erfolg. Das Gesicht des Inspektors wurde ernster. »Ich bedaure sehr, aber ich muß Sie bitten, mitzukommen, Miss.« Er wandte sich an Mrs. Opalsen. »Es tut mir leid, Madame, aber ich muß allen Möglichkeiten nachgehen. Wenn sie die Perlen nicht bei sich hat, so sind sie wahrscheinlich irgendwo im Zimmer versteckt.«
Celestine stieß einen Schrei aus und klammerte sich an Poirots Arm. Er beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie sah ihn zweifelnd an. »Si, si mon enfant - ich versichere Ihnen, es ist besser, keinen Widerstand zu leisten.« Dann drehte er sich zu dem Inspektor um.
»Erlauben Sie, Monsieur? Ein kleines Experiment - nur zu meiner Beruhigung.«
»Hängt ganz davon ab -«, erwiderte der Polizeioffizier unfreundlich.
Poirot wandte sich noch einmal an Celestine. »Sie erzählten uns, daß Sie in Ihr Zimmer gingen, um dort Faden zu holen. Wo lag der Faden?« »Oben auf der Kommode, Monsieur.«
»Und die Schere?«
Читать дальше
Конец ознакомительного отрывка
Купить книгу