„Wir hatten einen Plan, der durch eine schrullige Engländerin gestört wurde, die plötzlich auftauchte und alles durcheinanderbrachte. Sie ist der Grund dafür, dass aus einem sauberen Plan, der wie ein chirurgischer Eingriff ablaufen sollte, ein Blutbad wurde.“ Lady Marbely betrachtete mit großem Wohlgefallen die Schokoladenkekse, die der Butler als gelungene Abrundung des Frühstücks servierte, hielt einen davon in ihre Teetasse und wartete, bis er sich vollgesogen hatte, dann ließ sie ihn genießerisch in ihrem Mund verschwinden.
Der Butler fuhr derweil in seinen Überlegungen fort: „Ich brauche sehr viel Geld, um meine Pläne umzusetzen. Dazu sollte mir die Erbschaft des Jakob Aufhauser dienen.“
„Sie setzen zu spät ein. Das alles begann viel früher, mit der Firma in Kirchhundem. Sie machte Jakob zu einem reichen Mann.“
„Richtig. GFF in Kirchhundem hat sich auf die unerlaubte Ausfuhr von Geräteteilen spezialisiert, die, am Zielort zusammengesetzt, zur Herstellung von Haubitzen dienen.“
„Und der Zielort ist ein Krieg führendes Land“, warf Lady Marbely ein.
„Womit gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen wird und viel Geld zu verdienen ist.“
„Dieses Geld“, fuhr Lady Marbely fort, „wird in der anderen Fabrik in Siegen reingewaschen, sodass es offiziell verwendet werden kann. Man kauft Rohstoffe über konzerneigene Zulieferfirmen zu eklatant überhöhten Preisen, und schon ist das schmutzige Geld sauber. Und das ist nur eine Methode, wie man Geld waschen kann, ganz abgesehen von Offshorebanken und Scheinfirmen.“
„Milady haben sich eingehend mit diesem Thema beschäftigt.“
„Um zu wissen, wovon ich in meinem Firmenimperium besser die Hände lasse, James. Weiter im Text. Wir haben uns im vorliegenden Falle eines Strohmannes bedient, dem wir die Rettung seines maroden Unternehmens in Aussicht stellten, den wir, ohne dass er es am Anfang bemerkte, immer tiefer in die kriminellen Machenschaften verwickelten.“
„Bis es eines Tages zu spät war, um einfach auszusteigen“, meinte der Butler. „Als der Mann, entgegen unseren Erwartungen, doch alles platzen lassen wollte, als er drohte, mit seinem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen, musste er sterben.“
„Und wir wollten erben“, ergänzte Lady Marbely und schob ein weiteres mit Tee getränktes Schokoladenplätzchen in den Mund.
„Doch dieser Plan ging nicht auf. Nicht die Person, von der wir es erwartet hatten, erbte, sondern eine entfernte Verwandte namens Lady Marbely. Also musste dieses Hindernis beiseitegeschafft werden. Als dies nicht gelang, versuchte man es über Richter und Rechtsanwalt, die irgendeiner geheimen Gruppe angehören, über die man Macht hat.“
„Bitte um Details, James!“
„Denken Sie an die schwarzen Ringe mit den Lemniskaten.“
„Das ist eine gewagte Vermutung, aber nicht ganz vom Finger zu weisen.“ Der Butler überlegte, ob Milady diesmal nur einen gelungenen Wortwitz kreiert hatte. „Wir beseitigen alle Menschen, die unseren Plan gefährden können“, fuhr die vielfache Millionärin fort.
„Aber wir erreichen unser Ziel nicht, solange die Lady am Leben ist.“
Die beiden legten eine Pause ein und hüllten sich in nachdenkliches Schweigen.
„Wir kennen nun die Motive des Täters“, nahm Lady Marbely den Faden wieder auf.
„Oder der Täter.“
„Aber wir wissen nicht, wer sie sind. Es wäre doch hilfreich, wenn uns das bekannt wäre. Wir könnten uns besser schützen.“
„Oder sie aktiv bekämpfen.“
„Das heißt …“
„Das heißt“, stellte der Butler fest, „dass unser Hauptziel in einer Identifizierung des Täters liegt.“
„Schön, aber … alle Verdächtigen sind bereits tot.“
„Ein Ansatzpunkt in diesem Fall sind die Strohmänner, hinter denen der eigentliche Täter steckt.“
„Jakob schrieb über einen Teufelspakt. Ein Vertrag zwischen Faust und Mephisto.“
„Das ist ein interessanter Gedanke, den wir unbedingt weiterverfolgen sollten.“
„Ein Pakt mit dem Teufel, der kurzzeitig Vorteile, letzten Endes aber den Untergang bringt.“
„Nur der Teufel selbst steigt dabei unversehrt aus. Damit wären wir bei unserem zweiten Hauptthema angelangt.“
Lady Marbely hatte verstanden. „Vielleicht kann uns der Amerikaner in dieser Hinsicht weiterhelfen. Er kommt doch heute Abend?“
„Das hat er uns gestern in Siegen versprochen. Ein Mann wie Larry Brent hält sein Wort.“
*
Der Agent tauchte wie aus dem Nichts aus dem Hintergrund auf. Der Butler bemerkte den Schatten und ging sofort in Angriffsstellung, um sich sogleich wieder zu entspannen. „Mister Brent!“
„Guten Abend, die Herrschaften!“ Der durchtrainierte Amerikaner mit dem blonden Haar lächelte kurz. „Dieses Haus birgt in der Tat einige Geheimnisse. Es hat sich mir jedoch ein wenig geöffnet.“
Larry Brent sprach ausgezeichnet Deutsch; bereits gestern hatte er von seiner deutschstämmigen Mutter erzählt. Dabei waren seine rauchgrauen Augen auffällig hart geblieben. Der Butler wurde das Gefühl nicht los, dass der Spezialagent der PSA hier in Siegen aus privaten Gründen weilte. Irgendetwas, das in der Vergangenheit lag. Der Butler hatte nicht nachgefragt.
„Sie sind geschmeidig wie eine Katze, Mister Brent.“ Lady Marbely hatte sich bereits von ihrer Überraschung erholt. „Möchten Sie Näheres über die Geschichte der Villa Andreae hören?“
Larry Brent winkte ab. „Sie haben recht mit Ihrer Vermutung, Milady. Hier existiert ein Teufelspakt. Der Fall, in den Sie verwickelt wurden, hat mit dem politischen Geschehen des letzten Jahrhunderts zu tun.“
Lady Marbely sah den Agenten der PSA fragend an. „Woher wissen Sie?“
„Die Stunde hier im Haus hat mir einiges bekannt gegeben.“
Der Butler sog hörbar Luft ein.
„Kein Grund zur Besorgnis“, beruhigte Larry Brent. „Manchmal nehme ich mir gewisse Freiheiten. Letztendlich bin ich hier, um zu helfen.“
„Dann darf ich weiter mutmaßen?“, fragte Lady Marbely. „Sie sprechen von der Zeit des Nationalsozialismus?“
Larry Brent nickte.
„Wie konnten Sie das erkennen?“, erkundigte sich die Lady aufgeregt.
„Die Schatten kürzlich Verstorbener irren ziellos umher. Sie sind noch nicht zur Ruhe gekommen. Sie wollen eingreifen, wissen jedoch nicht wie.“
„Diese Aufgabe haben wir übernommen“, meldete sich der Butler zu Wort.
„Wenn Sie erfolgreich sind, kommen die Schatten zur Ruhe.“
„Und wenn nicht?“, fragte Lady Marbely.
„Dann werden Sie selbst zu ruhelosen Schatten.“
Lady Marbely machte große Augen. „Und der Teufelspakt? Was meinen Sie damit?“ „Der gilt noch. Er wurde zwischen zwei Wesen geschlossen, die keine Schatten sind.“ „Sie haben erkennen können, wer das ist?“, insistierte die Lady. Larry Brent schwieg und der Butler lud ihn und die Lady zum Abendmahl in den Speiseraum.
*
Als sich der PSA-Agent, den der Butler auch unter der Bezeichnung X-RAY-3 kannte, nach Mitternacht verabschiedete, bat er James, ihn zum Auto zu begleiten. Lady Marbely ersuchte er um Verständnis, dass er mit seinem Kollegen, wie er sich ausdrückte, unter vier Augen sprechen wollte. Milady fügte sich und wartete ungeduldig auf die Rückkehr des Butlers, der sehr ernst wirkte.
„Was hat er gesagt?“, fragte sie sofort.
„Er hat das bestätigt, was wir in unserem Rollenspiel vermutet haben.“
„Und wer ist nun Mephisto und wer sein Faust?“
„Das herauszufinden, ist unsere Aufgabe. Mister Brent hat zumindest bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
„Und hat diesen merkwürdigen Hinweis auf den Nationalsozialismus gegeben. Was halten Sie davon?“
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