Mit offensichtlichem Mißbehagen sah Eadulf ihm nach. Dann wandte er sich in bemüht scherzhaftem Ton an Fidelma.
«Mir scheint, Ihr habt eine Eroberung gemacht.» Fidelma wandte sich ab, doch ihre ärgerliche Miene war ihm nicht entgangen, und er fragte sich, womit er diese ausgelöst hatte. Betreten stand er da, während sie das Ebenholzkästchen schloß, es wieder in das Sackleinen wickelte und in ihrem Gepäck verstaute.
«Fidelma ...», begann er verlegen, hielt inne und stieß einen heftigen Fluch in seiner Muttersprache aus.
Sie erschrak so über die ungewohnten Kraftausdrücke, daß sie erstaunt den Kopf hob. Eadulf blickte zum Ende des Stegs, wo gerade eine lecticula angehalten hatte. Begleitet wurde sie von einer Gruppe von custodes, deren Uniform eher wie ein Relikt aus dem heidnischen Rom der Kaiserzeit als wie ein Symbol der christlichen Gegenwart wirkte. Der hochgewachsene Bischof Gelasius kletterte aus der Sänfte. Er hieß seine Begleiter warten und trat allein auf den hölzernen Steg.
Äbtissin Wulfrun eilte ihm entgegen. Fidelma konnte ihre schrille, durchdringende Stimme hören.
«Ah, Bischof Gelasius! Es ist Euch also zu Ohren gekommen, daß ich Rom heute verlasse?» begrüßte sie ihn.
Gelasius blinzelte sie an, als sehe er sie zum ersten Mal.
«Wie, bitte? Nein», erwiderte er kühl. «Ich wünsche Euch eine gute Reise. Aber ich bin gekommen, um mich von jemand anderem zu verabschieden.»
Er eilte weiter und ließ die empörte Äbtissin von Sheppey einfach stehen.
«», wiederholte Eadulf leise.
Mit großen Schritten ging Bischof Gelasius direkt auf das Sonnensegel zu, unter dem Fidelma saß. Zögernd erhob sie sich, um ihn zu begrüßen.
«Fidelma von Kildare», sagte der nomenclator des Heiligen Vaters lächelnd, ohne Eadulf weiter zu beachten. «Ich konnte Euch unmöglich abreisen lassen, ohne Euch meine besten Wünsche für eine sichere Heimreise mit auf den Weg zu geben.»
«Das ist sehr gütig von Euch», erwiderte Fidelma.
«Gütig? Oh, nein, wir verdanken Euch so viel, Schwester. Ohne Eure Einsatzbereitschaft . und natürlich ohne Bruder Eadulfs Hilfe . hätte Rom möglicherweise eine folgenschwere Auseinandersetzung zwischen Irland und den sächsischen Königreichen erleben müssen.»
Fidelma zuckte die Achseln. «Ich habe nur meine Pflicht getan, Gelasius», sagte sie.
«Schon das Gerücht, Wighard sei durch die ruchlose Tat eines irischen Mönchs ums Leben gekommen, hätte die Sachsen womöglich .» Gelasius hielt inne und zögerte, dann sah er Fidelma offen ins Gesicht. «Ich gehe davon aus, daß Ihr die Wünsche des Heiligen Vaters in dieser Angelegenheit achten werdet?»
Er schien erstaunt, als Fidelma auflachte.
«Ist das der wahre Grund Eures Kommens, Ge-lasius? Sicherzugehen, daß ich Rom nicht in Verlegenheit bringen werde?»
Die Unverblümtheit dieser Frau verschlug Ge-lasius zunächst die Sprache. Allerdings mußte er sich eingestehen, daß sie im Grunde recht hatte. Hauptsächlich hatte er sich aus Besorgnis auf den Weg quer durch Rom gemacht, um vor ihrer Abreise noch einmal mit der irischen Nonne zu sprechen. Lächelnd sah er Fidelma an.
«Gibt es denn keine Wahrheit, die sich vor Euch verbergen läßt, Fidelma von Kildare?» fragte er.
«Doch, einige solcher Wahrheiten gibt es schon», antwortete sie nach einer Weile und warf Eadulf einen kurzen Seitenblick zu. Aber der sächsische Mönch betrachtete aufmerksam den Bischof.
«Nun, da wir die Sache schon einmal angesprochen haben: Meiner Ansicht nach sollten wir in unserem offiziellen Bericht an die sächsischen Könige und Prälaten sagen, daß Wighard von Canterbury und ein Teil seines Gefolges . Puttoc, Eanred und Eafa ... an der Gelben Pest gestorben sind. Die Krankheit tritt so häufig auf, daß niemand diese Erklärung anzweifeln wird.»
«Darauf hatten wir uns bereits geeinigt», sagte Fidelma. «Ich halte mich an Roms Wunsch, geheimzuhalten, daß die Männer und Frauen der Kirche nur Menschen sind und daß Bischöfe und Äbte ebenso große Sünder sein können wie die gemeinsten Bauern.»
«Wie sollten wir das Volk dazu bringen, dem Wort Gottes zu gehorchen, wenn es keine Achtung vor denen hat, die es predigen?» fragte Gelasius.
«Von mir wird niemand die Wahrheit über Wighards Tod erfahren», beruhigte ihn Fidelma. «Aber es sind noch andere eingeweiht .»
Sie deutete auf Äbtissin Wulfrun, die ihren beiden jungen Dienerinnen noch immer Befehle erteilte. Gelasius folgte ihrem Blick.
«Wulfrun? Wie Ihr nur allzu gut wißt, ist sie eine eitle Frau, und mit eitlen Menschen hat Rom sich bisher noch immer einigen können. Das gleiche gilt für ehrgeizige Glaubensjünger. Bruder Sebbi haben wir durch seinen Ehrgeiz an uns gebunden. Um Ine brauchen wir uns keine weiteren Gedanken zu machen, als Diener des neuen Erzbischofs haben wir direkten Einfluß auf ihn. Und was Bruder Eadulf angeht .»
Er betrachtete den sächsischen Mönch nachdenklich.
«Eadulf», sagte Fidelma, «ist ein kluger, von innerer Überzeugung und nicht von Ehrgeiz getriebener Mann, den Ihr mit nichts anderem bestechen müßt als mit einer einleuchtenden Erklärung.»
Gelasius neigte den Kopf.
«Das gleiche gilt für Euch, Fidelma von Kildare. Ich habe von Euch viel über die Frauen Eures Landes gelernt. Vielleicht tun wir Römer unrecht, indem wir unseren Frauen jegliche öffentliche Betätigung untersagen. Begabungen wie die Euren sind wirklich rar.»
«Wenn ich das Thema wechseln dürfte, Bischof Gelasius ...», sagte Fidelma, um ihre Verlegenheit zu verbergen. «Ich hatte Euch um etwas gebeten, und ich wollte fragen, ob es erledigt worden ist?»
Gelasius nickte lächelnd. «Ihr sprecht von dem kleinen Antonio, dem Sohn des Nereus, der auf dem christlichen Friedhof Kerzen verkauft hat?»
Fidelma nickte.
«Die Sache ist erledigt, Schwester. Wir haben ihn nach Lucca in das Kloster des heiligen Fridian gesandt. Fridian ist einer Eurer Landsleute.»
«Ich habe von Fridian gehört», sagte Fidelma. «Er war der Sohn eines Königs von Ulster, der sich entschieden hat, sein Leben Gott zu weihen.»
«Wir hielten es für ein Zeichen unserer Anerkennung, Schwester, daß der junge Antonio in einem Haus erzogen wird, das von einem Eurer Landsleute gegründet wurde.»
«Ich freue mich für ihn», sagte Fidelma. «Er wird dem Glauben Ehre machen. Ich bin froh, daß ich dem Jungen helfen konnte.»
Laute Rufe vom Fluß unterbrachen ihr Gespräch. Ein großes, vom anderen Ufer des Tiber kommendes Boot steuerte in einem großen Bogen auf den Steg zu.
«Das muß Euer Boot sein, Schwester», sagte Gelasius.
Ein plötzlicher Schreck fuhr ihr durch die Glieder. So bald? Obwohl so vieles ungesagt geblieben war?
Gelasius sah ihren Gesichtsausdruck und deutete ihn richtig. Er streckte die Hand aus und lächelte sogar, als Fidelma sie ergriff und kurz den Kopf neigte. Allmählich hatte er sich an die irischen Sitten gewöhnt.
«Unser Dank für alles, was Ihr für uns getan habt, begleitet Euch, Schwester. Möget Ihr eine sichere Heimreise und ein langes, gesundes Leben haben. Deus vobiscum.»
Er nickte Eadulf kurz zu und ging mit großen Schritten zu seiner lecticula zurück, ohne Äbtissin Wulfrun weiter zu beachten.
Das von einem Dutzend kräftiger Ruderer angetriebene Boot näherte sich dem Steg.
«Nun», sagte Eadulf zögernd, «die Zeit für Eure Abreise ist gekommen.»
Fidelma seufzte und versuchte, ihre Traurigkeit zu bezwingen. «Vestigia ... nulla retrorsum», zitierte sie Horaz und blickte Eadulf forschend an. Doch sie konnte seine Miene nicht deuten.
«Ihr werdet mir fehlen, Eadulf von Seaxmund’s Ham», sagte Fidelma leise.
«Und Ihr werdet mir fehlen, Fidelma von Kildare.»
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