«Und Cornelius fühlte sich verpflichtet, Puttoc davon zu berichten», warf Eadulf erklärend ein. «Cornelius hielt es für ein Sakrileg, daß ein Mann mit einer solchen Vergangenheit ein hohes Kirchenamt bekleiden sollte, und drängte Puttoc, beim Heiligen Vater Beschwerde einzulegen. Wozu es bei Puttoc allerdings keiner allzu großen Ermutigung bedurfte. Puttoc hatte es nämlich selbst auf den Bischofsthron von Canterbury abgesehen.»
Sie wandte sich an Bischof Gelasius. «Ihr selbst, Gelasius, habt uns erzählt, daß Puttoc Euch von Wighards Familie berichtet hat.»
Gelasius nickte. «Abt Puttoc sagte mir, Wighard sei verheiratet gewesen und habe zwei Kinder gehabt. Er tat so, als stünde dies Wighards Bischofsweihe entgegen. Als ich Wighard darauf ansprach, versicherte er mir jedoch, seine Familie sei vor vielen Jahren bei einem Überfall der Pikten ums Leben gekommen.»
«Darauf hätte Puttoc die Sache allerdings nicht beruhen lassen. Er hätte nach und nach mehr von der Geschichte preisgegeben», sagte Eadulf.
«Aber die Ereignisse kamen ihm zuvor», erklärte Fidelma. «Wir haben es mit einem jener Zufälle zu tun, die im Leben öfter geschehen, als wir uns dies eingestehen möchten.»
Ihre Augen ruhten auf Sebbi. Als ihm dämmerte, worauf sie anspielte, begann er zu kichern. Seine plötzliche Heiterkeit zog die erstaunten Blicke der anderen auf sich.
«Ihr wollt doch nicht etwa sagen, daß Puttoc Wighards Sohn vor dem Erhängen gerettet hat?» gluckste er.
Fidelma sah ihn mit ernster Miene an. «Der Mörder, der Wighards Kinder in die Sklaverei verkauft hatte, kehrte nach Kent zurück. Die Kinder wuchsen als Sklaven auf einem Bauernhof in Ostsachsen auf. In seiner Beichte nannte der Mörder auch den Namen des Mannes, dem dieser Bauernhof gehörte. Diesen Namen werde ich jetzt aufschreiben und superista Marinus’ sicherem Gewahrsam übergeben.»
Sie hatte Eadulf gebeten, Tontafeln und Stifte mitzubringen. Er reichte ihr eine Tafel, sie schrieb etwas darauf und reichte sie Marinus mit der Bitte, das Geschriebene noch nicht zu lesen. Dann wandte sie sich an Sebbi.
«Bruder Sebbi, da Ihr selbst dabeigewesen seid, möchte ich Euch bitten, die anderen darüber aufzuklären, unter welchen Umständen Puttoc seinen Diener Eanred aus der Sklaverei freikaufte. Eanred hatte nämlich seinen Herrn erdrosselt und sollte dafür gehängt werden.»
Bruder Sebbi gab die Geschehnisse auf ähnliche Weise wieder, wie er sie auch Fidelma und Eadulf erzählt hatte.
«Eanred war also seit seinem vierten Lebensjahr gemeinsam mit seiner Schwester auf einem Bauernhof aufgewachsen. Als Eanreds Schwester zur Frau wurde und ihr Herr sie vergewaltigte, tötete ihn Eanred. Nur Puttocs Eingreifen rettete ihn vor der unausweichlichen Strafe nach sächsischem Gesetz. Eadulf wird Euch jetzt eine Tontafel reichen, Bruder Sebbi. Ich möchte, daß Ihr den Namen des ermordeten Bauern aufschreibt und die Tafel anschließend Marinus gebt.»
Sebbi nickte und tat, worum er gebeten wurde.
«Hat dieses alberne Spielchen irgendwann ein Ende?» fragte Marinus, als er die zweite Tontafel entgegennahm.
«Wir werden in Kürze zu klaren Schlüssen kommen», versicherte ihm Fidelma.
«Wenn ich Euch richtig verstehe, wird einer dieser Schlüsse lauten, daß Eanred der Sohn Wig-hards war», sagte Gelasius. «Dann wird er wohl sicherlich auch Wighards Mörder gewesen sein.»
Seine voreiligen Worte waren Fidelma gar nicht recht. «Ja, die Namen auf den Tontafeln werden zeigen, daß es sich bei dem Bauern, der Wighards Kinder kaufte, und dem Bauern, den Eanred erdrosselte, um ein und denselben Mann handelte. Eanred war also tatsächlich Wighards Sohn. Das bedeutet jedoch nicht, daß er auch seinen Vater ermordet hat.»
«Dann verstehe ich nicht .» Gelasius hob ratlos die Hände.
«Geduld, Bischof», beruhigte ihn Fidelma. «Wir haben es fast geschafft.»
Sie wandte sich an Äbtissin Wulfrun und sah ihr unverwandt in das hagere, bleiche Gesicht. «Seid Ihr auch der Meinung, daß es sich um ein und denselben Namen handelt, Äbtissin von Sheppey?» fragte sie in scheinbar harmlosem Ton.
«Woher soll ich das wissen?» knurrte die Frau. Sie wirkte verhärmt. All ihr Stolz und Hochmut waren dahin.
«Ja, woher?» gab Fidelma zurück. «Ihr seid doch im Königreich Ostsachsen aufgewachsen.»
Alle Augen wandten sich jetzt neugierig der Äbtissin zu.
«Ja. Ich bin ... ich war ...»
Plötzlich erkannte Eadulf, was Fidelma mit ihren Anspielungen auf die Saturnalien bezwecken wollte. Er musterte Wulfrun aufmerksam. Wulfrun . eine frühere Sklavin? Wulfrun . die verlorene Schwester Eanreds?
«Wollt Ihr damit sagen, daß Wulfrun ...?» begann er.
«Wie ich bereits erwähnte, hatte Wighard zwei Kinder», erklärte Fidelma. «Einen Sohn und eine Tochter.»
«Aber ich bin nicht ...» rief Wulfrun und streckte wütend beide Hände nach Fidelma aus. Dabei fiel ihr Schal herunter und gab den Blick auf eine verräterische Narbe frei - die Spuren des eisernen Rings, den sie einst um den Hals getragen hatte.
Ohne sie weiter zu beobachten, wandte Fidelma sich Schwester Eafa zu.
«Auch Ihr seid als Sklavin auf einem Bauernhof aufgewachsen, nicht wahr, Eafa?»
Das Mädchen blinzelte, ohne jedoch eine Antwort zu geben.
«Ich werde nicht darauf bestehen, daß Ihr Eure Kopfbedeckung abnehmt. Wir wissen, was dort zu sehen ist. Wie Wulfrun tragt ihr die Spuren eines Eisenrings am Hals, habe ich recht?»
Die hellbraunen Augen des Mädchens funkelten vor Zorn. «Wenn Ihr es längst wißt, warum fragt Ihr dann? Ja, ich bin als Sklavin auf einem Bauernhof in Ostsachsen aufgewachsen.»
«Und auf diesem Bauernhof hat Äbtissin Wul-frun Euch dann gefunden, Euch die Freiheit erkauft und Euch als Dienerin mit in ihr Kloster genommen.»
Die Nonne zuckte gleichgültig die Achseln.
«Würdet Ihr uns den Namen des Bauern und seines Hofs aufschreiben?» fragte Fidelma. «Oder sollen wir Äbtissin Wulfrun danach fragen?»
Schwester Eafa biß sich auf die Lippe, dann sagte sie ruhig: «Es ... war Fobbas Bauernhof in Fob-ba’s Tun.»
Fidelma lächelte zufrieden. «Marinus, würdet Ihr uns jetzt bitte die Namen auf den beiden Tontafeln vorlesen?»
Der superista nahm die beiden Tafeln zur Hand und las mit fester Stimme: «Fobba in Fobba’s Tun.»
«Daß sie auf Fobbas Bauernhof aufgewachsen ist, läßt nicht unbedingt auf ihre Herkunft schließen», warf Wulfrun ein, offenbar in dem Versuch, etwas von ihrem verlorenen Respekt wiederzugewinnen.
«In diesem Fall schon. Denn Eafa hat uns während ihrer Befragung selbst erzählt, daß sie ursprünglich aus Kent stammt und als Kind nach Ostsachsen verschleppt worden ist. Sie ist Eanreds Schwester und Wighards Tochter.»
Das Mädchen hob den Kopf und sah Fidelma wütend an. «Es ist kein Verbrechen, Eanreds Schwester gewesen zu sein.»
Fidelma lächelte traurig. «Nein, das ist es nicht. Und wenn die Ähnlichkeit Eurer hellbraunen Augen nicht ausgereicht hätte, wäre mir die Gewißheit, daß Ihr Bruder und Schwester seid, spätestens bei Eurem vertraulichen Gespräch in der Kapelle der heiligen Helena gekommen. Die Art, wie Ihr Euch umarmt habt .»
«Eafa war die Frau in der Kapelle?» rief Furius Licinius erstaunt. «Aber Ihr habt uns verschwiegen, daß Ihr sie erkannt habt.»
«Ihr wart es doch, Eafa, oder?» fragte Fidelma.
Wieder zuckte Eafa die Achseln. Ihr Gesichtsausdruck verriet, daß Fidelma die Wahrheit sagte.
«Ich hatte es vermutet, aber ich war mir nicht ganz sicher», seufzte Fidelma. «Wenn sich Bruder und Schwester küssen, ist das etwas anderes als ein Kuß zwischen Liebenden. Eanred wollte Euch beschützen. Er war stets auf Eure Sicherheit bedacht. Als Eure Mutter ermordet wurde und Ihr beide als Sklaven in ein fremdes Land kamt, hat er die Rolle Eures Beschützers angenommen. Ihr standet Euch sehr nahe, und als Ihr beide von Kindern zu Erwachsenen wurdet und Fobba Euch Gewalt antat, war er sofort bereit, Euch zu rächen. Nur Puttocs Eingreifen rettete ihn vor dem Galgen, und er wurde nach Stanggrund gebracht. Bis zu Eurer Ankunft in Rom saht ihr ihn nicht mehr wieder.»
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