Er lachte bitter. Als er sah, daß Fidelma ihn erstaunt ansah, erklärte er: «Und dann war es letztlich doch vergebens.»
«Vergebens?»
«Ja. Das Metall hat Syrakus nie erreicht. Ehe Constans’ Schiffe den Hafen erreichten, hat eine arabische Flotte die Ladung abgefangen und nach Alexandria gebracht.»
«Nach Alexandria?»
Licinius nickte. «Sie ist den Muslimen in die Hände gefallen. Ich denke, damit ist Eure Frage beantwortet.»
Fidelma machte ein nachdenkliches Gesicht. «Und der Kaiser von Rom hält sich jetzt im Süden des Landes auf?»
«Ja. Wie ich höre, soll es dort noch immer heftige Kämpfe mit den Muslimen geben.»
«Deshalb spürt man überall so eine seltsame Ängstlichkeit! Und deshalb ist wohl auch der Kapitän meines Schiffes auf der Überfahrt von Massilia jedesmal kreidebleich geworden, sobald am südlichen Horizont auch nur das kleinste Segel zu sehen war.»
Sie waren an den Stufen des Lateranpalasts angekommen. «Der superista hat Euch ein Zimmer zugewiesen, das Euch während Eurer Ermittlungen als officium dienen soll», erklärte der tesserarius und führte Fidelma durch einen langen Korridor, in dem auch das officium des superista lag, in ein großes Zimmer mit spärlicher, aber zweckmäßiger Möblierung. Bruder Eadulf wartete schon auf sie und erhob sich zur Begrüßung von seinem Platz. Er wirkte ausgeruht und erfrischt.
«Ich habe die Glaubensbrüder angewiesen, sich zur Befragung bereitzuhalten», erklärte er.
«Hervorragend. Licinius wird uns als dispensator dienen und sie zu gegebener Zeit zu uns geleiten.»
Der junge tesserarius, wieder ganz Amtsperson, nickte steif. «Zu Befehl, Schwester.»
Eadulf kratzte sich an der Nase. Einige Schreibtafeln aus Ton und ein stylus lagen neben ihm auf einem kleinen Tisch. «Im Bedarfsfall kann ich damit Aufzeichnungen machen», erklärte er. «Aber ganz ehrlich gesagt, Fidelma, glaube ich nicht, daß bei dieser Befragung viel herauskommen wird. Ich denke ...»
Fidelma hob die Hand, und er verstummte. «Ich weiß, ich weiß. Bruder Ronan Ragallach ist der Schuldige. Aber vielleicht gönnt Ihr es mir trotzdem, meine Neugier zu befriedigen. Um so schneller werden wir das Ganze hinter uns bringen.»
Eadulf schwieg trotzig.
Fidelma war unzufrieden. Sie wünschte, Eadulf wäre aufgeschlossener gewesen. Schließlich schätzte sie seinen scharfen Verstand und seine gute Menschenkenntnis. Aber die innere Stimme, die ihr sagte, daß sich hinter Wighards Tod ein Geheimnis verbarg, ließ sich nicht zum Schweigen bringen.
«Beginnen wir mit Bruder Ine, Wighards Diener», verkündete sie.
Eadulf wandte sich an Licinius. «Holt uns Bruder Ine. Ich habe alle, die wir befragen wollen, gebeten, sich im großen Saal bereitzuhalten. Dort müßtet Ihr ihn finden.»
Der junge tesserarius nickte kurz und verließ das Zimmer.
Grinsend wandte Eadulf sich an Fidelma. «Unser patrizischer Freund scheint von unseren Ermittlungen nicht viel zu halten.»
«Ich glaube, er würde lieber in den ruhmreichen Armeen des alten römischen Reiches kämpfen, als zwei neugierigen Geistlichen als Wächter und Beschützer zu dienen», erwiderte Fidelma trocken. «Er trägt seine patrizische Herkunft mit aller Ungeduld und Überheblichkeit eines unreifen, jungen Menschen wie eine Fahne vor sich her. Aber er hat die Zeit auf seiner Seite: Auch er wird innerlich wachsen und reifen.»
Es schien, als sei Licinius nur einen kurzen Augenblick fort gewesen, denn schon öffnete sich die Tür, und ein kleiner, hagerer Mann mit traurigem Gesicht stand auf der Schwelle. Fidelma schätzte ihn auf Mitte vierzig. Hinter ihm war der junge tesserarius zu sehen.
«Bruder Ine», verkündete Licinius, schob den sichtlich unwilligen Mönch ins Zimmer und schloß die Tür hinter ihm.
«Kommt herein, Bruder Ine.» Eadulf deutete auf einen freien Stuhl. «Das ist Schwester Fidelma von Kildare. Bischof Gelasius hat uns beide beauftragt, Wighards Tod näher zu untersuchen.»
Der Mönch blickte Fidelma mit dunklen, ernsten Augen an.
«Deus vobiscum», murmelte er und sank auf den angebotenen Stuhl.
«Bruder Ine», begann Fidelma, die das Gefühl hatte, noch einmal klarstellen zu müssen, worum es ihnen ging. «Ist Euch bewußt, daß wir im Fall des Mordes an Wighard von Canterbury mit aller Machtbefugnis des päpstlichen Haushalts ermitteln?»
Bruder Ine nickte kurz und ruckartig.
«Ihr wart Wighards persönlicher Diener?»
«Requiscat in pace!» erwiderte Bruder Ine got-tesfürchtig und machte eine Kniebeuge. «Ich bin dem Verstorbenen bei allen täglichen Verrichtungen zur Hand gegangen - mehr noch, ich war sein Vertrauter.»
«Ihr stammt aus dem Königreich Kent?»
Eadulf beschloß, sich zurückzulehnen und Fidelma das Fragen zu überlassen.
«Allerdings.» Ein Anflug von Stolz erschien auf seinem traurigen Gesicht. «Mein Vater war Churl am Hofe König Eadbalds, mein Bruder lebt noch heute am Hofe Eorcenbrehts, Eadbalds Nachfolger auf dem Königsthron.»
«Der Vater war Lehensmann», erklärte Eadulf für den Fall, daß Fidelmas Kenntnisse der sächsischen Sprache nicht ausreichten. «Ein Churl ist ein Lehensmann und persönlicher Diener seines Herrn.»
«Und wann habt Ihr Euer Leben Christus geweiht?» fragte Fidelma weiter.
«Mein Vater hat mich nach Canterbury gebracht, als Honorius Erzbischof war. Ich war damals zehn Jahre alt und wurde im Kloster zum Mönch erzogen.»
Fidelma hatte bereits von der seltsamen sächsischen Sitte gehört, kleine Kinder ins Kloster zu geben.
«Und wie lange standet Ihr in Wighards Diensten?»
«Zwanzig Jahre lang. Ich wurde sein Diener, als er zum Sekretär Bischof Ithamars von Rochester berufen wurde.»
«Ithamar war der erste Einheimische, der fünfzig Jahre, nachdem Augustin das Christentum nach Kent brachte, zum Bischof ernannt wurde», warf Eadulf erklärend ein.
Bruder Ine nickte zustimmend. «Im gleichen Jahr wurde Wighards Familie bei einem Überfall der Pikten auf die Küste Kents niedergemetzelt. Als einfacher Geistlicher war Wighard verheiratet gewesen und hatte mehrere Kinder gehabt. Nach der Ermordung seiner Frau und seiner Nachkommen widmete sich Wighard mit ganzer Kraft der Kirche. Zehn Jahre lang diente er Ithamar. Als Honorius starb und Deusdedit erster sächsischer Erzbischof von Canterbury wurde, ernannte er Wighard zu seinem Sekretär, und wir zogen von Rochester nach Canterbury.»
«Ihr habt Wighard also wirklich über einen langen Zeitraum gekannt ...»
Bruder Ine nickte.
«. und müßtet wissen, ob er irgendwelche Feinde hatte.»
Ine warf Eadulf einen unsicheren Blick zu und schlug die Augen nieder. Anscheinend fiel es ihm schwer, die richtigen Worte zu finden.
«Wighard trat offen für die römische Vorherrschaft in Britannien ein und machte sich dadurch Feinde .»
Als er verstummte, lächelte Fidelma matt. «Ihr meint, bei den Anhängern Columbans, zu denen auch ich gehöre?»
Bruder Ine zuckte verlegen die Achseln.
«Und was ist mit weiteren Feindschaften?» hakte Fidelma nach.
Der Mönch sah sie mit ernsten Augen an. «Keine, die einen Mord rechtfertigen würden.»
«Dann laßt uns jetzt auf die Mordnacht zu sprechen kommen, Bruder Ine», fuhr Fidelma unbeirrt fort. «Als Wighards Diener oblag es Euch sicherlich, ihm bei der Vorbereitung auf die Nachtruhe zu helfen?»
«Ja.»
«Was an jenem Abend aber nicht der Fall war?»
Bruder Ine runzelte die Stirn. Kurz huschte Mißtrauen über sein Gesicht.
«Woher ...?» begann er.
Mit einer ungeduldigen Handbewegung unterbrach ihn Fidelma. «Sein Bett war nicht gemacht, die Überdecke nicht zurückgeschlagen. Eine ganz einfache Schlußfolgerung also. Sagt mir doch bitte, wann Ihr Wighard das letzte Mal lebend gesehen habt.»
Читать дальше