Jetzt zeigte Morgan mit seiner brennenden Zigarre auf Hawkwood. »Sie, Sir, sind genauso scharfsinnig wie Ihr Freund hier.« Er wandte sich an Pepper. »Habe ich nicht gesagt, das ist ein Paar, auf das man zählen kann?«
Lasseur stellte das Glas hin. »Warum wir?«
Morgan legte den Kopf schief. »Die Lieferung des Goldes an Bonaparte ist eine Geste meines guten Willens. Dies wäre Ihre.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Lasseur. Ohne dass Morgan es bemerkte, warf er Hawkwood einen kurzen Blick zu.
»Nein?« Morgan zog an seiner Zigarre und schien das Aroma zu genießen. »Nun, sehen Sie, vorhin im Refektorium, als ich meinen kleinen Plan bekanntgab, kam es mir vor, als ob Sie und Captain Hooper sich nicht ganz so schnell dafür erwärmen konnten wie die anderen. Das ist schade, denn Cephus und ich dachten, dass Sie eine Klasse besser seien, und es wäre schade, wenn wir uns geirrt haben sollten.
Womit ich nicht sagen will, dass wir es nicht schon erlebt haben. Sie wissen ja, wie es ist: Man hält jemandem die Hand der Freundschaft hin und merkt dann, dass er die Erwartungen, die man in ihn setzt, doch nicht erfüllt. Das führt meist zu großem Bedauern und gegenseitigen Vorwürfen. Also, unterm Strich sieht’s so aus: Cephus und ich müssen wissen, auf wen wir uns verlassen können. Und deshalb halte ich es nicht für unzumutbar, wenn wir einen Beweis Ihres Engagements verlangen, finden Sie nicht?«
»Indem Sie von uns verlangen, dass wir einen Zollbeamten umbringen?«
»Um zu beweisen, dass Sie wirklich mit im Boot sind.« Morgan lächelte gewinnend. »Ich meine, es ist doch nicht so, als ob wir es bei Ihnen mit zwei Chorknaben zu tun haben, oder? Da war zum Beispiel dieser kleine Zwischenfall auf dem Hulk. Wie viele kamen da um? Fünf waren’s doch, oder? Das ist eine beeindruckende Anzahl. Man könnte fast schon sagen, etwas übertrieben. Das hat sofort unsere Aufmerksamkeit geweckt, nicht wahr, Cephus?«
»Das kann man wohl sagen«, sagte Pepper. Es war das erste Mal, dass Morgans Leutnant mit Nachdruck gesprochen hatte.
»Wir verlangen ja nur, dass Sie Ihr Geschick auch hier anwenden«, sagte Morgan.
»Halten Sie uns denn für Meuchelmörder?«, fragte Lasseur.
Morgan schüttelte den Kopf. »Daran hatte ich nie gedacht. Aber Sie befinden sich doch immer noch im Krieg, nicht wahr? Und das bedeutet, dass der berittene Officer Jilks Ihr Feind ist, und in Anbetracht dessen, was auf dem Spiel steht, ist er genauso eine Bedrohung wie eine Fregatte der Königlichen Navy oder ein Regiment Dragoner.«
»Der Mann hat Recht«, sagte Hawkwood.
»Und es gibt keine Hinweise, weswegen man die Sache mit Ihnen oder mit Captain Hooper in Verbindung bringen könnte«, sagte Morgan. »Machen Sie die Sache, und in ein paar Tagen sind Sie auf dem Heimweg, und wesentlich wohlhabender als jetzt.«
»Wollen Sie damit andeuten, dass wir dazu verpflichtet sind?«, fragte Lasseur.
»Ich deute nur an, dass Sie beide außerordentlich zupackende Männer sind, die einen hochwichtigen Auftrag vor sich haben. Was bedeutet das Leben eines Mannes, wenn es um die Zukunft Frankreichs geht?«
»Und um Ihre Investitionen.« Lasseur drehte den Stiel seines Weinglases. »Vergessen wir die nicht.«
»Ohne die Ihr Kaiser wesentlich ärmer und Ihre Armee wesentlich schlechter ausgerüstet wäre.« Wenn Morgan über Lasseurs Antwort Groll empfand, dann ließ er es sich nicht anmerken. »Es ist Ihre Pflicht, dieses Schicksal umzudrehen, Captain.«
Lasseur sah Hawkwood an.
»Er hat Recht, mein Freund«, seufzte Hawkwood. »Wenn wir auf der Scorpion wären und ein fettes Handelsschiff vor den Downs vor Anker liegen sähen, würden wir gar nicht darüber reden. Wir würden Sand auf die Decks streuen und die Kanonen ausfahren, und den Letzten würden die Hunde beißen. Ich sage, wenn dieser Jilks der Einzige ist, der zwischen mir und einem verdammten Haufen Geld steht, dann ist der Bastard Freiwild für uns.« Hawkwood hob sein Glas. »Und das weißt du auch.«
Er sah Morgan an. »Sie wollen, dass wir uns um ihn kümmern? So gut wie schon geschehen.«
Der Oberste Richter James Read stand am Fenster und sah nach unten auf die Straße. Bow Street hallte wider von den Geräuschen einer Stadt, die ihren täglichen Geschäften nachging. Das Pferdegetrappel vermischte sich mit dem Rumpeln der Wagenräder, dazwischen hörte man die lauten und misstönenden Schreie der Straßenhändler.
Reads Augen wanderten zum Brown Bear , dem Pub auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein kleiner Junge, einer der vielen kleinen Straßenbengel, die sich hier herumtrieben, hatte gerade versucht, einem vorbeigehenden Passanten die Taschenuhr zu klauen, und wurde jetzt von seinem Opfer kräftig geohrfeigt. Der Junge zappelte wie ein Fisch am Haken. Read konnte nicht anders, als die Frechheit des kleinen Taschendiebes zu bewundern, der hier, nur wenige Schritte von der Staatsanwaltschaft entfernt, seinem Gewerbe nachging. In komischer Verzweiflung schüttelte er den Kopf, als der Junge den Mann kräftig vors Schienbein trat und in der Menge verschwand. Es war interessant, dachte Read, dass niemand im Untergeschoss den Zwischenfall bemerkt zu haben schien und eingegriffen hatte. Er würde sich darum kümmern müssen. Vielleicht wäre es gut, vor dem Haupteingang permanent einen Polizisen zu stationieren.
Read machte sich im Geist eine Notiz und ging an seinen Schreibtisch zurück. Er hatte sich gerade gesetzt, als es klopfte. Die Tür wurde geöffnet und Ezra Twigg kam herein.
»Ein Schreiben von der Admiralität, Sir. Gerade mit Kurier gekommen. Ich habe gesagt, er soll warten, falls Sie eine Antwort schicken wollen.«
»Vielen Dank, Mr. Twigg.«
Read brach das Siegel auf, während Twigg sich im Hintergrund hielt. Als Erstes sah er auf die Unterschrift, der Brief kam von Ludd.
Ezra Twigg beobachtete, wie der Oberste Richter die Stirn runzelte.
»Ich nehme an, es gibt nichts Neues, Sir?«, sagte Twigg.
Read antwortete nicht. Er legte den Brief hin und sagte leicht bedrückt: »Sagen Sie dem Kurier, er kann gehen. Es gibt keine Antwort.«
Twigg nickte und ging zur Tür. Er zögerte und drehte sich noch einmal um. »Alles in Ordnung, Sir?«
Read sah seinen Sekretär an. »Sie hatten Recht mit Ihrer Annahme, Mr. Twigg. Captain Ludd schreibt, dass es von Officer Hawkwood keine Nachricht gibt, seit er von dem Schiff geflohen ist. Genausowenig gibt es eine Nachricht über ihn.«
Twigg zwinkerte hinter seiner Brille, als er das ernste Gesicht des obersten Richters sah. Der Sekretär arbeitete schon zu lange für James Read, um diesen esichtsausdruck nicht zu kennen. Reads Erscheinung, von dem zurückgekämmten silbergrauen Haar und dem Gesicht mit der Adlernase bis zu seinem konservativen dunklen Anzug, war genau das, was man von einem öffentlichen Beamten in gehobener Position erwartete. Wer ihn nicht kannte, mochte vielleicht denken, dass er seine Pflicht mit puritanischem Eifer erfüllte, ohne jedes persönliche Gefühl für diejenigen, die seinen eigenen anspruchsvollen Standard nicht erreichten. Aber Ezra Twigg wusste es besser.
Hinter der peniblen Fassade verbarg sich ein Mann, der sich der Verantwortung, die auf seinen schmalen, eleganten Schultern lag, nur zu oft und schmerzhaft bewusst war. Read machte seine Arbeit tatsächlich mit Hingabe. Aber er kümmerte sich gleichzeitig auch um die Leute, die für ihn arbeiteten. Der Oberste Richter kannte die Gefahren, denen seine Offiziere ausgesetzt waren. Die Runner waren eine Elitetruppe, und es gab nicht viele von ihnen. Sie arbeiteten weit verstreut und waren durch ihre Aufgaben, die sie in alle Teile des Landes führten, oft großer Gefahr ausgesetzt. Read wusste, dass es äußerst kompetente Männer waren, einfallsreich und wenn nötig auch rücksichtslos. Es war nichts Außergewöhnliches, dass von einem Sonderermittler über längere Zeit keine Nachricht kam. Aber das hielt Read nicht davon ab, sich Gedanken um ihr Wohlergehen und ihre Sicherheit zu machen.
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