
Eine dicke und vergnügte Dame, die Missis Spring hieß und jeden Tag zum Putzen zu uns kam, zog jetzt auch ganz und gar zu uns. Missis Spring kümmerte sich um mich und kochte mir mein Essen.
Ich mochte sie sehr gerne, aber mit Großmutter und ihren Geschichten war sie natürlich nicht zu vergleichen.
Etwa zehn Tage später kam eines Abends der Arzt nach unten und sagte zu mir: «Du kannst jetzt hinauf zu ihr, aber nur für ein paar Minuten. Sie hat nach dir gefragt.»
Ich flog die Treppe hinauf und raste in das Zimmer meiner Großmutter und warf mich in ihre Arme.
«He, aufgepasst!», mahnte die Krankenschwester. «Du musst noch vorsichtig mit ihr umgehen.»
«Geht es dir jetzt wieder gut, Großmama?», fragte ich.
«Das Schlimmste ist vorüber», antwortete sie. «Ich bin bald wieder auf den Beinen.»
«Wirklich?», fragte ich die Schwester.
«Aber ja», antwortete die Krankenschwester und lächelte. «Sie hat uns ja praktisch befohlen, sie so rasch wie möglich gesund zu machen, weil sie sich um dich kümmern muss.»
Ich umarmte meine Großmutter noch einmal.
«Sie erlauben mir keine Zigarre», sagte sie. «Aber wart nur mal ab, bis sie wieder aus dem Hause sind!»
«Sie ist ein zäher alter Vogel», bemerkte die Krankenschwester. «In einer Woche haben wir sie wieder in Ordnung.»
Die Schwester hatte Recht. Schon nach einer Woche klopfte Großmutters Stock mit dem goldenen Griff überall im Haus auf den Boden, und sie schaute Missis Spring in die Kochtöpfe. «Vielen Dank für Ihre freundliche Hilfe, Missis Spring», sagte sie, «aber jetzt können Sie wieder nach Hause.»
«Oh, nicht die Spur!» erwiderte Missis Spring. «Der Arzt hat mir befohlen, ich soll darauf achten, dass Sie es erst einmal langsam angehen.»
Der Arzt hatte noch etwas ganz anderes gesagt. Er ließ seine Bombe bei meiner Großmutter und mir hochgehen, indem er uns eröffnete, wir könnten in diesem Sommer unter keinen Umständen das Risiko einer Reise nach Norwegen auf uns nehmen.
«Unfug!», rief meine Großmutter. «Ich hab's ihm versprochen, und wir werden reisen. Punktum.»
«Die Reise ist zu lang», antwortete der Arzt. «Das wäre höchst gefährlich. Aber ich will Ihnen sagen, was ich Ihnen erlauben kann. Sie dürfen Ihren Enkel stattdessen in ein nettes Hotel an der Südküste von England einladen. Die milde Seeluft ist genau das, was Sie brauchen.»
«O nein!», sagte ich.
«Willst du, dass deine Großmutter stirbt?», fragte mich der Arzt.
«Nie und nimmer!», antwortete ich.
«Dann lass sie in diesem Sommer keine so lange und anstrengende Reise machen. Sie ist viel zu schwach dazu. Und bring sie dazu, dass sie diese stinkigen schwarzen Zigarren nicht mehr raucht.»
Zum Schluss hatte der Arzt beim Thema Sommerferien gesiegt, nicht aber bei den Zigarren. Es wurden Zimmer für uns bestellt, im Grandhotel in dem berühmten Badeort Bournemouth.
Bournemouth, so erzählte mir meine Großmutter, wimmelt immer von alten Leuten wie sie selber. Sie zogen sich in wahren Heerscharen dorthin zurück, weil die Luft dort so prickelig und gesund ist, dass sie sie ein paar zusätzliche Jahre länger am Leben erhält, wie sie sagen.
«Stimmt das?», fragte ich.
«Natürlich nicht», erwiderte sie. «Das ist Altweibergeschwätz. Aber trotzdem, ich glaube, es wäre gar nicht so dumm, wenn ich einmal in meinem Leben das täte, was der Arzt will.»
Kurz darauf reisten meine Großmutter und ich mit der Eisenbahn nach Bournemouth und richteten uns im Grandhotel ein. Das war ein riesiges weißes Gebäude direkt am Meer, und es schien mir genau der Ort zu sein, an dem man sich in den Sommerferien nur zu Tode langweilen kann. Ich hatte mein eigenes Schlafzimmer, aber es gab eine Verbindungstür zwischen meinem Zimmer und dem meiner Großmutter, sodass wir uns besuchen konnten, ohne über den Flur gehen zu müssen.
Kurz bevor wir nach Bournemouth aufgebrochen waren, hatte mir meine Großmutter etwas zum Trost geschenkt, zwei weiße Mäuse in einem kleinen Käfig, und die nahm ich natürlich mit. Sie machten mir viel Spaß, diese Mäuse. Ich nannte sie Willi und Marie, und in dem Hotel fing ich sofort an, ihnen Kunststücke beizubringen. Als Erstes lernten sie, innen in meinem Jackenärmel raufzuklettern und oben am Hals herauszukommen. Dann brachte ich ihnen bei, mir hinten den Nacken hoch bis oben auf den Scheitel zu krabbeln. Dafür streute ich mir einfach Kuchenkrümel auf die Haare.
Gleich am ersten Morgen nach unserer Ankunft machte das Stubenmädchen mein Bett, als eine meiner Mäuse den Kopf unter dem Laken hervorsteckte. Das Mädchen stieß einen solchen Schrei aus, dass gut ein Dutzend Leute angestürzt kam, um zu sehen, wer ermordet worden wäre. Ich wurde dem Hoteldirektor gemeldet. Daraufhin kam es im Büro des Direktors zu . , einer unangenehmen Szene zwischen dem Direktor, meiner Großmutter und mir.

Der Direktor, der Mister Stringer hieß, trug einen schwarzen Frack und war ziemlich ärgerlich. «Ich kann keine Mäuse in meinem Hotel dulden, gnädige Frau», sagte er zu meiner Großmutter.
«Und das wagen Sie zu sagen, wo es in Ihrem verlotterten Hotel von Ratten nur so wimmelt!», rief meine Großmutter. «Ratten?», stieß Mister Stringer aus und wurde lila im Gesicht. «In diesem Hotel gibt es keine Ratten!»

«Gerade heute früh habe ich eine gesehen», entgegnete meine Großmutter. «Sie rannte den Korridor entlang in die Küche!»
«Das ist nicht wahr!», schrie Mister Stringer.
«Sie sollten sich lieber schleunigst nach einem Rattenfänger umschauen», riet ihm meine Großmutter, «bevor ich Sie dem Gesundheitsamt melde. Wahrscheinlich spazieren diese Ratten in der ganzen Küche herum und holen sich die Nahrungsmittel aus der Vorratskammer und springen in der Suppe herum.»
«Vollkommen ausgeschlossen!», rief Mister Stringer.
«Kein Wunder, dass mein Frühstückstoast heute Morgen an allen Ecken angeknabbert war», fuhr meine Großmutter gnadenlos fort. «Kein Wunder, dass er so scheußlich nach Ratten schmeckte. Wenn Sie nicht aufpassen, dann werden diese Gesundheitsbeamten das ganze Hotel schließen lassen, bevor die Gäste Typhus kriegen.»

«Das kann nicht Ihr Ernst sein, gnädige Frau», stammelte Mister Stringer.
«Ich bin noch nie in meinem Leben so ernst gewesen», entgegnete meine Großmutter. «Gestatten Sie nun meinem Enkel, seine weißen Mäuse in seinem Zimmer zu halten oder nicht?»
Der Hoteldirektor wusste, wann er geschlagen war. «Darf ich mir gestatten, einen Kompromiss vorzuschlagen, gnädige Frau?», fragte er. «Ich will ihm erlauben, sie in seinem Zimmer zu lassen, sofern sie den Käfig nicht verlassen. Wie wäre das?»
«Das käme uns sehr gelegen», antwortete meine Großmutter, erhob sich und marschierte mit mir im Gefolge zum Büro hinaus.
Nun kann man Mäusen schlecht Kunststücke beibringen, wenn sie im Käfig sitzen. Ich wagte es jedoch nicht, sie freizulassen, weil das Zimmermädchen ununterbrochen hinter mir her spionierte. Sie hatte einen Hauptschlüssel für meine Tür, und sie platzte zu jeder Tageszeit herein, um mich dabei zu erwischen, wie ich die Mäuse außerhalb des Käfigs hatte. Sie sagte mir, die erste Maus, die die Vorschrift bräche, würde sie vom Portier in einem Eimer Wasser ertränken lassen.
Читать дальше