Dick Francis - Reflex

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Ein zäher junger Jockey mit einer rauhen Vergangenheit und einer erfolgversprechenden Zukunft stolpert über Erpressung und manipulierte Rennen und erledigt gemeine Verbrecher mit Heldenmut und fotografischer Hexerei!

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Dick Francis

Reflex

Kapitel 1

Keuchend und hustend lag ich auf einen Ellbogen gestützt auf dem Boden und spuckte einen Mundvoll Gras und Dreck aus. Das Pferd, das ich geritten hatte, hievte sein Gewicht von meinem Knöchel, rappelte sich unbeholfen auf und galoppierte ungerührt davon. Meine Knochen waren gründlich durchgeschüttelt von dem Aufprall, und ich wartete mit bebender Brust darauf, daß alles wieder ins Lot kam, daß ich nach dem FünfzigStundenkilometer-Salto und ein paar Purzelbäumen mein Gleichgewichtsgefühl wiedergewann.

Nichts passiert. Nichts gebrochen. Ein Sturz mehr, nichts weiter.

Zeit und Ort: sechzehntes Hindernis, Drei-MeilenHindernisrennen, Rennbahn Sandown Park, Freitag, November, im kalten Nieseldauerregen. Nachdem ich Atem und Kraft geschöpft hatte, stand ich lustlos auf und dachte voller Inbrunst, daß es verdammt albern war, als erwachsener Mensch auf diese Weise sein Leben zu verbringen.

Der bloße Gedanke versetzte mir einen Schock. Dergleichen war mir noch nie in den Sinn gekommen. In rasendem Tempo auf einem Pferderücken über die unterschiedlichsten Hindernisse zu setzen war die einzige Art, die ich kannte, mir meine Brötchen zu verdienen. Und diesen Job konnte man nur machen, wenn man mit dem

Herzen dabei war. Ein erster kühler Anflug von Desillusionierung meldete sich wie das erste Stechen von Zahnschmerzen, unerwartet, unwillkommen, ein beunruhigender Hinweis auf möglichen Ärger.

Ich unterdrückte das Gefühl, ohne mich groß aufzuregen. Bestätigte mir selbst, daß ich dieses Leben liebte, wie ich es immer geliebt hatte, gar keine Frage. Ich überzeugte mich mühelos davon, daß alles in bester Ordnung war, abgesehen von dem Wetter, von meinem Sturz und dem verlorenen Rennen… nichts weiter von Bedeutung. Alltagskram, wie ihn die Arbeit mit sich brachte.

Während ich in meinen papierdünnen Reitstiefeln, die sich überhaupt nicht zum Wandern eigneten, den Hügel zu den Tribünen hinaufquatschte, dachte ich einzig und allein an das Pferd, auf dem ich gestartet war, und überlegte mir, was ich seinem Trainer sagen konnte und was nicht. Verwarf:»Wie können Sie erwarten, daß es springt, wenn Sie es nicht ordentlich schulen?«zugunsten von:»Die Erfahrung wird ihm guttun.«

«Untaugliches, schreckhaftes, hartmäuliges, unterernährtes Mistvieh «war vielleicht doch nicht so gut, also entschied ich mich für:»Man könnte es mit Scheuklappen versuchen. «Der Trainer würde ohnehin mir den Sturz ankreiden und dem Besitzer erzählen, ich hätte den Sprung falsch eingeschätzt. Für Trainer wie ihn war jeder Absturz ein Pilotenfehler.

Ich war dem Himmel leise dankbar, daß ich nicht oft für diesen Rennstall reiten mußte. Ich war nur für diesen Tag engagiert worden, weil Steve Millace, der Stalljockey, bei der Beerdigung seines Vaters war. Vertretungsritte konnte man nicht ohne weiteres ablehnen, selbst wenn die Katastrophe einem schon aus dem Rennbericht entgegensah. Nicht, wenn man auf das Geld angewiesen war wie ich. Und nicht, wenn man wie ich darauf angewiesen war, daß der eigene Name so oft wie möglich auf den Starterlisten erschien, damit jeder wußte, daß man brauchbar, gefragt und präsent war.

Das einzig Gute bei meinem Sturz an dem Hindernis war, daß Steve Millaces Vater nicht da war, um das Ereignis festzuhalten. George Millace, der gnadenlose Fotograf von Augenblicken, die jeder Jockey am liebsten ungeschehen machen würde, lag sicher verwahrt in seiner Kiste und wurde wahrscheinlich gerade in dieser Minute zur ewigen Ruhe in die Erde versenkt. Ein Glück, daß wir ihn los sind, dachte ich herzlos. Es war ein für allemal vorbei mit dem geringschätzigen, hämischen Vergnügen, das George empfand, wenn er den Pferdebesitzern unwiderlegbare Beweise für das Versagen ihrer Jockeys präsentieren konnte. Ein für allemal vorbei mit der motorisierten Kamera, die mit ihren dreieinhalb Bildern pro Sekunde die falsche Gewichtsverlagerung, den Arm in der Luft, das Gesicht im Matsch einfing.

Während andere Sportfotografen fairerweise von Zeit zu Zeit ein Siegerfoto brachten, handelte George ausschließlich in Schmach und Schande. George war der geborene Ehrabschneider. Die Zeitungen bedauerten es vielleicht, daß es ein Ende hatte mit seinen zum Kichern reizenden Bildern, aber an dem Tag, als Steve erzählte, daß sein Vater gegen einen Baum gefahren war, hielt sich die Trauer in der Jockeystube in Grenzen.

Aus Sympathie für Steve hatte niemand viel gesagt. Allerdings war ihm das Schweigen nicht entgangen, und er hatte sich sein Teil gedacht. Er hatte seinen Vater all die Jahre pflichtschuldig verteidigt; und er wußte Bescheid.

Als ich so im Regen zurücktrottete, kam es mir dennoch sonderbar vor, daß wir George Millace nie wiedersehen sollten. Ich sah seine altvertraute Erscheinung vor meinem inneren Auge: leuchtende, kluge Augen, lange Nase, Hängeschnauzer, zu einem säuerlichen Lächeln verzogener Mund. Zugegeben, ein fantastischer Fotograf mit einem außergewöhnlichen Talent für Vorahnungen und gutes Timing, stets mit dem Objektiv zur rechten Zeit am rechten Ort. Ein Witzbold, auf seine Art: Erst vor knapp einer Woche hatte er mir ein Hochglanz-Schwarzweißfoto gezeigt, das mich im Sturzflug zeigte, Nase nach unten, Hinterteil in der Luft. Die Legende auf der Rückseite lautete: >Philip Nore —… Arsch hoch zum Grashüpfen!< Wenn hinter seinem Humor nicht diese tiefsitzende Mißgunst gesteckt hätte, hätte man lachen können. Wenn nicht diese Grausamkeit in seinen Augen gelauert hätte, hätte man seinen entlarvenden Ansatz zumindest tolerieren können. Er hatte gewissermaßen Bananenschalen verstreut und dann auf der Lauer gelegen, um sich über diejenigen lustig zu machen, die darauf ausrutschten; man würde ihn dankbar vermissen.

Als ich schließlich in den Schutz der Veranda vor dem Waageraum trat, empfingen mich Trainer und Besitzer mit der erwarteten vorwurfsvollen Miene.

«Ziemlich übel verschätzt, wie?«sagte der Trainer aggressiv.

IO

«Er ist einen Schritt zu früh abgesprungen.«

«Ihr Job, ihn richtig ranzuführen.«

Zwecklos, darauf hinzuweisen, daß kein Jockey auf der Welt jedes Pferd jederzeit perfekt springen lassen kann, und ein schlecht geschultes, das bockt, schon gar nicht. Ich nickte nur und lächelte den Besitzer leicht bekümmert an.

«Man könnte es mit Scheuklappen versuchen«, sagte ich.

«Darüber habe ich zu entscheiden«, sagte der Trainer scharf.

«Sie sind doch nicht verletzt?«fragte der Besitzer besorgt. Ich schüttelte den Kopf. Der Trainer würgte diese menschliche, Jockey-bezogene Erkundigung ab und schleuste seine Geldquelle aus der Gefahrenzone hinaus, ehe ich irgend etwas Wahres darüber sagen konnte, warum das Pferd nicht sprang, wenn es dazu aufgefordert wurde. Ich sah ihnen ohne Bitterkeit nach und wandte mich dann zur Tür des Waageraumes.

«Äh, sind Sie nicht Philip Nore?«sagte ein junger Mann und versperrte mir den Weg.

«Bin ich.«

«Tja… könnte ich Sie einen Moment sprechen?«

Er war ungefähr fünfundzwanzig, langbeinig wie ein Storch, ein aufrechter Mensch mit büroblassem Teint. Grauer Flanellanzug, gestreifte Krawatte, kein Fernglas und an diesem Ort hier, wo Unbefugte keinen Zutritt hatten, völlig fehl am Platze.

«Klar«, sagte ich.»Wenn Sie warten wollen, bis der Arzt mich durchgecheckt hat und ich mir was Trockenes angezogen habe.«

«Arzt?«Er schien erschrocken.

«Ach. Routine. Nach einem Sturz. Dauert nicht lang.«

Als ich aufgewärmt und in Straßenkleidung wieder herauskam, stand er immer noch da, und er war mehr oder weniger allein auf der Veranda, weil fast jeder sich das letzte Rennen ansah, das bereits im Gange war.

«Ich… ähm… Mein Name ist Jeremy Folk. «Er zog eine Visitenkarte aus seinem grauen Jackett und hielt sie mir unter die Nase. Ich nahm sie und las: Folk, Langley, Sohn und Folk.

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