Mann, der in London in der Wohnung unter mir wohnte, hatte Ohren wie Stethoskope und war schon da, um an meine Tür zu trommeln, wenn ich bloß eine Nadel fallen ließ.
Aus den fünf Minuten wurden fast zwanzig — erst dann hörte Arne auf, hin und her zu gehen, und stellte den Ton leiser.
«Großartig, ganz großartig«, sagte er.
«Sicher«, pflichtete ich ihm bei, denn er hatte ja recht. Es war und blieb eine großartige Musik — am richtigen Ort, sofern er die Größe der Albert Hall hatte.
Kari kehrte mit einem leichten, weiblich-nachsichtigen Kopfschütteln aus ihrem Exil zurück. Sie sah in ihrem seidenen, kupferfarbenen Hosenanzug, der phantastisch zu ihrem Haar, ihrem Teint und ihren Augen paßte und auch dem Rest nicht schlecht bekam, in höchstem Maße beunruhigend aus. Sie schenkte uns nach und ließ sich dann nahe beim Feuer auf einem Sitzkissen nieder.
«Wie hat es dir bei den Rennen gefallen?«fragte sie.
«Sehr gut«, erwiderte ich.
Arne blinzelte ein wenig, sagte, er müsse noch ein paar Telefonate erledigen, und ging in den Flur hinaus. Kari berichtete mir, sie habe sich das Grand National im Fernsehen angeschaut, und meinte, sie gehe nur selten zu den Rennen.
«Ich bin ein Hausmensch«, sagte sie.»Arne glaubt, das Leben draußen in der freien Natur sei gesünder, aber mir macht es keinen Spaß zu frieren, naß oder vom Wind gebeutelt zu werden. Deshalb lasse ich ihn losziehen und all diese rauhen Dinge tun wie Skilaufen, Segeln und Schwimmen. und ich, ich halte ihm die Stube warm, in die er dann heimkehren kann.«
Sie lächelte, und mir war ein ganz klein wenig so, als ob sie bei all ihrer Fürsorge für Arne nicht nur aufrichtige Liebe für ihn empfände. Irgendwo tief in ihr verborgen, da gab es eine Einstellung zu den sogenannten Männersachen, die von
Bewunderung weit entfernt war — und eine so tiefverwurzelte Abneigung erstreckte sich, meiner Erfahrung nach, auf alle, die sich diesen Tätigkeiten widmeten.
Im Flur war Arne zu hören, der norwegisch sprach.
«Er redet vom Absuchen eines Teiches«, sagte Kari und sah mich verwirrt an.»Was für ein Teich?«
Ich erklärte es ihr.
«O je. seine arme junge Frau. ich hoffe nur, er ist da nicht drin. Wie würde sie das wohl ertragen?«
Besser das, dachte ich, als glauben zu müssen, ihr Mann sei ein Dieb und habe sie verlassen. Ich sagte:»Es ist nur eine Möglichkeit. Aber wir gehen besser auf Nummer Sicher.«
Sie lächelte.»Arne hat eine sehr hohe Meinung von dir. Ich nehme an, du hast recht. Als Arne aus England zurückkam, sagte er mal, er würde nur ungern in die Situation geraten, daß du gegen ihn ermittelst, denn du könntest anscheinend die Gedanken anderer lesen. Als der Vorsitzende der Rennbahn um jemanden bat, der bei der Suche nach Bob Sherman helfen würde, und Arne erfuhr, daß du selbst kommen wolltest, da war er hocherfreut. Ich habe gehört, wie er zu jemandem am Telefon sagte, du hättest Habichtsaugen und einen messerscharfen Verstand. «Sie lächelte ironisch, und das sanfte Licht schimmerte auf ihren Zähnen.»Fühlst du dich geschmeichelt?«
«Ja«, sagte ich.»Ich wünschte, es stimmte.«
«Es muß stimmen, wo du doch diese leitende Position hast, und das in deinem Alter.«
«Ich bin dreiunddreißig«, sagte ich.»In dem Alter hatte Alexander der Große schon die Welt von Griechenland bis Indien erobert.«
«Du siehst wie fünfundzwanzig aus«, sagte sie.
«Das ist eine große Beeinträchtigung.«
«Eine. was?«»Ein Nachteil.«
«Das würde eine Frau nicht finden.«
Arne kam aus dem Flur wieder herein und sah geistesabwesend aus.
«Alles in Ordnung?«
«Oh. äh. ja. «Er blinzelte ein paarmal.»Es ist alles geregelt. Der Teich wird morgen um neun abgesucht. «Er hielt einen Augenblick inne und fragte dann:»Wirst du dort sein, David?«
Ich nickte.»Und du?«
«Ja. «Die Aussicht schien ihm nicht zu gefallen, aber ich selbst war auch nicht gerade begeistert. Wenn Bob Sherman tatsächlich dort gefunden wurde, dann würde es sich um eines jener unvergeßlichen Objekte handeln, bei deren Anblick man sich wünscht, sie nie gesehen zu haben, und meine Privatgalerie an entsprechenden Erinnerungsbildern war schon umfangreich genug.
Arne schichtete Holzscheite aufs Feuer, als gälte es, böse Geister zu vertreiben, und Kari meinte, es sei Zeit zum Essen. Es gab Rentiersteaks in einer sehr würzigen dunklen Soße und danach die versprochenen Moltebeeren, die, wie sich herausstellte, gelblich braun waren und nach Karamel schmeckten.
«Das ist etwas ganz Besonderes«, sagte Arne, dem es offensichtlich Freude bereitete, mir diese Köstlichkeit bieten zu können.»Sie wachsen in den Bergen, und die Erntesaison dauert nur drei Wochen. Das Pflücken der Beeren ist durch ein Gesetz geregelt. Man kann strafrechtlich verfolgt werden, wenn man sie vor der Zeit pflückt.«
«Man kann sie auch in Dosen bekommen«, sagte Kari.»Aber der Geschmack ist nicht derselbe.«
Wir aßen in andächtiger Stille.
«Keine mehr bis zum nächsten Jahr«, sagte Arne bedauernd und legte den Löffel hin.»Trinken wir einen Kaffee.«
Kari brachte den Kaffee und wies belustigt mein halbherziges Angebot zurück, ihr beim Abwasch zu helfen.
«Das möchtest du doch gar nicht wirklich. Sei ehrlich.«
«Nein, das möchte ich gar nicht wirklich«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.
Sie lachte. Eine sehr feminine Frau, die offenkundig nicht zu jenen gehörte, die lautstark nach Gleichheit in der Küche riefen. Die zwischen ihr und Arne getroffene Vereinbarung, nach der alles im Haus ihre Domäne war und alles draußen seine, schien nur Harmonie hervorgebracht zu haben. Bei meiner Schwester hatte eine vergleichbare Regelung zu Verstimmungen, Streit und einer zerrütteten Ehe geführt. Ich hatte den Eindruck, als wären Karis Erwartungen nicht so hoch, als gäbe sie sich mit weniger zufrieden — und als erreichte sie dadurch weitaus mehr.
Ich blieb nicht allzu lange. Ich sah Kari ein bißchen zu gerne an, und Arne war schließlich trotz all seiner Eigenheiten ein Ermittler. Ich selbst hatte ihm beigebracht, darauf zu achten, wohin die Leute sahen, denn zumeist weilten ihre Gedanken da, wo ihre Augen waren. Es gab Männer, denen es eine ungeheure Befriedigung verschaffte, wenn andere ihre Frauen begehrten, aber es gab auch solche, die Wut und Rachsucht empfanden. Ich wußte nicht, wie Arne reagieren würde, hatte aber auch nicht vor, es herauszufinden.
Montagmorgen. Nieselregen. Das Tageslicht breitete sich allmählich über der Rennbahn von 0vrevoll aus und verwandelte die anthrazitfarbenen Wolken in flanellgraue. Dunkelgrüne Fichten und gelbe Birken standen zu Abertausenden tropfnaß herum, und der Papiermüll vom Vortag lag aufgeweicht in Fetzen überall auf dem nassen Asphalt verstreut.
Im unteren Teil des Geläufs waren Gunnar Holth und ein paar andere mit ihren Rennpferden bei der Morgenarbeit, der obere Teil jenseits des Zielpfostens war jedoch vorübergehend abgesperrt worden.
Mehr vor Depression als vor Kälte zitternd, saß ich zusammen mit Lars Baltzersen im Turm und sah zu, wie unten der Teich abgesucht wurde. Mit den Händen in den Taschen und hochgezogenen Schultern sahen Arne und zwei Polizisten mit tropfenden Mützen vom Ufer aus verdrossen zu dem kleinen Boot hinüber, das langsam und systematisch zwischen den Ufern hin und her glitt.
Der Teich war mehr oder weniger rund, hatte einen Durchmesser von ungefähr dreißig Metern und war anscheinend etwa einsachtzig tief. In dem Boot befanden sich zwei Polizisten mit Greifhaken und dazu noch ein dritter, der einen Taucheranzug anhatte und das Rudern besorgte. Er trug Flossen, Taucherkappe und — brille und hatte sich schon zweimal, mit einer Unterwasserlampe bewehrt, über die Seitenwand des Bootes fallen lassen, um nachzusehen, worauf die Greifhaken gestoßen waren. Beide Male hatte er nach dem Wiederauftauchen nur den Kopf geschüttelt.
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