Vielleicht las La Ponte deshalb keine Feindseligkeit in seinem Gesicht, als er barfuß, im Pyjama und mit verschlafenen Augen, die Tür öffnete. Er hatte gerade noch Zeit, überrascht den Mund aufzusperren, bevor Corso ihm mit einem gezielten Faustschlag die Kinnlade wieder schloß und ihn hinterrücks in die entgegengesetzte Zimmerecke beförderte.
Unter anderen Umständen hätte Lucas Corso die Szene vielleicht genossen: Luxussuite, Blick auf den Obelisken der Place de la Concorde, flauschiger Teppichboden und riesiges Badezimmer, La Ponte, der in einer Ecke lag, sich das schmerzende Kinn rieb und die Augen verdrehte, ferner ein Frühstückstablett auf dem großen Bett, auf dem Liana Taillefer saß, blond und starr vor Staunen. Sie hatte einen angebissenen Toast in der Hand, und aus ihrem tief ausgeschnittenen Seidennachthemd quoll einer ihrer üppigen weißen Brüste. Brustwarze mit zwei Zentimetern Durchmesser, stellte Corso nüchtern fest, als er die Tür hinter sich schloß.
»Guten Morgen«, sagte er und näherte sich dem Bett.
Liana Taillefer, die noch immer den Toast in der Hand hielt, sah ihm regungslos zu, wie er sich neben sie setzte, seine Segeltuchtasche auf den Boden stellte, einen prüfenden Blick auf das Tablett warf und sich dann eine Tasse Kaffee einschenkte. Mindestens eine halbe Minute lang sagte keiner ein Wort. Schließlich nahm Corso einen Schluck Kaffee und grinste die Frau an.
»Wenn ich mich recht entsinne«, die unrasierten Kinnbacken ließen seine Gesichtszüge noch schärfer erscheinen, sein Mund glich einer Messerklinge, »dann habe ich Sie bei unserer letzten Begegnung ziemlich grob behandelt ...«
Sie antwortete nicht. Inzwischen hatte sie den angebissenen Toast auf das Tablett zurückgelegt und ihre ausufernde Anatomie in dem Seidennachthemd verstaut. Aus ihrem Blick sprach weder Angst noch Hochmut, noch Groll, ja sie sah ihn beinahe gleichgültig an. Nach der Szene in seiner Wohnung hätte sich der Bücherjäger eigentlich Haß in diesen Augen erwartet. >Dafür werde ich Sie umbringen< und so weiter. Und beinahe hätte sie es auch geschafft. Aber die stahlblauen Augen Liana Taillefers wirkten so kalt wie zwei Pfützen Eiswasser, und das beunruhigte Corso mehr als ein Wutausbruch. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie völlig ungerührt den Leichnam ihres Mannes betrachtete, der an der Wohnzimmerlampe hing. Armer Teufel - er dachte an das Foto, auf dem der Verleger mit einer Schürze bekleidet dastand und sich anschickte, ein Spanferkel zu zerteilen. Nettes Drehbuch, das sie ihm da alle zusammengeschrieben hatten.
»Verdammter Arsch«, grunzte La Ponte, der immer noch auf dem Boden lag und es endlich geschafft hatte, Corso einigermaßen ins Bild zu bekommen. Er zog sich schwerfällig an den Möbeln in die Höhe. Corso sah ihm interessiert zu.
»Du scheinst ja nicht sehr begeistert, mich wiederzusehen.«
»Begeistert?« Der Buchhändler massierte sich die Wange und betrachtete immer wieder seinen Handteller, als fürchte er, dort Teile seiner Zähne zu entdecken. »Ich glaube, du bist verrückt geworden. Total verrückt.«
»Noch nicht, aber bald habt ihr mich so weit. Du und deine Kumpane.« Er deutete mit dem Daumen auf Liana Taillefer. »Einschließlich der untröstlichen Witwe.«
La Ponte trat vorsichtig einen Schritt auf ihn zu, ohne ihm jedoch zu nahe zu kommen.
»Würdest du mir freundlicherweise erklären, wovon du sprichst?«
Corso streckte eine Hand nach ihm aus und begann mit Hilfe seiner Finger eine Aufzählung.
»Ich spreche von dem Dumas-Manuskript und von den Neun Pforten. Von Victor Fargas, der in Sintra ertrunken ist. Von Rochefort, der mir wie ein Schatten folgt, mich vor einer Woche in Toledo angegriffen hat und gestern abend hier, in Paris.« Corso deutete wieder auf Liana Taillefer. »Von Milady. Und von dir, egal welche Rolle du in dieser Geschichte hast.«
La Ponte war Corsos Fingern während der Aufzählung gefolgt und hatte fünfmal hintereinander geblinzelt, einmal bei jedem Finger. Am Ende faßte er sich wieder an die Wange, diesmal aber nicht vor Schmerz, sondern aus Ratlosigkeit. Er schien drauf und dran, etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber anders. Als er sich endlich doch dazu entschloß, tat er es an Liana Taillefer gewandt.
»Was haben wir mit dieser Sache zu tun?«
Sie zuckte verächtlich mit der Schulter und gab damit zum Ausdruck, daß sie weder an Erklärungen interessiert noch zur Mitarbeit bereit war. Das Frühstückstablett neben sich, lehnte sie nach wie vor in den Kissen, ihre blutrot lackierten Fingernägel zerkrümelten eine Scheibe Toastbrot, aber abgesehen davon war die einzige Bewegung, die man an ihr wahrnehmen konnte, das Auf und Ab ihres Busens in dem großzügig dekolletierten Nachthemd. Im übrigen beschränkte sie sich darauf, Corso gegenüber die steinerne Miene eines Pokerspielers aufzusetzen, der darauf wartet, daß der andere seine Karten auf den Tisch legt.
La Ponte kratzte sich den Kopf dort, wo kaum noch Haare sprießten. Er gab kein sehr glänzendes Bild ab, wie er so in der Mitte des Zimmers stand, mit seinem zerknitterten Nadelstreifenpyjama und der linken Backe, die unter dem Bart angeschwollen war. Seine verwirrten Augen wanderten zwischen Corso und der Witwe hin und her. Schließlich blieben sie an seinem Freund hängen.
»Ich verlange eine Erklärung«, sagte er.
»Was für ein Zufall. Ich bin nämlich mit demselben Anliegen zu dir gekommen.«
La Ponte zögerte und warf Liana Taillefer noch einmal einen unsicheren Blick zu. Er fühlte sich gedemütigt, und das war auch kein Wunder. Zunächst zählte er im Geiste die drei Knöpfe seines Schlafanzugs ab, und dann starrte er auf seine nackten Füße. Sich in dieser Aufmachung einer Krise zu stellen, grenzte schon beinahe ans Pathetische. Endlich deutete er aufs Bad.
»Laß uns da reingehen«, sagte er zu Corso, bemüht, seiner Stimme einen strammen Ton zu verleihen, aber seine geschwollene Backe hinderte ihn daran, die Konsonanten deutlich auszusprechen. »Du und ich.«
Die Frau blieb nach wie vor reglos und verriet nicht die geringste Unruhe, während sie den beiden zusah wie einer langweiligen Fernsehsendung. Corso überlegte, daß man früher oder später etwas gegen sie unternehmen mußte, aber im Augenblick fiel ihm nichts ein. Nach kurzem Zaudern hob er seine Segeltuchtasche vom Boden auf und betrat vor La Ponte das Bad. Der schloß die Tür hinter ihnen.
»Dürfte ich jetzt erfahren, warum du mich geschlagen hast?«
Er sprach leise, denn er fürchtete, daß die Witwe sie vom Bett aus hören könnte. Corso legte seine Tasche ins Bidet, prüfte die Sauberkeit der weißen Handtücher, stöberte ein wenig auf der Waschbeckenablage herum und wandte sich dann völlig ruhig zu dem Buchhändler um.
»Weil du ein hundsgemeiner Verräter bist«, erwiderte er. »Du hast mir kein Wort davon gesagt, daß du in dieser Sache drinsteckst. Und du hast zugelassen, daß man mich hereinlegt, daß man mir folgt und mich verprügelt.«
»Ich stecke in überhaupt nichts drin. Und der einzige, der hier verprügelt wurde, bin ich.« Der Buchhändler untersuchte sein Gesicht im Spiegel. »O Gott! Schau an, was du gemacht hast. Ich bin ja entstellt!«
»Wenn du mir nicht alles beichtest, entstelle ich dich gleich noch mehr.«
»Beichten?« La Ponte befühlte die geschwollene Backe und sah Corso dabei von der Seite an, als habe der den Verstand verloren. »Das ist kein Geheimnis, Liana und ich haben .« Er unterbrach sich und suchte nach dem passenden Wort. »Ähem. Du hast es ja selbst gesehen.«
»Ihr habt Freundschaft geschlossen«, sagte Corso vor.
»Genau.«
»Wann?«
»Am selben Tag, an dem du nach Portugal gefahren bist.«
»Wer hat sich an wen rangemacht?«
»Praktisch ich.«
»Praktisch?«
Читать дальше