»Ja, ich habe sie besucht.«
»Wieso?« »Weil ich ihr ein Angebot machen wollte . für die Bibliothek ihres Mannes.«
»Und das ist dir einfach so eingefallen?«
»Na ja ... Sie hat mich vorher angerufen. Das habe ich dir doch erzählt.«
»Stimmt.«
»Sie wollte das Dumas-Manuskript zurückhaben, das mir der Verblichene verkauft hatte.«
»Hat sie dir auch gesagt, warum?«
»Zum Andenken.«
»Und du hast ihr geglaubt.«
»Ja.«
»Oder besser gesagt, es war dir egal.«
»Weißt du, in Wirklichkeit .«
»Sicher. In Wirklichkeit ging es dir nur darum, sie zu bumsen.«
»Das auch.«
»Und sicher ist sie sofort gefallen.«
»Wie eine reife Birne vom Baum.«
»Klar. Und dann seid ihr nach Paris in die Flitterwochen gefahren.«
»Nicht ganz ... Sie hatte hier zu tun.«
»Und hat dich eingeladen, sie zu begleiten.«
»Exakt.«
»Einfach so, nicht? Um die Idylle fortzusetzen. Spesen auf ihre Rechnung.«
»Du hast es erraten.«
Corso schnitt eine höhnische Grimasse.
»Wie schön ist doch die Liebe, wenn zwei sich wirklich gern haben. Stimmt’s, Flavio?«
»Werd jetzt nicht zynisch. Liana ist eine außergewöhnliche Frau. Du kannst dir ja nicht vorstellen .«
»Doch, das kann ich.« »Kannst du nicht.«
»Aber wenn ich es dir doch sage.«
»Das hättest du wohl gern. Mit diesem Bombenweib.«
»Laß uns nicht vom Thema abkommen, Flavio. Wir waren in Paris stehengeblieben.«
»Genau.«
»Was habt ihr mit mir vor?«
»Überhaupt nichts. Wir wollten dir heute oder morgen mal einen Besuch abstatten. Um das Manuskript von dir zurückzuverlangen.«
»Und die Sache gütlich beizulegen.«
»Klar. Wie sonst?«
»Daß ich mich weigern könnte, es herauszurücken - die Idee ist euch nicht gekommen?«
»Na ja, Liana hatte so ihre Zweifel.«
»Und du?«
»Ich nicht.«
»Du nicht, was?«
»Ich habe da kein Problem gesehen. Schließlich sind wir Freunde. Und der Vin d’Anjou gehört mir.«
»Verstehe: Du warst ihr zweites As im Ärmel.«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Liana ist eine phantastische Frau. Und sie vergöttert mich.«
»Ja, sie scheint mir sehr verliebt.«
»Glaubst du wirklich?«
»Du bist ein Idiot, Flavio. Sie haben dich genauso reingelegt wie mich.«
Zu dieser Einsicht gelangte er so plötzlich, als habe ihn eine Alarmsirene aus dem Schlaf gerissen. Corso stieß La Ponte brüsk zur Seite und stürzte ins Schlafzimmer zurück: Liana Taillefer hatte sich halbwegs angezogen und war dabei, ihren Koffer zu packen. Einen Moment lang hefteten sich ihre eiskalten Augen auf ihn, und Corso begriff, daß sie, während er die große Klappe geschwungen hatte, die ganze Zeit über nur auf etwas gelauert hatte: ein Geräusch oder ein Zeichen. Wie eine Spinne im Zentrum ihres Netzes.
»Auf Wiedersehen, Senor Corso.«
Jetzt hatte sie wenigstens vier Worte über die Lippen gebracht. Corso, der sich noch gut an ihre tiefe, leicht heisere Stimme erinnern konnte, begriff nicht ganz, was das - abgesehen von ihrem baldigen Aufbruch - bedeuten sollte. Er machte einen weiteren Schritt auf sie zu, als er plötzlich bemerkte, daß noch jemand im Zimmer war: ein Schatten, der sich links hinter ihm aus dem Türrahmen löste. Im Bewußtsein, einen weiteren Fehler begangen zu haben, wollte er sich noch umdrehen, aber es war bereits zu spät. Er konnte gerade noch Liana Taillefer lachen hören, wie die bösen, blonden Vamps in den Filmen. Was den Schlag betraf - den zweiten in weniger als zwölf Stunden -, so saß er ebenfalls hinterm Ohr, an derselben Stelle. Rochefort nahm er nur noch verschwommen wahr. Als er auf dem Boden ankam, war er bereits bewußtlos.
XIII. Die Intrige spitzt sich zu
In diesem Augenblick zittern Sie, weil Ihnen die Situation und die bevorstehende Jagd Angst einflößen. Würden Sie aber auch zittern, wenn ich präzise wäre wie ein Eisenbahnfahrplan?
A. Conan Doyle, Das Tal der Angst
Zuerst war da nur eine Stimme aus weiter Ferne, ein verwaschenes Murmeln, mit dem er nicht klarkam. Er versuchte sich zu konzentrieren und glaubte jetzt zu verstehen, daß man über ihn sprach, über sein Aussehen. Corso hatte keine Ahnung, wie er aussah, aber das interessierte ihn auch gar nicht. Er lag auf dem Rücken und verspürte nicht die mindeste Lust, die Augen aufzuschlagen, vor allem weil er fürchtete, der Schmerz, der auf seine Schläfen drückte, könne noch schlimmer werden.
Irgend jemand tätschelte seine Wange, so daß ihm schließlich doch nichts anderes übrigblieb, als widerwillig mit einem Auge zu blinzeln. Flavio La Ponte stand über ihn gebeugt und beobachtete ihn besorgt. Er trug noch immer seinen Pyjama. »Hör schon auf, mir im Gesicht herumzufummeln«, knurrte Corso.
Der Buchhändler stieß mit hörbarer Erleichterung die Luft aus den Lungen aus.
»Ich dachte, du bist tot«, gestand er.
Corso öffnete auch das andere Auge und machte Anstalten aufzustehen, aber im selben Moment hatte er das Gefühl, sein Hirn schwappe im Schädel wie Götterspeise über den Teller. »Der Typ hat dich voll erwischt«, informierte La Ponte überflüssigerweise und half ihm auf die Beine. Auf seine Schulter gestützt, ließ Corso den Blick durch das Zimmer wandern. Liana Taillefer und Rochefort waren verschwunden.
»Hast du ihn gesehen?« »Klar. Groß, dunkelhaarig, Narbe im Gesicht.«
»Ist er dir vorher schon einmal über den Weg gelaufen?«
»Nein.« Der Buchhändler runzelte mißmutig die Stirn. »Aber sie schien ihn gut zu kennen ... Sie muß ihm die Tür aufgemacht haben, als wir im Bad miteinander diskutiert haben . Übrigens war der Typ auch ziemlich übel zugerichtet: Seine Lippe war blutverkrustet. Sah aus wie frisch genäht.« La Ponte faßte sich an die Backe, deren Schwellung zurückgegangen war, und kicherte schadenfroh. »Na, jetzt hat jeder was abbekommen.«
Corso, der vergeblich nach seiner Brille suchte, warf ihm einen mürrischen Blick zu.
»Ich verstehe nur nicht, warum sie dich nicht auch verdroschen haben«, meinte er.
»Das wollten sie ja. Aber ich habe ihnen gesagt, das sei nicht nötig, ich wäre bloß ein Zaungast und würde ihnen bestimmt nicht im Weg stehen.«
»Anstatt daß du mich verteidigt hättest.«
»Ich? Mach keine Witze. Dein Kinnhaken hat mir gereicht. Nein, nein . ich habe mit den Fingern das gemacht, siehst du? Friedenszeichen. Dann habe ich den Klodeckel runtergeklappt und mich brav draufgesetzt, bis sie gegangen sind.«
»Du bist mir ein schöner Held.«
»Lieber vorher ein bißchen ducken, als nachher den Katzenjammer. Ach ja, schau mal.« Er reichte ihm einen zusammengefalteten Zettel. »Das haben sie unter einen Aschenbecher gesteckt, bevor sie gegangen sind. In dem Aschenbecher liegt übrigens auch der Stummel einer Monte-Christo-Zigarre.«
Corso kostete es einige Mühe, den Zettel zu lesen. Er war in Tinte geschrieben, mit schöner Handschrift und verschnörkelten Großbuchstaben:
Der Besitzer dieses Schreibens hat auf meinen Befehl und
zum Wohl des Staates gehandelt.
Den 3. Dezember 1627 Richelieu
Corso war trotz seines üblen Zustandes nahe daran, in schallendes Gelächter auszubrechen. Das war die Generalvollmacht, die Richelieu während der Belagerung von La Rochelle für Milady ausgestellt hatte, damit sie sich ungeschoren an d’Artagnan rächen konnte. Der Freibrief, den Athos ihr später mit gezückter Pistole abnimmt - Und nun beiße, Schlange, wenn du kannst! - und der den Freunden am Schluß des Romans dazu dient, die Hinrichtung von Milady vor dem Kardinal zu rechtfertigen . Kurz und gut, das war zu viel für ein Kapitel. Corso wankte ins Badezimmer, öffnete den Wasserhahn und hielt den Kopf unters kalte Naß. Danach betrachtete er sein Gesicht im Spiegel: wassertriefend, unrasiert und mit verquollenen Augen. >Richtig photogen<, dachte er. In seinen Schläfen brummte es, als habe er ein Wespennest im Kopf. Der Tag fing ja gut an.
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