Zu diesem Zeitpunkt wußte er mit absoluter Sicherheit, daß er nicht konnte. Es war eine jener düsteren Vorahnungen, die bestimmten Ereignissen im voraus schon den Stempel einer unausweichlichen Katastrophe aufdrücken. Man könnte es auch prosaischer ausdrücken: Corso spürte, während er seine restlichen Kleider zu dem Mantel auf den Boden warf, daß seine anfängliche Erektion eindeutig abschlaffte. Hier hatte sich jemand zu früh gefreut. Oder, wie sein Ururgroßvater, der Bonapartist, gesagt hätte, la garde recule. Und zwar unwiderruflich. Beklemmung überkam ihn, wenngleich er hoffte, daß sein peinlicher Zustand im Gegenlicht der Badezimmertür nicht auffallen würde. Unendlich vorsichtig legte er sich dann, den Bauch nach unten, neben den warmen, braunen Körper, der im Halbdunkel auf ihn wartete, um das anzuwenden, was der Kaiser in Flandern eine indirekte Annäherungstaktik genannt hätte: Sondieren des Geländes, unter Vermeidung von Berührungen der kritischen Zone. Corso begann das Mädchen zu streicheln und bedächtig auf Hals und Lippen zu küssen, um aus seiner sicheren Position heraus ein wenig Zeit zu schinden, für den Fall, daß Grouchy mit Verstärkung auftauchen sollte. Aber es rührte sich nichts, und Grouchy ließ sich nirgends blicken. Wahrscheinlich machte der mal wieder irgendwo Jagd auf Preußen, weit vom Schlachtfeld entfernt.
Und Corsos Beklemmung wurde zur Panik, als sich das Mädchen an ihn drückte, einen ihrer prächtigen, festen, warmen Schenkel zwischen die seinen zwängte und sich damit vor Ort vom Ausmaß der Katastrophe überzeugen konnte. Er bemerkte, wie sie verwirrt lächelte - ein aufmunterndes Lächeln von der Art: Los, alter Junge, ich weiß, du schaffst es. Dann begann sie ihn mit unendlicher Zärtlichkeit zu küssen, und ihre Hand glitt zielstrebig nach unten, entschlossen, eine Veränderung der Lage herbeizuführen. Aber just, als sie im Epizentrum des Dramas anlangte, erlitt Corso vollends Schiffbruch. Soff ab wie die »Titanic«. Mit dem Orchester, das auf Deck spielte, Frauen und Kinder als erste. Die folgenden zwanzig Minuten waren entsetzlich. Man kennt das ja: Als müsse man auf einmal die Sünden eines ganzen Lebens abbüßen. Die reinste Agonie: Heroische Attacken, die an der Standhaftigkeit der schottischen Füsilierregimenter scheiterten. Die Vorhut der Infanterie, die losstürmte, sobald sich auch nur der Schimmer einer Siegesmöglichkeit auftat. Überraschungsschläge der Jäger und der leichten Infanterie im vergeblichen Trachten, den Feind zu überrumpeln. Husarenscharmützel und schwere Kürassierangriffe. Alles umsonst: Wellington lachte sich in seinem unerreichbaren belgischen Kuhnest ins Fäustchen, während sein Dudelsackpfeifer frech den Marsch der Scots Grey aufspielte, und die Alte Garde, oder was noch von ihr übriggeblieben war, mit zusammengepreßten Zähnen, Nase und Mund ins Leintuch gedrückt, verzweifelt zur Armbanduhr hinüberschielte, die Corso dummerweise anbehalten hatte. Der Schweiß strömte ihm von den Haarwurzeln in den Nacken hinab, und seine verwirrten Augen suchten über die Schulter des Mädchens hinweg die Umgebung verzweifelt nach einer Pistole ab, mit der er sich einen Schuß in den Kopf hätte jagen können.
Sie schlief. Vorsichtig, um sie nicht aufzuwecken, angelte er sich seinen Mantel und zog eine Zigarette aus der Tasche. Nachdem er sie angezündet hatte, blieb er auf einen Ellbogen gestützt liegen und betrachtete das Mädchen. Sie lag nackt auf dem Rücken, den Kopf auf dem blutbefleckten Kissen nach hinten gedreht, und atmete leise durch den geöffneten Mund. Sie roch immer noch nach Fieber und warmem Fleisch. Corso betrachtete sie im indirekten Licht, das aus dem Badezimmer einfiel und ihren reglosen Körper hell-dunkel modellierte. Ein Meisterwerk der Gentechnologie, dachte er und fragte sich, welche Arten von Blut oder Rätseln, Speichel, Haut, Fleisch, Sperma und Zufall sich da im Lauf der Zeit wohl vermischt hatten, um die einzelnen Glieder der Kette zu diesem Schmuckstück zusammenzufügen. Alle Frauentypen, die das menschliche Geschlecht je hervorgebracht hatte, sämtliche Spielarten der Weiblichkeit waren in diesem achtzehn oder zwanzig Jahre jungen Körper vereint. Er beobachtete die pulsierende Ader an ihrem Hals, den kaum wahrnehmbaren Herzschlag, folgte mit den Augen der weich geschwungenen Linie, die von ihren Rückenmuskeln über die Taille zu den Hüften verlief, und streckte eine Hand aus, um mit den Fingerspitzen das kleine lockige Dreieck zwischen ihren Schenkeln zu berühren, dort, wo ihre Haut ein bißchen heller war und er in dem Versuch, ein Biwak aufzuschlagen, so kläglich versagt hatte.
Das Mädchen war sehr taktvoll gewesen und hatte die Sache nicht weiter dramatisiert, ja sie war im Gegenteil zu einer spielerischen Plänkelei übergegangen, als sie begriffen hatte, daß bei Corso einfach nichts herauszuholen war. Das hatte die Atmosphäre etwas entspannt und Corso wenigstens davon abgebracht, sich in Ermangelung einer Feuerwaffe - gab man Pferden etwa nicht den Gnadenschuß? - den Kopf so lange an die Ecke des Nachttischs zu schlagen, bis ihm der Schädelknochen barst. Eine Möglichkeit, die er in seiner Umnachtung allen Ernstes erwogen hatte und von der er erst nach einem heimlichen Faustschlag gegen die Wand abgekommen war, wobei er sich beinahe die Fingerknöchel gebrochen hätte. Von der brüsken Bewegung und der plötzlichen Anspannung seines Körpers überrascht, sah sie ihn erschrocken an. Der Schmerz und die Anstrengung, die er unternehmen mußte, um nicht laut hinauszuschreien, beruhigten Corso jedenfalls so weit, daß er geistesgegenwärtig ein verzerrtes Lächeln zustande bringen und dem Mädchen versichern konnte, das passiere ihm nur die ersten dreißig Mal. Sie war in helles Gelächter ausgebrochen, hatte sich angeschmiegt, ihm zärtlich und belustigt die Augen und den Mund geküßt. >Du bist ein Dummkopf, Corso. Das macht mir doch nichts aus. Das macht mir wirklich nichts aus.< Trotzdem hatte er das einzige getan, was unter den gegebenen Umständen möglich war: eine minuziöse Retusche an den richtigen Stellen, deren Ergebnis zwar nicht gerade glorreich ausfiel, sich aber immerhin sehen lassen konnte. Als das Mädchen wieder zu Atem gekommen war, hatte sie ihn lange schweigend angesehen und danach langsam und ausführlich geküßt, bis der Druck ihrer Lippen nachließ und sie eingeschlafen war.
Die Glut der Zigarette ließ Corsos Finger im Halbdunkel aufleuchten. Er hielt den Rauch solange er konnte in der Lunge zurück, stieß ihn auf einmal aus und sah zu, wie sich im Lichtsegment über dem Bett eine Wolke bildete. Er hörte, daß der Atem des Mädchens einen Moment lang stockte, und betrachtete sie aufmerksam. Sie runzelte die Stirn und wimmerte leise wie ein Kind, das einen bösen Traum hat. Schließlich wandte sie sich im Schlaf Corso zu, einen Arm unter der nackten Brust und eine Wange in die Hand gebettet. Wer bist du, Herrgott? fragte er sie in Gedanken wohl zum hundertsten Male und schnitt eine ärgerliche Grimasse, aber dann beugte er sich zu ihr hinunter und küßte ihr regloses Gesicht. Seine Hand strich über ihr kurzes Haar und fuhr die Konturen ihrer Taille und ihrer Hüfte nach, die sich jetzt deutlich im Gegenlicht abzeichneten. Die Schönheit dieser weich geschwungenen Linie übertraf jede Melodie, jede Skulptur, jedes Gedicht, jedes Bild. Er näherte sich ihrem warmen Hals, um den Geruch einzuatmen, und in diesem Augenblick begann sein Herz heftig zu hämmern und weckte sein Fleisch. Gemach, sagte er zu sich. Ruhig Blut und keine Panik diesmal. Schön eins nach dem anderen. Da er nicht wußte, wie lange dieser Zustand anhalten würde, löschte er im würde, löschte er im Aschenbecher auf dem Nachttisch rasch seine Zigarette, drückte sich an das Mädchen und stellte fest, daß sein Organismus zufriedenstellend auf den Reiz reagierte. Er zwängte sich zwischen ihre Schenkel und betrat endlich, wie betäubt, das feuchte Paradies, das aus Honig und warmer Sahne gemacht schien. Das Mädchen rekelte sich schläfrig und schlang die Arme um seinen Rücken. Er küßte sie auf den Hals und den Mund, dem sich ein langes, unendlich sanftes Stöhnen entrang, und spürte, daß sie ihre Hüften bewegte, um sein Eindringen zu erleichtern.
Читать дальше