»Ich bin gekommen, um über ein Geschäft mit Ihnen zu sprechen.«
Das war klar. Ohne Absicht fuhr man solche Geschütze nicht auf. Corso mangelte es keineswegs an Selbstwertgefühl, aber dumm war er nicht.
»Sprechen Sie nur«, sagte er. »Haben Sie schon mit Flavio La Ponte zu Abend gegessen?«
Keine Reaktion. Die Witwe blieb völlig gelassen und fuhr fort, ihn von oben herab zu betrachten.
»Nein, noch nicht«, antwortete sie schließlich ruhig. »Ich wollte vorher Sie treffen.«
»Nun, jetzt haben Sie mich ja getroffen.«
Liana Taillefer lehnte sich etwas tiefer in das Sofa zurück. Ihre Hand ruhte auf einem Riß des zerschlissenen Lederbezugs, durch den die Roßhaarfüllung zum Vorschein kam.
»Sie arbeiten für Geld«, sagte sie.
»Ganz recht.«
»Verkaufen sich dem Meistbietenden.«
»Manchmal.« Corso entblößte einen Eckzahn. Jetzt, wo er sich auf seinem Terrain befand, konnte er auf die Kaninchenmasche verzichten. »Normalerweise verpachte ich mich. Wie Humphrey Bogart im Film. Wie die Nutten.«
Für eine Witwe, die als kleines Mädchen in der Schule Bilder gestickt hatte, blieb Liana Taillefer erstaunlich unberührt von seiner unflätigen Ausdrucksweise.
»Ich möchte Ihnen einen Auftrag anbieten.«
»Wie schön. Zur Zeit werden mir von allen Seiten Jobs angeboten.«
»Ich werde Sie sehr gut dafür bezahlen.«
»Toll. Derzeit wollen mich auch alle gut bezahlen.«
Die Witwe hatte ein langes Roßhaar aus der kaputten Armlehne des Sofas gezogen und wickelte es sich zerstreut um den Zeigefinger.
»Was zahlt Ihnen Ihr Freund La Ponte?«
»Flavio? Nichts. Der läßt sich keinen roten Heller abknöpfen.«
»Warum arbeiten Sie dann für ihn?«
»Sie haben es ja selbst gesagt. Weil er mein Freund ist.«
Corso hörte, wie sie das Wort nachdenklich wiederholte.
»Aus Ihrem Mund klingt das komisch«, sagte sie dann mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln, das Verachtung und Neugier zugleich verriet. »Haben Sie auch Freundinnen?«
Corso ließ seinen Blick langsam und unverschämt von ihren Knöcheln zu ihren Schenkeln hinaufwandern.
»Ich habe Erinnerungen. Ihre zum Beispiel könnte mir heute nacht gute Dienste leisten.«
Liana Taillefer ertrug seine Vulgarität mit stoischer Gelassenheit. Vielleicht war Corsos Anspielung aber auch zu subtil für sie.
»Nennen Sie mir eine Zahl«, sagte sie kalt. »Ich will das Manuskript meines Mannes zurückhaben.«
Das Geschäft ließ sich gut an. Corso setzte sich der Witwe gegenüber in einen Sessel. Von hier war der Ausblick auf ihre schwarzbestrumpften Beine besser: Sie hatte die Schuhe abgestreift und die Füße auf den Teppich gestellt.
»Letztes Mal schienen Sie mir nicht so interessiert.«
»Ich habe es mir noch einmal genau überlegt. Dieses Manuskript hat für mich einen . Wie soll ich sagen?«
»Sentimentalen Wert?« fragte Corso spöttisch.
»So etwas Ähnliches.« Ihre Stimme klang jetzt herausfordernd. »Aber nicht, wie Sie meinen.«
»Und was wären Sie bereit, dafür zu tun?«
»Das habe ich Ihnen schon gesagt. Sie bezahlen.«
Corsos Lippen verzogen sich zu einem frechen Grinsen.
»Sie beleidigen mich. Ich bin ein Profi.«
»Sie sind ein Profisöldner, und die wechseln das Lager, wie es kommt. Ich lese auch Bücher.«
»Mir fehlt es nicht an Geld.«
»Ich spreche jetzt nicht von Geld.«
Sie hatte sich in das Sofa zurückgelegt und rieb sich mit einem Fuß den Rist des anderen. Corso sah durch die schwarzen Seidenstrümpfe hindurch ihre rot lackierten Zehen. Ihr Rock rutschte mit jeder Bewegung höher und gab bereits ein kleines Stück weißes Fleisch frei, oberhalb der schwarzen Strumpfbänder, dort, wo alle Rätsel zu einem einzigen, uralten Rätsel verschmelzen. Der Bücherjäger hob mühsam den Blick. Die stahlblauen Augen fixierten ihn immer noch.
Er nahm seine Brille ab, erhob sich und ging auf das Sofa zu. Die Frau beobachtete ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, selbst als er so dicht vor ihr stand, daß ihre Knie sich berührten. Und dann hob Liana Taillefer eine Hand und legte ihre rot lackierten Nägel genau auf den Reißverschluß seiner Kordhose. Wieder spielte ein kaum wahrnehmbares, verächtliches und selbstsicheres Lächeln um ihre Lippen, als Corso sich endlich über sie beugte und ihren Rock bis zum Bauchnabel hochschob.
Mehr als ein Nehmen und Geben war es ein gegenseitiger Überfall, als benützten beide die Gelegenheit, auf dem Sofa eine alte Rechnung zu begleichen - ein harter Kampf unter gleichwertigen Gegnern, mit dem passenden Stöhnen im richtigen Augenblick, dem einen oder anderen durch die Zähne gepreßten Fluch und den Nägeln der Frau, die sich erbarmungslos in Corsos Rücken krallten. Und das alles auf einer Handbreit Raum, ihr Rock über den kräftigen, breiten Hüften, die er mit verkrampften Händen umklammerte, während sich ihm die Schnallen ihres Strumpfhalters in die Leisten gruben. Er schaffte es nicht einmal, ihre Brüste zu sehen, obwohl er sie ein paarmal anzufassen bekam - festes Fleisch, das heiß und üppig aus ihrem BH quoll, unter der Seidenbluse und der maßgeschneiderten Kostümjacke, die Liana Taillefer im Eifer des Gefechts nicht hatte ausziehen können. Und jetzt lagen sie da, Arme, Beine und Kleider ineinander verheddert, atemlos, erschöpft wie zwei Ringkämpfer. Und Corso, der sich fragte, wie er aus diesem Schlamassel wieder herauskommen sollte. »Wer ist Rochefort?« fragte er, bereit, es zu einem Eklat kommen zu lassena Taillefer sah ihn aus zehn Zentimeter Entfernung an. Die untergehende Sonne warf einen rötlichen Schimmer auf ihr Gesicht, das blonde Haar hatte sich gelöst und lag wirr über das Ledersofa verteilt. Zum erstenmal wirkte sie entspannt.
»Niemand Wichtiges«, erwiderte sie, »jetzt, wo ich das Manuskript zurückbekomme.«
Corso küßte ihren zerknitterten Ausschnitt, um sich von ihm
und seinem Inhalt zu verabschieden. Er ahnte, daß er dazu nicht so schnell wieder Gelegenheit bekommen würde.
»Was für ein Manuskript?« fragte er, um irgend etwas zu sagen, und bemerkte, wie ihr Blick im selben Moment hart und ihr Körper unter ihm steif wurde.
»Der Vin d’Anjou.« Ihre Stimme verriet einen Anflug von Nervosität. »Sie geben ihn mir doch zurück, oder?«
Corso gefiel der Ton nicht, mit dem sie auf einmal zum »Sie« zurückkehrte. Er glaubte sich vage erinnern zu können, daß sie sich während des Scharmützels geduzt hatten.
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Ich dachte ...«
»Sie haben falsch gedacht.«
Der Stahl in ihren Augen blitzte auf. Wutentbrannt schnellte sie in die Höhe, indem sie ihn mit einer brüsken Hüftbewegung von sich warf.
»Gemeiner Kerl!«
Corso, der drauf und dran gewesen war, in Gelächter auszubrechen und die Angelegenheit mit ein paar zynischen Witzen abzutun, fühlte sich gewaltsam nach hinten geschleudert und knallte mit den Knien auf den Boden. Während er sich aufrappelte und seinen Gürtel wieder zumachte, baute Liana Taillefer sich bleich und furchtbar vor ihm auf, mit verrutschter Bluse, die wundervollen Schenkel noch immer entblößt, und verpaßte ihm eine so saftige Ohrfeige, daß sein linkes Trommelfeld dröhnte wie nach einem Kanonenschuß aus nächster Nähe.
»Elender Schuft!«
Der Bücherjäger geriet ins Taumeln. Betäubt sah er sich um wie ein Boxer auf der Suche nach irgend etwas, woran er sich festklammern konnte, um nicht auf die Matte zu gehen. Liana Taillefer kreuzte sein Blickfeld, aber er nahm sie kaum wahr: Sein Ohr schmerzte höllisch. Er stierte mit dumpfem Blick auf den Säbel von Waterloo, als er das Geräusch von berstendem Glas vernahm. Kurz darauf sah er sie wieder im rötlich schimmernden Gegenlicht des Fensters. Sie hatte ihren Rock nach unten gezogen und hielt in der einen Hand das DumasManuskript und in der anderen den Hals einer zerbrochenen Flasche. Die gläserne Schnittkante näherte sich seinem Hals.
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