Theodor Meyer-Merian - Sicherer Wegweiser zu einer guten und gesunden Wohnung
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Sicherer Wegweiser zu einer guten und gesunden Wohnung Zwei Preisschriften
Seite 3 I
1. Wie's mit den Wohnungen steht
Nichts ist heutzutage allgemeiner, als die Klage über das Steigen der Miethpreise und über die Schwierigkeit Wohnungen zu finden.
Diese Klagen sind nur zu wohl begründet. Die Ausdehnung, der Aufschwung der Gewerbe und Fabriken zieht in deren Nähe immer größere Menschenmassen, und da die vorhandenen Wohnungen nicht ausreichen und auch die neuerbauten mit dem Anschwellen der Bevölkerung nicht Schritt halten, so entsteht ein Gedränge, wenn sich Jeder eben doch sein Plätzchen sucht, wo er leben mag. Das macht zugleich, daß die Miethen theurer werden; denn überall, wo viel Nachfrage ist, steigt der Preis und so muß man jetzt im Vierteljahre zahlen, was sonst für ein Jahr gereicht hatte.
Die Erwerblust der Hausbesitzer trachtet nun auf verschiedene Art zu helfen und da nicht immer auf die uneigennützigste oder zweckmäßigste, wie anderseits wieder die Miethsleute mit geringern und schlechtern Wohnungen sich behelfen lernen. In dem Raume, den früher eine Haushaltung bewohnt, haben sich jetzt mindestens zwei, und zwar einander wildfremde, angesiedelt. Die bequemen Hausgänge und Sommerhäuser (Hausfluren) von ehemals sind verschwunden, die Stuben scheinen nach allen vier Seiten einzuschrumpfen, die Treppe muß sich gleichsam durch den Haufen von Stuben und Kämmerchen hindurchstehlen, von irgend einem freien Raume ist keine Rede mehr, er trüge ja nichts ab! Anhängsel jeder Art füllen den alten Hof und fangen gierig den letzten frischen Lufthauch, den einzigen Lichtstrahl weg, diese Gottesgaben, die vor Zeiten auch dem Aermsten nicht vorenthalten waren. Bequemlichkeiten, wie Waschhaus, Holz- und Vorrathskammern u. dgl. scheinen mit dem Zirkel in verkleinertem Maßstabe ausgemessen und der oberste Dachraum, das abgelegenste Winkelchen wird mit Menschen vollgepfropft, ja selbst der Raum unter der Erde, wo man ehemals bloß Fässer, Kartoffeln und Krautköpfe untergebracht. Wenn so ein recht besetztes Mieth- oder Kosthaus seine Bewohner mit einem Male herausließe, es würde oft keine Seele glauben, daß die alle neben einander darin Platz gehabt hätten, geschweige noch mit ihren Geräthen und Habseligkeiten dazu.
Von außen ist das Alles freilich nicht immer sichtbar, ein heller neumodischer Anstrich läßt wohl gar einige Behaglichkeit vermuthen. Indeß giebt es vielleicht doch mehr der Wohnungen, oder besser Wohnlöcher, z. B. in alten Hinterhäusern, engen Gäßchen, darin noch lange der Winter herrscht und geheizt werden muß, wenn in der übrigen Welt schon Alles an der Frühlingssonne sich wärmt und erlabt. Es giebt übergenug mit Menschen vollgepfropfte Häuser, in deren nächster Nähe Jahrelang nicht geleerte Dunggruben, baufällige Schweineställe, schlechte Cysternen die wenige Luft vollends verpesten, aus denen dem Eintretenden in dem dunkeln, feuchten Hausgange eine modrige Kellerluft, mit Abtrittgeruch verbunden, frostig entgegenschlägt, auf deren steiler, schlechter Treppe nur ein herabschlotterndes Seil durch die Finsterniß leitet und vor dem Halsbrechen schützt.
2. Musterwohnungen
Solche Nothstände und deren Folgen für die Arbeiter, welche nicht nur wohl oder übel sich ihnen unterziehen, sondern für die schlechten Wohnungen noch hohe Miethen bezahlen, haben in verschiedenen Ländern wohldenkende Menschen veranlaßt, besondere, für Arbeiter bestimmte, zweckmäßige Gebäude zu errichten und gegen billige Preise auszuleihen. Man hat die Sache nach den verschiedenen Grundsätzen, von denen man ausgieng und gemäß den verschiedenen Verhältnissen, die vorlagen, von mehr als einer Seite angegriffen, indem man entweder größere, casernenartige Wohnungen für viele Haushaltungen aufführte, oder nur kleinere Gebäude für eine bis zwei Familien; indem man ganze Arbeiterquartiere gründete oder solche Häuser unter die der übrigen Leute zerstreute.
Ueber die Vorzüge und Nachtheile dieser und jener Art ist hier nicht der Ort weiter einzugehen, es genügt die Bemerkung, daß man im Ganzen, bei verhältnißmäßiger Wohlfeilheit, überall dem Bedürfnisse, der Gesundheit und Bequemlichkeit der Bewohner Rechnung trug. Dahin gehört denn, daß die Gebäude so viel als möglich freistehen, wohl gar kleine Gärten haben. Neben einem heizbaren Zimmer, einer Nebenstube, Küche mit Wasserstein, enthalten sie wenigstens noch eine verschalte Dachkammer, einen Kellerraum, Platz zu Holz und Abtritt. Die Zimmer liegen womöglich auf der Sonnenseite, Küche und Abtritt nach Mitternacht. Die Heiz-, Rauch-, Abwasser- und Abtritteinrichtungen sind, als sehr wichtig, ebenfalls sorgfältig berücksichtigt, sowie auf Nähe des benöthigten Wassers gesehen ist.
Aber da wäre ja schon allem Uebel abgeholfen! Wird doch kein Mensch mehr so thöricht sein, derlei wohleingerichteten Lokalien jene ungesunden, winklichten und dumpfigen Nester vorzuziehen.
3. Warum mit den gutgebauten Wohnungen noch nicht Alles gethan ist
Freilich sind diese Arbeiterwohnungen eine Hülfe, aber noch lange keine genügende Abhülfe und dieß vorzüglich aus zwei Gründen nicht.
Einmal bestehen überall, im Vergleich zum Bedürfnisse, noch viel zu wenig solcher wohleingerichteter Häuser. Es ist beim besten Fortgange auch kaum die Zeit abzusehen, wann ihrer in genügender Anzahl vorhanden sein werden, so daß sich unbemitteltere Familien stetsfort auch in die Miethhäuser alten Schlages werden gewiesen sehen.
Der andere Grund aber, der die Wirksamkeit aller Abhülfe verkümmert, ist der wichtigere, daß selbst die bestgebauten Wohnungen ihren Zweck nicht erreichen, so lange die Grundbedingungen einer guten und gesunden Wohnung so wenig bekannt sind, oder so sehr außer Acht gelassen werden. Mit andern Worten: auch die am zweckmäßigsten gebaute Behausung wird viel zu häufig noch durch den Bewohner selber zu einer ganz ungesunden und schlechten gemacht.
Begeben wir uns einmal in eine solche Wohnung, ohne uns jetzt sonderlich um ihre bauliche Einrichtung zu kümmern.
4. Das Inwendige einer schlechten Wohnung
Oeffnen wir sofort die Thüre, keine davor gebreitete Strohdecke, kein Scharrbrett wird uns aufhalten. Wir zögern, über die Schwelle zu treten: eine üble, dumpfige Luft scheint uns wieder hinausdrängen, ein unordentliches Durcheinander den Weg versperren zu wollen. Halten wir indeß aus und überwinden die erste Regung, an's Fenster zu eilen und dasselbe aufzureißen, damit doch die frische, freie Luft hereindringe, die von den trüben Fensterscheiben zurückgehalten wird. Der Fußboden, – er wird wohl von Holz sein, – trägt alle möglichen Spuren, von der Straße draußen wie von dem Fette und den Speisen der Küche. Papierschnitzel, Fadenresten, angebrannte Zündhölzer und Cigarrenstumpfen, abgenagte Knochen und Kleidungsstücke finden sich da und dort. Auf dem Tische mitten im Zimmer, auf dem, neben den Brosamen und Kafferingen noch vom Frühstück her, die ungespülten Tassen stehen, sitzt die Katze und gehorcht ihrem Reinlichkeitstrieb oder ihrer Naschhaftigkeit, indem sie die Reste aus den Schüsselchen leckt. Ein großmächtiges Bett an der Wand befindet sich noch ganz im selben Zustande, wie es die Bewohner vor 5 oder 6 Stunden verlassen: Kissen, Federbett, Alles wirr durcheinander ohne Leintücher indeß, wenn jenes Grau dort der Ueberzug sonst irgend eines Bettstückes sein sollte. Und über all dieß wölbt sich, wie ein wolkiger, düstrer Himmel, die von Oelqualm und Ofenrauch geschwärzte Zimmerdecke, gestützt auf die unsaubere, in den Ecken schimmlichte Tapete der kahlen Wände.
Und doch sind die Leute hier drin nicht eben arm. Der Mann ist ein geschickter Bandweber, er hat seinen guten und jetzt selbst reichlichen Verdienst in einer Fabrik und auch die Frau bringt durch Arbeiten für fremde Leute manchen Batzen in's Haus. Man erkennt's an Dem und Jenem, daß der Mangel da nicht ein- und ausgeht: Einzelnes verräth sogar Wohlstand, ja Luxus; aber es paßt Keines recht zum Andern, wie bei einem Trödler stehen die Geräthe ohne rechte Beziehung zu einander. Ein währschafter Schrank fehlt, eine neumodische Kommode vermag nicht Alles zu beherbergen, wenn gleich darin die buntbebänderte Sonntagshaube, der Laib Brot, die Unschlittkerzen und der Kamm noch so enge zusammenrutschen, und das zerbrochene Spielzeug auf's bescheidenste sich zwischen eine Handvoll Aepfel und die seidene Weste des Mannes versteckt. Deßhalb fährt auf Tisch und Stuhl dieß, jenes Kleidungsstück vom vorgestrigen Sonntage herum, oder selbes Geräthe, das ja in den nächsten vierzehn Tagen wahrscheinlich wieder einmal gebraucht wird. Bedarf man aber des Stuhles, des Tisches sonst, ei nun da ist das darauf Liegende ja bald zusammengerafft und auf das Fenstersims, das Bette geflüchtet, wo es für den Augenblick nicht im Wege liegt.
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