Paulo Coelho - Der Fünfte Berg

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Paulo Coelho versetzt uns 3000 Jahre zurück ins Jahr 870 v. Chr. und erzählt in einfacher, moderner Sprache die Geschichte des Propheten Elia. Wir hören, wie der junge Rebell und Prophet wider Willen vor den Häschern der Heidenprinzessin Isebel nach Phönizien flieht, wo er als Fremder ausgeschlossen und zum Sündenbock für alles Unheil wird. Elia kämpft ums Überleben, für seinen Glauben und für seine neue Heimat. Und aus diesem Kampf wird immer mehr ein Ringen um Selbstbestimmung, ein Ringen mit Gott.

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»Bringt mir einen Krug Wasser zum Trinken«, sagte Elia. »Und bringt mir auch ein Stückchen Brot.« Die Frau legte das Brennholz ab, sagte aber nichts.

»Habt keine Angst«, beharrte Elia. »Ich bin allein, habe Hunger und Durst und keine Kraft mehr, um irgend jemanden zu bedrohen.« »Ihr seid nicht von hier«, sagte sie schließlich. »Eurer Art zu sprechen nach müßt Ihr aus dem Reich Israel kommen. Wenn Ihr mich besser kenntet, wüßtet Ihr, daß ich nichts habe.« »Ihr seid Witwe. Trotzdem habe ich noch weniger als Ihr. Wenn Ihr mir jetzt nichts zu trinken und zu essen gebt, werde ich sterben.« »Ein Mann sollte sich schämen, eine Frau um Unterhalt zu bitten«, sagte sie, nachdem sie sich wieder gefaßt hatte.

»Tut, worum ich Euch gebeten habe«, beharrte Elia, der kurz davor war, ohnmächtig zu werden. »Sobald es mir besser geht, werde ich für Euch arbeiten.« Die Frau lachte.

»Ihr habt mir gerade etwas Wahres gesagt: Ich bin Witwe, eine Frau, die ihren Mann auf einem der Schiffe ihres Landes verloren hat. Ich habe das Meer nie gesehen, doch ich weiß, daß es wie die Wüste ist: Es tötet den, der es herausfordert.« Und sie fuhr fort: »Jetzt aber sagt Ihr mir etwas Falsches: So sicher wie Baal auf dem Fünften Berg lebt, so sicher ist, daß ich nichts Gekochtes habe; ich habe nur eine Handvoll Mehl in einem Topf und etwas Öl in einem Krug.« Elia spürte, wie der Horizont die Richtung wechselte und wie sich vor seinen Augen alles zu drehen begann. Da flehte er mit letzter Kraft: »Ich weiß nicht, ob Ihr an Träume glaubt, ja ich weiß nicht einmal, ob ich selbst daran glaube. Und doch hat mir der Herr gesagt, daß ich hierherkommen und Euch antreffen würde. Er hat mit mir schon Dinge getan, die mich an Seiner Weisheit haben zweifeln lassen, jedoch nie an Seiner Existenz. Und der Gott Israels hat mich gebeten, der Frau, der ich in Zarpat begegnen sollte, zu sagen: Das Mehl im Rad soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, da der Herr regnen lassen wird auf Erden.« Bevor er ihr noch erklären konnte, wie so ein Wunder geschehen sollte, wurde Elia ohnmächtig.

Die Frau blickte auf den Mann, der zu ihren Füßen zusammengebrochen war. Sie wußte, daß der Gott Israels nur ein Aberglaube war. Die phönizischen Götter waren mächtiger, hatten ihr Land zu einem der geachtetsten der Welt gemacht.

Doch sie war froh, denn für gewöhnlich war sie es, die um Almosen bettelte, und heute geschah es zum ersten Mal seit langem, daß ein Mann sie brauchte. Das vermittelte ihr das Gefühl, stark zu sein. Es gab also Menschen, denen es schlechter ging als ihr.

>Wenn mich jemand um einen Gefallen bittet, dann zeigt das, daß ich auf Erden noch etwas wert bin<, dachte sie. >Ich werde tun, worum er mich gebeten hat, nur um sein Leiden zu lindern.

Auch ich weiß, was Hunger heißt und wie er die Seele zerstört.« Sie ging ins Haus und kam mit einem Stück Brot und einem Krug Wasser zurück. Sie kniete nieder, bettete den Kopf des Fremden in ihren Schoß und begann seine Lippen zu benetzen. Wenige Minuten darauf hatte er das Bewußtsein wiedererlangt.

Sie streckte ihm das Brot hin, und Elia aß wortlos, blickte auf das Tal, die Schluchten und die Berge, die schweigend zum Himmel wiesen. Er konnte das ganze Tal überblicken und sah die roten Mauern der Stadt Akbar.

»Gebt mir Herberge bei Euch, denn ich werde in meinem Land verfolgt«, sagte Elia.

»Was für ein Verbrechen habt Ihr begangen?« fragte sie.

»Ich bin ein Prophet des Herrn. Isebel ließ alle töten, die sich weigerten, ihre phönizischen Götter anzubeten.« »Wie alt seid Ihr?« »Dreiundzwanzig«, antwortete Elia.

Sie blickte den jungen Mann vor sich voller Mitleid an. Er hatte langes, schmutziges Haar; er trug einen noch spärlichen Bart, als wollte er älter aussehen, als er tatsächlich war. Wie wollte ein armseliger Mann wie er die mächtigste Prinzessin der Welt herausfordern?

»Wenn Ihr Isebels Feind seid, seid Ihr auch mein Feind. Sie ist eine Prinzessin aus Sidon, die es sich bei ihrer Heirat mit Eurem König zum Ziel gesetzt hat, Euer Volk zum wahren Glauben zu bekehren. So sagen jedenfalls die, die sie kennengelernt haben.« Sie wies auf den Gipfel eines der Berge, die das Tal umschlossen.

»Unsere Götter wohnen seit vielen Generationen dort oben auf dem Fünften Berg, und durch sie haben wir Frieden in unserem Land. Israel hingegen lebt im Krieg und im Leid. Wie könnt Ihr da weiter an den Einzigen Gott glauben? Laßt Isebel etwas Zeit, und Ihr werdet sehen, daß auch in Euren Städten Frieden herrschen wird.« »Ich habe die Stimme des Herrn vernommen«, entgegnete Elia.

»Ihr Phönizier seid jedoch nie auf den Fünften Berg gestiegen, um Euch dort oben umzusehen.« »Wer auf diesen Berg steigt, den verbrennen die himmlischen Feuer. Die Götter mögen keine Fremden.« Sie hielt inne. Sie erinnerte sich, daß sie in jener Nacht im Traum ein sehr helles Licht gesehen hatte. Mitten aus diesem Licht aber war eine Stimme gekommen, die gesagt hatte: »Nimm den Fremden auf, der dich aufsuchen wird.« »Beherbergt mich bei Euch, denn ich habe keinen Ort, an dem ich schlafen kann«, beharrte Elia.

»Ich habe Euch bereits gesagt, daß ich arm bin. Es reicht kaum für mich und meinen Sohn.« »Der Herr hat Euch gebeten, mich bei Euch aufzunehmen. Er verläßt den nie, der ihn liebt. Tut, um was ich Euch bitte. Ich werde für Euch arbeiten. Ich bin Tischler, ich kann mit Zedernholz arbeiten, und es wird mir an Arbeit nicht mangeln.

So wird der Herr meine Hände benutzen, um Sein Versprechen zu halten: Das Mehl im Rad soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, da der Herr regnen lassen wird auf Erden.« »Selbst wenn ich es wollte, so könnte ich Euch nicht bezahlen.« »Das braucht Ihr nicht. Der Herr wird es richten.« Von ihrem Traum in jener Nacht verwirrt, beschloß die Frau zu gehorchen, obwohl der Fremde ein Feind der Prinzessin von Sidon war.

Elias Anwesenheit wurde sogleich von den Nachbarn bemerkt.

Sie nahmen es der Witwe übel, daß sie einen Fremden in ihr Haus aufgenommen hatte und so das Andenken an ihren Mann schändete, der die Handelsrouten seines Landes zu erweitern versuchte und dabei einen heldenhaften Tod gefunden hatte.

Als ihr die üblen Nachreden zu Ohren kamen, verwahrte sich die Witwe dagegen und erklärte, daß es sich bei dem Mann um einen Propheten aus Israel handelte, der fast verhungert und verdurstet wäre. Und bald machte die Nachricht in der Stadt die Runde, daß ein israelitischer Prophet, der vor Isebel geflohen war, sich in Akbar aufhielt. Eine Abordnung der Nachbarn begab sich zum Priester.

»Bringt mir diesen Fremden«, befahl er.

Und so geschah es. An jenem Nachmittag wurde Elia vor den Mann geführt, der zusammen mit dem Stadthauptmann und dem Kommandanten alles kontrollierte, was in Akbar geschah.

»Was macht Ihr hier?« fragte er. »Wißt Ihr nicht, daß Ihr ein Feind unseres Landes seid?« »Ich habe jahrelang Handel mit dem Libanon getrieben und respektiere Euer Volk und seine Bräuche. Ich bin hier, weil ich in Israel verfolgt werde.« »Ich kenne den Grund«, sagte der Priester. »Hat eine Frau Euch zum Flüchtling gemacht?« »Diese Frau war das schönste Wesen, das ich je in meinem Leben gesehen habe. Doch ihr Herz ist aus Stein, und hinter ihren grünen Augen verbirgt sich der Feind, der mein Land zerstören will. Ich bin nicht geflohen, ich warte nur auf den richtigen Augenblick zur Rückkehr.« Der Priester lachte.

»Wenn Ihr auf den rechten Augenblick für Eure Rückkehr wartet, dann richtet Euch darauf ein, bis an Euer Lebensende hier in Akbar zu bleiben. Wir führen keinen Krieg gegen Euer Land. Wir wollen nur, daß sich der wahre Glaube in der ganzen Welt ausbreitet – mit friedlichen Mitteln. Wir wollen nicht die Grausamkeiten wiederholen, die Euer Volk begangen hat, als es sich in Kanaan niederließ.« »Ist es ein friedliches Mittel, Propheten umzubringen?« »Man tötet das Ungeheuer, indem man ihm den Kopf abschlägt. Einige mögen dabei sterben, doch nur so lassen sich Religionskriege auf Dauer verhindern. Und wie ich von den Kaufleuten gehört habe, war es ein Prophet namens Elia, der das alles angezettelt hat und dann geflohen ist.« Der Priester starrte ihn an, bevor er fortfuhr: »Ein Mann, der Euch ähnlich sieht.« »Ich bin es«, sagte Elia.

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