»Was hast du denn?« fragte Kid verärgert. »Kannst du nicht mehr reden?«
Das alte, vertraute Lachen glitt über Kurz’ Gesicht. »Nein«, antwortete er. »Ich bin Indianer geworden. Ich habe jetzt gelernt, daß man keine Überraschung zeigen darf. Wann haben sie dich erwischt?«
»Am Tage nach deinem Verschwinden.«
»Hm«, sagte Kurz, und ein halb spöttisches Lächeln blitzte in seinen Augen auf. »Ich befinde mich hier sauwohl, darauf kannst du schwören. Es ist das Lager der Junggesellen.« Er streckte mit einer großartigen Bewegung die Hand aus, als ob er all die Herrlichkeiten an seine Brust drücken wollte, obgleich sie nur aus einem Feuer, aus Schlafplätzen aus Fichtenzweigen, die auf dem Schnee ausgestreut waren, aus Elchhautzelten und aus Windschirmen, die aus Weidenzweigen geflochten waren, bestanden.
»Und hier siehst du die Junggesellen!«
Diesmal zeigte er auf die jungen Männer und spie dabei einige Gaumenlaute in ihrer Sprache aus, so daß sie dankbar und erfreut das Weiße ihrer Augen und Zähne blitzen ließen.
»Sie freuen sich, dich kennenzulernen, Kid. Setz dich und trockne deine Mokassins, dann werde ich etwas Futter für dich fertigmachen. Ich kann schon richtig mit ihrem Kauderwelsch umgehen. Das wirst du auch nötig haben, denn mir scheint, als ob wir ziemlich lange hierbleiben werden! Es ist noch ein Weißer hier. Der wurde vor sechs Jahren gefangengenommen. Es ist ein Ire, den sie am Großen Sklavensee aufgegabelt haben. Hier wird er Danny McCan genannt. Er hat sich schon mit einer Indianerfrau zur Ruhe gesetzt. Hat schon zwei Kinderlein, will sich aber trotzdem unsichtbar machen, wenn sich eine Möglichkeit bieten sollte. Siehst du das niedrige Feuer drüben rechts? Da ist sein Wigwam.«
Kid sollte offenbar auch hierbleiben, denn seine Wärter verließen ihn und seine Hunde und schritten tiefer ins Lager hinein. Während er für seine Fußbekleidung Sorge trug und gleichzeitig lange Streifen warmen Fleisches verschlang, kochte und schwätzte Kurz weiter.
»Es ist ja zweifellos eine herrliche Suppe, die wir uns hier eingebrockt haben. kannst mir ruhig glauben! Und wir müssen verdammt früh aufstehen, wenn wir lebendig aus diesem Hexenkessel entschlüpfen wollen. Sie sind richtige, waschechte wilde Indianer. Sie sind freilich nicht weiß, aber ihr Häuptling ist es. Er spricht, als ob er das Maul voll von heißem Brei hätte. Und wenn er nicht ein Vollblutschotte ist, dann gibt’s überhaupt gar nicht so was wie Schotten in dieser verworrenen Welt. Er ist der Hiju, Skookum, Oberhäuptling des ganzen Warenhauses. Was er sagt, ist einfach Gesetz. das mußt du dir gleich von Anfang an klarmachen. Danny McCan versucht jetzt seit sechs Jahren durchzubrennen. Danny ist ein ganz guter Kerl, aber viel Mumm steckt nicht mehr in seinen alten Knochen. Er weiß einen Weg, auf dem man entkommen kann - hat ihn auf den Jagden kennengelernt - westlich von dem Weg, den wir gekommen sind. Er hat nur nicht die richtigen Nerven, um so eine Sache allein zu deichseln. Aber wir drei werden den Laden schon schmeißen. Backenbart ist ja ganz nett und todanständig, aber trotzdem ist er ein bißchen reichlich verschroben.«
»Wer ist der Backenbart?« fragte Kid, der unterdessen die warmen Fleischstücke mit wahrem Wolfshunger verschlungen hatte, jetzt aber eine kleine Pause machte.
»Na, das ist ja der Obergeneral-Idiot. der alte Schotte. er ist wirklich etwas alt geworden, und deshalb schläft er wohl auch jetzt schon. Aber morgen wird er dich sehen wollen, und er wird dir mit aller gewünschten Deutlichkeit sagen, was du für ein jämmerlicher Wicht bist, wenn du auf seine Jagdgründe gerätst. Denn dieses ganze Gebiet gehört ihm, das mußt du deiner Kokosnuß gleich einbleuen. Hier ist noch nie ein Forscher oder Entdecker gewesen, und es gehört ihm alles. Er hat ungefähr zwanzigtausend Quadratmeilen als Jagdgebiet. Er ist auch der weiße Indianer. er und sein Frauenzimmer. Haha, du brauchst mich deshalb nicht so anzugucken. warte, bis du sie gesehen hast. Verflucht hübsches Ding und ganz weiß, wie der Papa. du weißt, der Backenbart! Und Rentiere! Donnerwetter noch mal! Ich hab sie schon gesehen. die Herden werden jetzt ostwärts getrieben, und wir sollen ihnen nachgehen. jeden Tag kann es losgehen. Was Backenbart von Rentieren und von Lachsen weiß, das weiß sonst keiner in der Welt. das kannst du mir ruhig glauben.«
»Da kommt Backenbart - er sieht aus, als ob er irgendwas vorhätte«, flüsterte Kurz.
Es war Morgen, und die Junggesellen hockten schon um das Feuer und verzehrten ein gutes Frühstück aus Elchfleisch, das sie geröstet hatten. Kid blickte auf und sah einen kleinen schlanken Mann. Er war wie ein Wilder in Pelze gekleidet, aber trotzdem sah man sofort, daß er ein Bleichgesicht war. Er ging an der Spitze eines Hundegespanns und wurde von einem halben Dutzend Indianer begleitet. Kid zerbrach eben einen heißen Knochen, und während er das dampfende Mark aussaugte, blickte er seinen Wirt, der sich ihnen näherte, prüfend an. Ein ergrauter, vom Rauch vieler Lagerfeuer geschwärzter, buschiger Bart verbarg den größten Teil des Gesichtes, konnte aber doch die mageren, fast unheimlich eingefallenen Wangen nicht verbergen. Kid stellte aber fest, daß diese Magerkeit nicht von Krankheit oder Schwäche herrührte, denn die weit geöffneten Nüstern und die gewölbte, breite Brust zeugten von außergewöhnlicher Gesundheit.
»Guten Tag«, sagte der Mann. Gleichzeitig zog er einen Handschuh ab und gab Kid die Hand. »Mein Name ist Snass«, fügte er hinzu, als sie sich die Hände schüttelten.
»Und ich heiße Alaska-Kid«, antwortete Kid mit einem eigentümlichen Gefühl der Unruhe, als er in die klaren, durchdringenden Augen blickte.
»Sie haben genug zu essen, scheint es.«
Kid nickte und begann wieder seinen Markknochen zu bearbeiten. Das Schnurren der schottischen Aussprache berührte ihn seltsam angenehm.
»Es sind natürlich nur derbe Gerichte, die wir Ihnen bieten können. Aber es geschieht dafür selten, daß wir hungern müssen. Und unser Essen ist jedenfalls natürlicher und gesünder als der gekünstelte Fraß, den man in den Städten bekommt.«
»Sie lieben offenbar die Städte nicht«, sagte Kid lachend, nur um etwas zu sagen. Er war aber ganz verblüfft, als er die Veränderung bemerkte, die seine Worte in Snass’ Gesicht hervorriefen.
Wie eine empfindliche Pflanze schien die ganze Gestalt des Mannes plötzlich zu zittern und sich zu krümmen. Dann wich die Erregung, um sich in seinen Augen zu konzentrieren, die -in wildem Aufruhr - einen Haß sprühten, der seine unermeßliche Pein, seinen unsagbaren Schmerz fast in die Welt hinausschrie. Mit einem Ruck wandte er sich ab, nahm sich aber mit einer gewaltigen Anstrengung wieder zusammen und warf Kid einen Gruß zu:
»Ich werde Sie später ja sehen, Herr Kid. Die Rentiere beginnen ostwärts zu wandern, und ich muß deshalb fort, um einen Lagerplatz zu finden. Morgen werden wir alle weiterwandern müssen.«
»Ein tüchtiger Backenbart, nicht?« flüsterte Kurz, als Snass an der Spitze seiner Schar verschwunden war.
Später am selben Morgen bummelte Kid im Lager herum. Alle waren mit ihren einfachen Pflichten beschäftigt. Eine große Schar von Jägern war soeben zurückgekehrt, und die Männer zerstreuten sich an die verschiedenen Lagerfeuer. Viele Frauen und Kinder waren im Begriff, mit den Hunden, die vor leere Tobogganschlitten gespannt waren, auszuziehen, während andere Frauen, Kinder und Hunde Schlitten mit frischgeschlachtetem, aber schon gefrorenem Fleisch herbeizogen. Ein kalter Frühlingswind wehte, und der ganze wilde Auftritt spielte sich bei einer Temperatur von dreißig Grad unter Null ab. Nirgends sah man gewebte Stoffe, alle waren in Pelzwerk und leichtgegerbte Felle gekleidet. Knaben liefen vorbei, sie hatten Bogen in den Händen, und ihre Köcher waren von Pfeilen mit knöchernen Widerhaken vollgestopft. Er sah auch viele Jagdmesser aus Knochen oder Stein, die am Gürtel oder in ledernen Riemen um den Hals getragen wurden. Frauen beugten sich über die Feuer und kochten und brieten, während die kleinen Kinder, die sie auf dem Rücken trugen, mit großen runden Augen um sich blickten und an Klumpen von Talg saugten. Hunde, sehr nahe Verwandte von Wölfen, kamen mit gesträubten Haaren auf Kid zu, aber nur, um von ihm mit seinem kurzen Knüppel verjagt zu werden. Sie wollten alle diesen Fremden beschnüffeln, den sie des harten Knüppels wegen dulden mußten.
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