Und dann stürzte sich — an einer Biegung des Flusses — das Unerwartete auf ihn. Ihm schien, als ob er es gleichzeitig hörte und empfand. Der Knall des Stutzens kam von rechts, und die Kugel, die die Schulter seines Drillichüberzuges und seine wollene Jacke durchschlug, versetzte ihm einen so kräftigen Stoß, daß er sich um seine Achse drehte. Er schwankte, da seine Schneeschuhe sich ineinander verwirrt hatten, fand aber das Gleichgewicht wieder. Da hörte er einen zweiten Knall. Diesmal ging die Kugel indessen vorbei. Er wartete keinen weiteren Schuß ab, sondern lief, so schnell er konnte, durch den Schnee den schirmenden Bäumen zu, die hundert Fuß entfernt am Hange standen. Immer und immer wieder knallte die Büchse, und mit Unbehagen stellte er fest, daß ihm etwas Warmes und Feuchtes über den Rücken lief.
Er kletterte den Hang hinauf — die Hunde aufgeregt hinter ihm her — und schlüpfte zwischen Bäume und Büsche. Dann band er die Schneeschuhe los, warf sich der Länge nach hin und spähte vorsichtig hinaus. Es war nichts zu sehen. Wer es auch gewesen sein mochte, der ihn angeschossen hatte, jedenfalls lag der Betreffende in Deckung hinter den Bäumen am anderen Ufer.
«Wenn nicht bald irgend etwas geschieht, muß ich mich fortschleichen oder ein Feuer machen, sonst erfrieren mir die Füße«, murmelte er vor sich hin, als eine halbe Stunde vergangen war.»Gelbgesicht, was würdest du tun, wenn du hier in der Kälte lägest und merktest, daß der Blutumlauf immer schwächer würde, während ein Mann versuchte, dich niederzuknallen?«
Er kroch einige Meter zurück, trat den Schnee fest und führte einen Indianertanz auf, bis er merkte, daß das Blut in seine Füße zurückkehrte, und auf diese Weise hielt er es noch eine halbe Stunde aus. Da hörte er unten vom Fluß das unverkennbare Schellengeläut eines Hundegespannes. Als er hinaus spähte, sah er einen Schlitten um die Flußbiegung schwenken. Nur ein Mann stand darin, der die Steuerstange führte und gleichzeitig die Hunde antrieb. Das plötzliche Erscheinen eines Menschen machte einen tiefen Eindruck auf Kid, der so lange niemanden gesehen hatte. Sein nächster Gedanke galt aber dem vermutlichen Mörder, der sich irgendwo auf dem andern Ufer versteckt hielt.
Ohne sich selbst auszusetzen, stieß er einen warnenden Pfiff aus. Der Mann hörte nichts und kam mit rasender Schnelligkeit näher. Wieder pfiff Kid, und diesmal lauter. Der Mann rief seinen Hunden etwas zu und machte halt. Er drehte sich nach der Richtung, wo Kid stand, aber im selben Augenblick knallte ein Schuß. Fast in derselben Sekunde schoß Kid in den Wald hinein, woher der Knall kam. Der Mann am Fluß war indessen schon vom ersten Schuß getroffen worden. Der Schlag der Kugel hatte ihn ins Wanken gebracht. Er taumelte mühselig zum Schlitten. Obgleich nahe am Zusammenbrechen, gelang es ihm, ein Gewehr aus dem Schlitten zu nehmen, wo es unter der Last verborgen lag. Als er sich aber bemühte, es an die Schulter zu bringen, vermochte er sich nicht mehr lange aufrecht zu halten und setzte sich langsam auf den Schlitten. Er konnte nicht mehr genau zielen, und der Schuß ging deshalb in die Luft. Plötzlich fiel er rücklings über das Gepäck am Schlitten nieder, so daß Kid nur die Beine und den Unterkörper sah. Von unten her hörte Kid jetzt das Geläut von mehreren Hundeschellen. Der Mann rührte sich indessen nicht. Drei Schlitten schwenkten um die Biegung des Flusses, von einem halben Dutzend Männern gefolgt. Kid rief ihnen eine Warnung zu, aber sie hatten schon gemerkt, was mit dem ersten Schlitten geschehen war, und eilten deshalb zu ihm hin. Es fiel kein Schuß mehr vom andern Ufer, und Kid befahl deshalb seinen Hunden, ihm zu folgen, und trat aus dem Versteck hervor.
Er hörte laute Rufe von den Männern, und zwei von ihnen rissen sich die Fäustlinge von den Händen und warfen ihre Gewehre an die Schulter.
«Komm nur her, du blutbefleckter Mörder!«rief einer von ihnen, ein Mann mit einem schwarzen Bart.»Schmeiß deinen Schießprügel in den Schnee.«
Kid zögerte einen Augenblick, dann warf er sein Gewehr fort und ging zu ihnen hin.
«Untersuch ihn mal, Louis und nimm ihm die Waffen weg!«befahl der Schwarzbärtige.
Louis, nach Kids Auffassung ein französisch-kanadischer Schlittenfahrer, gehorchte.
Seine Untersuchung brachte lediglich Kids Jagdmesser zum Vorschein, das der Schwarzbärtige zu sich steckte.
«Na, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, Fremder, bevor ich dich totschieße?«fragte er.
«Daß du dich irrst, wenn du glaubst, daß ich den Mann getötet habe«, antwortete Kid.
Einer der Schlittenfahrer stieß plötzlich einen lauten Ruf aus. Er war die Fährte entlanggegangen und hatte Kids Fußspuren gefunden, wo dieser die Fährte verlassen hatte, um auf dem Hang Deckung zu suchen.
«Warum hast du Joe Kinade getötet?«fragte der Schwarzbärtige.
«Ich sage dir ja, daß ich es nicht getan habe«, begann Kid.
«Was soll dieses Gerede? Wir haben dich auf frischer Tat ertappt. Da drüben ist die Stelle, wo du die Fährte verließest, als du ihn kommen hörtest. Du lagst oben im Busch und hast ihn ermordet, dein Schuß fiel aus ganz kurzer Entfernung. Du konntest überhaupt nicht vorbeischießen, hol mal den Schießprügel her, den er fortgeworfen hat.«
«Laßt mich doch erzählen, wie es zuging«, wandte Kid ein.
«Halt das Maul!«schnauzte ihn der Mann an.»Ich denke, dein Gewehr wird die Geschichte schon verraten.«
Sie untersuchten Kids Gewehr, nahmen die Patronen heraus und zählten sie. Dann untersuchten sie die Mündung und den Verschluß.
«Nur ein Schuß«, entschied der Schwarzbärtige.
Pierre roch an dem Verschluß, während seine Nasenflügel wie bei einem Hirsch zitterten und sich blähten.
«Erst ganz vor kurzem geschossen«, erklärte er.
«Die Kugel ging am Rücken hinein«, sagte Kid.»Er wandte mir das Gesicht zu, als er erschossen wurde. Ihr seht also, daß der Schuß vom andern Ufer gekommen ist.«
Der Schwarzbart überdachte einen Augenblick diesen Einwand. Dann schüttelte er den Kopf.
«Unsinn, damit kommst du nicht durch. Dreh ihn mal mit dem Gesicht gegen das andere Ufer. Siehst du, so hat er gestanden, als du ihn erschossen hast. Einige von euch könnten ja die Fährte untersuchen, ob ihr einige Spuren nach dem andern Ufer finden könnt.«
Sie berichteten gleich darauf, daß der Schnee auf dieser Seite noch völlig unbetreten war. Nicht einmal ein Polarhase hatte sie durchquert. Der Schwarzbärtige beugte sich über den Toten, und als er sich wieder aufrichtete, hielt er einen kleinen rauhen wollenen Lappen in der Hand. Er untersuchte ihn und fand darin versteckt die Kugel, die durch den Körper gegangen war. Ihre Spitze war flachgedrückt und hatte die Größe eines Halbdollarstückes. Das stumpfe Ende, das in einer stählernen Hülse steckte, war unbeschädigt. Er verglich sie mit einer Patrone aus Kids Gürtel.
«Der Beweis hier genügt, um selbst einen Blinden zu überzeugen, Fremder. Die Kugel hat eine weiche Spitze und eine stählerne Hülse — und deine Kugeln sind von derselben Art. Die Kugel hier ist dreißig, dreißig — deine auch. Die hier stammt von der J.-u.-T.-Waffenfabrik — genau wie deine. Aber jetzt kommst du mit, dann werden wir den Hang hinaufklettern und an Ort und Stelle sehen, wie es vor sich ging.«
«Ich wurde ja selbst aus dem Hinterhalt getroffen«, sagte Kid.»Hier können Sie das Loch in meiner Parka sehen.«
Während der Schwarzbärtige es untersuchte, öffnete einer der Schlittenfahrer das Gewehr des Toten. Allen war klar, daß er nur den Schuß abgegeben hatte. Die leere Patronenhülse steckte noch in der Kammer.
«Ein Jammer, daß der arme Joe dir nicht den Garaus gemacht hat«, erklärte der Schwarzbärtige bitter.»Aber es war immerhin ein ganz feiner Schuß, wenn man das Loch in Betracht zieht, das er selbst bekommen hatte. Also komm mit, du…«
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