«Das mag ja alles ganz gut sein, Kurz, aber schließlich bin ich ja verhältnismäßig erwachsen und noch dazu ein guter Fleischesser. Das einzige, was du schleppen sollst, ist das Gold, das ich durch mein System gewinnen werde, und ich glaube, daß du ein Hundegespann brauchen wirst.«
Kurz antwortete nur mit einem Stöhnen.
«Und ich möchte auch nicht, daß du auf eigene Faust spielst«, fuhr Kid fort.»Wir werden den Gewinn teilen, aber ich brauche all unser Geld, um es durchzuführen. Das System ist ja noch nicht ausprobiert, und es ist sehr gut möglich, daß ich einige Verluste haben werde, ehe ich es richtig in Gang kriege.«
Nachdem Kid lange Stunden und Tage mit ständiger Beobachtung des Tisches verbracht hatte, kam schließlich der Abend, an dem er erklärte, daß er bereit sei. Düster und pessimistisch begleitete Kurz seinen Kompagnon in den "Elch", mit einer Miene, als ginge er zu seinem eigenen Begräbnis. Kid kaufte einen Haufen Spielmarken und setzte sich neben den Bankhalter am Ende des Tisches. Immer wieder machte der Ball seinen sausenden Kreislauf durch das Rad, und die andern Spieler gewannen und verloren, aber Kid wagte noch keine einzige Marke zu setzen. Kurz wurde immer ungeduldiger.»Nur los, Kamerad, nur immer los«, drängte er.»Mach bald Schluß mit dem Begräbnis. Was hast du denn? Kalte Füße gekriegt?«
Kid schüttelte den Kopf und wartete. Ein Dutzend Spiele wurden beendet, dann warf er plötzlich zehn Ein-Dollar-Marken auf "26". Die Zahl gewann, und der Bankhalter zahlte Kid dreihundertfünfzig Dollar aus. Wieder ging ein Dutzend Spiele vorüber, als Kid endlich zum zweitenmal zehn Dollar, jetzt aber auf "32" setzte. Und wiederum erhielt er dreihundertfünfzig Dollar.
«Das nenne ich eine Ahnung«, flüsterte ihm Kurz laut und aufgeregt ins Ohr.»Nur festhalten, festhalten!«
«Keine Spur von Ahnung«, flüsterte Kid zurück.»Es gehört zum System. Ist es nicht prachtvoll?«
«Das kannst du mir nicht weismachen«, behauptete Kurz.»Ahnungen kommen einem oft auf die merkwürdigsten Arten. Vielleicht glaubst du, daß es ein System ist, aber das ist es nicht. Systeme taugen nie etwas. Das gibt es gar nicht! Es ist todsicher eine Ahnung, daß du so spielst…«
Kid änderte jetzt sein Spiel.
Er setzte etwas öfter, aber stets nur einzelne Marken, warf sie hierhin und dorthin und verlor mehr, als er gewann.
«Hör jetzt lieber auf«, riet ihm Kurz.»Steck ein, was du hast. Du hast dreimal ins Schwarze getroffen und immerhin einen Tausender gewonnen. Du kannst jetzt ruhig aufhören.«
In demselben Augenblick surrte die Kugel wieder durch das Rad, und Kid warf zehn Dollar auf "26". Die Kugel fiel in das Loch der "26", und der Bankhalter zahlte Kid dreihundertfünfzig Dollar aus.
«Wenn du also sowieso ganz hirnverbrannt bist und auch noch den großen Treffer deines Lebens bekommen hast, dann setz den Höchstbetrag«, sagte Kurz.»Schmeiß nächstes Mal fünfundzwanzig drauf!«
Eine Viertelstunde verging, in dem Kid teils gewann, teils verlor, aber immer nur kleine Beträge auf verschiedene Zahlen. Da setzte er, mit der Plötzlichkeit, die sein ganzes Spiel kennzeichnete, fünfundzwanzig Dollar auf Doppelzero, und der Bankhalter zahlte ihm achthundertfünfundsiebzig Dollar aus.
«Weck mich doch, Kid, ich träume ja!«stöhnte Kurz.
Kid lächelte, schlug in seinem Notizbuch nach und vertiefte sich in Berechnungen. Immer wieder zog er sein Notizbuch aus der Tasche, und hin und wieder schrieb er Zahlen auf.
Es hatte sich eine ganze Menge von Leuten um den Tisch gesammelt, während die Spieler selbst versuchten, dieselben Zahlen zu belegen wie er. Da änderte er mit einem Schlage wieder seine Taktik. Zehnmal nacheinander setzte er zehn Dollar auf»18«und verlor. Jetzt hätte selbst der Kühnste ihn im Stich gelassen. Da wechselte er wieder die Nummer und gewann zum fünften Male dreihundertfünfzig Dollar. Im selben Augenblick kehrten die anderen Spieler reumütig zu seinen Zahlen zurück, ließen ihn aber wieder allein, als er aufs neue eine Reihe von Verlusten zu verbuchen hatte.
«Laß das Ding jetzt, Kid, laß es«, warnte Kurz.»Selbst die beste Strähne von Ahnungen hat nur eine bestimmte Länge, und deine ist jetzt fertig. Du machst keinen Treffer mehr.«
«Ich werde nur noch einmal ins Schwarze treffen, ehe ich meinen Gewinn zusammenraffe«, antwortete Kid.
Einige Minuten warf er noch Spielmarken mit wechselndem Glück auf verschiedene Zahlen, dann setzte er plötzlich fünfundzwanzig Dollar auf Doppelzero.»Jetzt werde ich Schluß machen«, sagte er zu dem Bankhalter, nachdem er gewonnen hatte.
«Oh, du brauchst es mir nicht zu zeigen«, sagte Kurz, als sie zusammen zur Waage gingen.»Ich habe selbst nachgerechnet. Du mußt so etwa dreitausendsechshundert gewonnen haben. Stimmt es?«
«Dreitausendsechshundertdreißig«, antwortete Kid.
«Und jetzt mußt du den Goldstaub nach Hause tragen. So haben wir es abgemacht.«
«Fordere das Glück nicht heraus«, flehte Kurz am nächsten Abend in der Hütte, als er bemerkte, daß Kid Vorbereitungen traf, wieder in den "Elch" zu gehen.»Du hast gestern eine gewaltig lange Strähne von Ahnungen gehabt, aber du hast sie auch bis zum letzten Tropfen ausgepreßt. Wenn du wieder anfängst, wirst du deinen ganzen Gewinn zusetzen.«
«Aber ich sage dir ja, daß es keine Ahnungen sind, Kurz. Es ist Berechnung. Ein System. Man kann überhaupt nicht verlieren.«
«Zur Hölle mit allen Systemen. So etwas wie ein System kann es gar nicht geben. Ich habe mal siebzehn solche Strähnen in "Schwarz und Rot" gehabt. War es System? Quatsch! Es war blödes, blindes Schwein; aber ich hatte kalte Füße bekommen und wagte nicht, zu Ende zu spielen. Wenn ich durchgehalten und mich nicht nach der dritten Runde zurückgezogen hätte, würde ich mit dem ursprünglichen Einsatz von einem viertel Dollar dreißigtausend Dollar gewonnen haben.«
«Das ist ja auch schnuppe, Kurz. Hier handelt es sich um ein richtiges System.«
«Na, das mußt du mir erst beweisen.«
«Werd' ich schon. Komm jetzt mit, ich zeig' es dir heute wieder.«
Als sie den Schankraum des "Elch" betraten, richteten sich alle Augen auf Kid, und die Spieler am Tisch machten ihm Platz, als er sich wie am vorhergehenden Tage neben den Bankhalter setzte. Sein Spiel war indessen heute ganz anders. Im Laufe von anderthalb Stunden setzte er im ganzen nur viermal, aber jedesmal fünfundzwanzig Dollar, und gewann stets. Er steckte dreitausendfünfhundert Dollar ein. Und Kurz trug wieder den Goldstaub nach Hause.
«Jetzt ist es aber Zeit, Schluß mit dem Spaß zu machen«, riet Kurz, als er auf dem Bettrand saß und sich die Mokassins auszog.
«Du hast siebentausend Dollar gewonnen. Der Mann muß verrückt sein, der sein Schicksal noch weiter herausfordert.«
«Lieber Kurz, ein Mann würde ganz und himmelschreiend hirnverbrannt sein, wenn er nicht ein solches System, wie meines ist, ausnützt.«
«Hör mal, Kid. Du bist ein verdammt gescheiter Kerl. Du hast die Universität besucht. Du kannst in einer Minute mehr begreifen als ich in vierzigtausend Jahren. Aber trotzdem bist du mehr als verrückt, wenn du behauptest, daß dein Glück ein System sei. Ich bin viel in der Welt herumgekommen, und ich kann dir geradeheraus und vertraulich und mit absoluter Sicherheit erklären, daß es kein System gibt, das eine Bank sprengen kann.«
«Aber ich werde es dir beweisen. Es ist einfach eine Schatzkammer.«
«Nein, das ist es nicht, Kid. Es ist nur der Traum von einer Schatzkammer. Ich schlafe einfach. Plötzlich wache ich wieder auf und mache Feuer und Frühstück.«
«Gut, mein ungläubiger Freund, hier ist der Goldstaub. Greif zu!«
Und Kid warf seinem Partner den schweren Beutel mit dem Goldstaub aufs Knie. Er wog fünfunddreißig Pfund, und Kurz mußte zugeben, daß er es spürte, als der Beutel sein Bein traf.
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