Ich führte sie näher an das Fenster, und da standen wir und hielten uns an den Händen. Die Frühlingssonne schien herein, und neben den Diamanten glänzten die Tropfen, die auf ihr schönes Kleid gefallen waren.
»Natalie, bist du glücklich?« sagte ich nach einer Weile.
»Ich bin es in hohem Maße«, antwortete sie, »mögest du es auch sein.«
»Du bist mein Kleinod und mein höchstes Gut auf dieser Erde«, erwiderte ich, »es ist mir noch wie im Traume, daß ich es errungen habe, und ich will es erhalten, so lange ich lebe.«
Ich küßte sie auf den Mund, den sie freundlich bot. In ihre feinen Wangen war das Rot zurückgekehrt.
In diesem Augenblicke hörten wir Tritte in dem Nebenzimmer, und Mathilde, meine Mutter, Risach, mein Vater und Klotilde, die uns gesucht hatten, traten ein.
»Mutter, teure Mutter«, sagte ich zu Mathilden, indem ich allen entgegen ging, Mathildens Hand faßte und sie zu küssen strebte. Mathilde hatte sich nie die Hand von irgend jemandem küssen lassen. Dieses Mal erlaubte sie, daß ich es tue, indem sie sanft sagte: »Nur das eine Mal.«
Dann küßte sie mich auf die Stirne und sagte: »Sei so glücklich, mein Sohn, als du es verdienst und als es die wünscht, die dir heute ihr halbes Leben gegeben hat.«
Risach sagte zu mir: »Mein Sohn, ich werde dich jetzt du nennen, und du mußt zu mir wie zu deinem ersten Vater auch dies Wörtchen sagen — mein Sohn, nach dem, was heute vorgefallen, ist deine erste Pflicht, ein edles, reines, grundgeordnetes Familienleben zu errichten. Du hast das Vorbild an deinen Eltern vor dir, werde, wie sie sind. Die Familie ist es, die unsern Zeiten not tut, sie tut mehr not als Kunst und Wissenschaft, als Verkehr, Handel, Aufschwung, Fortschritt oder wie alles heißt, was begehrungswert erscheint. Auf der Familie ruht die Kunst, die Wissenschaft, der menschliche Fortschritt, der Staat. Wenn Ehen nicht beglücktes Familienleben werden, so bringst du vergeblich das Höchste in der Wissenschaft und Kunst hervor, du reichst es einem Geschlechte, das sittlich verkommt, dem deine Gabe endlich nichts mehr nützt und das zuletzt unterläßt, solche Güter hervor zu bringen. Wenn du auf dem Boden der Familie einmal stehend — viele schließen keine Ehe und wirken doch Großes —, wenn du aber auf dem Boden der Familie einmal stehst, so bist du nur Mensch, wenn du ganz und rein auf ihm stehst. Wirke dann auch für die Kunst oder für die Wissenschaft, und wenn du Ungewöhnliches und Ausgezeichnetes leistest, so wirst du mit Recht gepriesen, nütze dann auch deinen Nachbarn in gemeinschaftlichen Angelegenheiten und folge dem Rufe des Staates, wenn es not tut. Dann hast du dir gelebt und allen Zeiten. Gehe nur den Weg deines Herzens wie bisher und alles wird sich wohl gestalten.«
Ich reichte ihm die Hand, er zog mich an sich und küßte mich auf den Mund.
Natalie war indessen in den Armen meiner Mutter, meines Vaters und Klotildens gewesen.
»Er wird gewiß bleiben, wie er heute ist«, sagte sie, wahrscheinlich auf einen Wunsch für die Zukunft antwortend.
»Nein, mein teures Kind«, sagte meine Mutter, »er wird nicht so bleiben, das weißt du jetzt noch nicht: er wird mehr werden, und du wirst mehr werden. Die Liebe wird eine andere, in vielen Jahren ist sie eine ganz andere; aber in jedem Jahr ist sie eine größere, und wenn du sagst, jetzt lieben wir uns am meisten, so ist es in Kurzem nicht mehr wahr, und wenn du statt des blühenden Jünglings einst einen welken Greis vor dir hast, so liebst du ihn anders, als du den Jüngling geliebt hast; aber du liebst ihn unsäglich mehr, du liebst ihn treuer, ernster und unzerreißbarer.«
Mein Vater wandte sich ab und fuhr sich mit der Hand über die Augen.
Meine Mutter küßte Natalien noch einmal und sagte: »Du liebe, gute, teure Tochter.«
Natalie gab den Kuß zurück und schlang die Arme um den Hals meiner Mutter.
»Kinder, jetzt müssen wir zu den Andern gehen«, sagte Risach.
Wir gingen in den Saal. Dort gab Risach Papiere in die Hände Nataliens. Sie legte sie in die meinigen. Mein Vater gab mir auch Papiere. Alle Anwesenden wünschten uns nun Glück, vor allem Gustav, den ich die letzte Zeit her gar nicht gesehen hatte. Er fiel der Schwester um den Hals und auch mir. In seinen schönen Augen perlten Tränen. Dann beglückwünschten uns Eustach, Roland, die vom Inghofe, der Pfarrer von Rohrberg, der mich auf unser erstes Zusammentreffen in diesem Hause an jenem Gewitterabende erinnerte, und alle Andern.
Risach sagte, daß jetzt jedem zwei Stunden zur Verfügung gegeben seien, dann müsse sich alles in dem Marmorsaale zu einem kleinen Mahle versammeln.
Natalie wurde von ihren Trauungsjungfrauen in die Gemächer ihrer Mutter geführt, daß sie dort die Trauungsgewänder ablege. Ich ging in meine Wohnung, kleidete mich um und verschloß die Papiere, ohne sie anzusehen. Nach einer geraumen Zeit ging ich in das Vorzimmer zu Mathildens Wohnung und fragte, ob Natalie schon in Bereitschaft sei, ich ließe bitten, mit mir einen kurzen Gang durch den Garten zu machen. Sie erschien in einem schönen, aber sehr einfachen Seidenkleide und ging mit mir die Treppe hinab. Sie reichte mir den Arm und wir wandelten eine Zeit unter den großen Linden und auf anderen Gängen des Garten herum.
Nachdem die zwei Stunden verflossen waren, wurde mit der Glocke das Zeichen zum Mahle gegeben. Alles begab sich in den Saal und erhielt dort seine Sitze angewiesen. Das Mahl war, wie gewöhnlich bei Risach, einfach, aber vortrefflich. Für Kenner und Liebhaber standen sehr edle Weine bereit. Es war nie in dem Saale ein Mahl abgehalten worden, und der Ernst des Marmors, bemerkte mein gewesener Gastfreund, dürfe nur in den Ernst des edelsten Weines nieder blicken. Trinksprüche wurden ausgebracht und sogar Reime auf ewiges Wohl hergesagt.
»Habe ich es gut gemacht, Natta«, sagte mein einstiger Gastfreund, »daß ich dir den rechten Mann ausgesucht habe? Du meintest immer, ich verstände mich nicht auf diese Dinge, aber ich habe ihn auf den ersten Blick erkannt. Nicht bloß die Liebe ist so schnell wie die Electricität, sondern auch der Geschäftsblick.«
»Aber Vater«, sagte Natalie errötend, »wir haben ja über diesen Gegenstand nie gestritten, und ich konnte dir die Fähigkeit nicht absprechen.«
»So hast du dir es gewiß gedacht«, erwiderte er, »aber richtig habe ich doch geurteilt: er war immer sehr bescheiden, hat nie vorlaut geforscht und gedrängt und wird gewiß ein sanfter Mann werden.«
»Und du, Heinrich«, sagte er nach einer Weile, »werde darum nicht stolz. Verdankst du mir nicht endlich ganz und gar Alles? Du hast einmal, da du zum ersten Male in diesem Hause warst, in der Schreinerei gesagt, daß der Wege sehr verschiedene sind und daß man nicht wissen könne, ob der, der dich eines Gewitters wegen zu mir herauf geführt hat, nicht ein sehr guter Weg gewesen ist, worauf ich antwortete, daß du ein wahres Wort gesprochen habest und daß du es erst recht einsehen werdest, wenn du älter bist; denn in dem Alter, dachte ich mir damals, übersieht man erst die Wege, wie ich die meinigen übersehen habe. Wer hätte aber damals geglaubt, daß mein Wort die Bedeutung bekommen werde, die es heute hat? Und alles hing davon ab, daß du hartnäckig gemeint hast, ein Gewitter werde kommen, und daß du meinen Gegenreden nicht geglaubt hast.«
»Darum, Vater, war es Fügung, und die Vorsicht selber hat mich zu meinem Glücke geführt«, sagte ich.
»Die alte Frau, die in dem dunkeln Stadthause unsere Wohnungsnachbarin und zuweilen unser Gast war«, sagte mein Vater, »hat dir, Heinrich, die Weissagung gemacht, es werde recht viel aus dir werden: und nun bist da bloß, wie du selber sagst, glücklich geworden.«
»Das Andere wird kommen«, riefen mehrere Stimmen.
»Eine gute Eigenschaft habe ich an deiner Gattin zu ihren andern Tugenden entdeckt«, fuhr mein Vater fort, »sie ist nicht neugierig; oder hast du, liebe Tochter, das Kästchen schon eröffnet, welches ich dir gegeben habe?«
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