»König Hieron hat kein heiliges Bündnis abgeschlossen«, wehrte der Beamte ab.
»Er ist schließlich kein Narr«, fügte der zweite Soldat hinzu, zum ersten Mal nicht im Flüsterton. Damit war auch sein Akzent klar: ein gutturaler Tonfall, wie er in den Hinterhöfen von Syrakus typisch war. Archimedes war erleichtert. »Wenn Karthago unsere ruhmreiche Stadt gegen Rom unterstützen möchte, soll’s das mal machen, aber König Hieron traut diesem Diebsgesindel sicher nicht über den Weg. Und dazu kann ich nur bravo sagen! Er hat lediglich einer gemeinsamen Militärstrategie gegen die Römer zugestimmt, sonst nichts.« Er warf dem Taraser einen abschätzigen Blick zu. Eines stand fest: Er war strikt dagegen, ein Gebet für die Zerstörung Karthagos mit einem solchen Hieb zu vergelten.
Marcus grunzte. Auch Archimedes fiel wieder ein, was von ihm erwartet wurde. »Über diese Allianz ist uns in Ägypten nicht das geringste zu Ohren gekommen «, sagte er förmlich. »Wenn dich Marcus beleidigt haben sollte, dann tut es mir leid, aber er hat im guten Glauben für einen syrakusischen Sieg gebetet.«
Der Beamte und der Soldat aus Syrakus akzeptierten diese Erklärung mit einem Kopfnicken. Sie waren erleichtert, daß Archimedes stillschweigend beschlossen hatte, den Hieb zu vergessen. Nur der Taraser zog weiterhin ein finsteres Gesicht. Na schön, Marcus hatte vielleicht für einen Sieg der Syrakuser gebetet, aber eben doch nicht für die Zerstörung Roms. Wieder richteten sich die dunklen Augen des Mannes auf den Sklaven, der noch immer mit gesenktem Kopf am Kai kniete und seine Prellung rieb. Hinter der bösen Miene flak-kerte noch etwas anderes auf: das Bedürfnis, zu verletzten und zu demütigen.
Auch Archimedes war sich der ausweichenden Haltung seines Sklaven wohl bewußt. Er räusperte sich. »Mir ist zwar schleierhaft, wie du zu der Annahme kommst, daß ein Römer ein Sklave ist. Solltest du aber Marcus tatsächlich für einen Römer halten, dann können wir uns gerne an jemanden wenden, der für derartige Entscheidungen zuständig ist«, bot er an. »Andererseits.«, er fingerte in seinem Geldbeutel herum und zog zwei Stater heraus, zwei Drachmenmünzen, von denen jede mehr als der Tageslohn eines Söldners wert war. ».wird es schon spät, und ich möchte lieber nach Hause zu meiner Familie, statt mich vor Gericht herumzutreiben.« Damit hielt er dem Taraser die Münzen hin. Frischgeprägtes Silber mit dem Kopf des ägyptischen Königs Ptolemaios glänzte in seiner Hand.
Der Taraser starrte es nur an, aber der Soldat aus Syrakus kam schnell herüber und steckte grinsend die Münzen ein. Auch der Zollbeamte lief schnell herbei und sog die Luft zwischen den Zähnen ein. Fragend schaute er den Syrakuser an, aber der grinste nur noch mal und meinte leichthin: »Wir teilen’s gleichmäßig durch drei.«
Der Taraser starrte Archimedes düster an, aber da die beiden anderen nur allzugern das Geld einschoben und die ganze Geschichte mit Marcus vergessen wollten, wagte er nicht, sich über sie hinwegzusetzen. »Man kann nicht zwei Stater durch drei teilen!« meinte er statt dessen bissig.
Archimedes zwang sich angestrengt zu einem Lächeln, obwohl es ihm fast die Kehle zuschnürte. »Natürlich kann man das«, sagte er. »In dem Fall wären das drei Oboloi für jeden von euch, aber hier.« Er holte noch eine Münze heraus, die den beiden ersten ähnelte wie ein Ei dem anderen. »Viel Glück den Verteidigern der Stadt!«
Mit einem unglaublich haßerfüllten Blick schnappte der Taraser die Münze und trollte sich zum nächsten Stadttor davon. Sein Kamerad zuckte die Schultern, warf Archimedes einen entschuldigenden Blick zu und drehte sich mit den beiden anderen Stateren zum Zollbeamten um. Archimedes humpelte zu Marcus hinüber.
»Bist du verletzt?« fragte er.
Marcus rieb noch einmal über die Prellung, dann schüttelte er den Kopf und stand mit finsterer Miene langsam auf. »Mögen die Götter diesen tarasischen Abschaum aufs Schlimmste strafen!« stieß er zornig hervor. »Drei Stater in die Gosse geschmissen!«
Da zog ihm Archimedes die Hand quer übers Gesicht. Wut und Erleichterung verstärkten den Schlag noch. »Du wertloser Trampel!« stieß er im Flüsterton hervor. »Du hättest genausogut im Steinbruch enden können! Warum hast du nicht gesagt, was er dir befohlen hat?«
Marcus schaute weg. Jetzt rieb er sich das Gesicht. »Ich bin nicht sein Sklave«, erklärte er.
»Manchmal wünschte ich mir, du wärst auch nicht meiner!«
»Ich manchmal auch!« gab Marcus zurück und schaute seinem Herrn wieder in die Augen.
Zischend atmete Archimedes aus. »Nun, beinahe hättest du’s ja geschafft, von mir wegzukommen, stimmt’s? Dieser Kerl hätte dich am liebsten bis Kriegsende in Ketten legen und Steine schneiden lassen, ganz egal, aus welchem gottverdammten Volk du stammst. Und du hast auch noch hundertprozentig alles getan, um ihn darin zu bestärken. Beim Herakles! Ich hätte ihn gewähren lassen sollen! Warum konntest du ihn nicht wie jeder gute Sklave mit Herr anreden und die Augen senken, wenn er mit dir sprach?«
»Ich bin frei geboren«, meinte Marcus mürrisch. »Vor deinem Vater und dir bin ich nie zu Kreuze gekrochen, warum sollte ich es dann vor so einem dahergelaufenen Taraser ohne Rang und Namen tun?«
»Du und deine freie Geburt!« rief Archimedes empört aus. »Ich bin frei geboren und obendrein ein Bürger, aber ich lege mich nicht mit Söldnern an.« Er wollte schon hinzufügen: »Jedenfalls weiß ich nicht, weshalb ich dir deine freie Geburt abnehmen soll, wenn du dich nicht entscheiden kannst, ob es sich um eine freie Sabinergeburt handelt oder um eine samnitische!« Da merkte er, daß sich noch immer einer der Soldaten in der Nähe aufhielt und lauschte. Nur der Zollbeamte ging gerade fort. Er schluckte seine Worte hinunter, sie waren sowieso sinnlos. Kein geborener Sklave wäre derart starrsinnig, stur und stolz wie Marcus.
»Wären wir zuerst an der Reihe gewesen, hätte es gar kein Problem gegeben«, knurrte Marcus zu seiner Rechtfertigung. »Dann hätten sie keine Zeit dafür gehabt. Und wir wären auch als erste drangewesen, wenn du aufgepaßt hättest, statt dich mit Kreiszeichnungen zu beschäftigen.« Nach einem schiefen Blick auf den abgewetzten, verkratzten Kai korrigierte er sich: »Mit Würfelzeichnungen.«
»Kuboide«, erwiderte Archimedes erschöpft. Sein glasiger Blick nahm die halbverwischten Zeichnungen nur noch schemenhaft wahr. Plötzlich zuckte er zusammen, faßte sich an den Gürtel und rief laut: »Ich habe meinen Zirkel verloren!«
Nach einem kurzen Blick in die Runde hob Marcus das gesuchte Stück neben dem Gepäck vom Boden auf. Dankbar nahm es Archimedes in Empfang und prüfte, ob es beschädigt war.
»Das Ding sieht ja ziemlich scharf aus«, meinte der Soldat aus Syrakus, der in dem Moment herüberkam. »Dein Glück, daß du’s fallen hast lassen. Wenn das noch in deinem Gürtel gesteckt hätte, als dich Philonides umstieß, hättest du dich damit aufgespießt. Alles in Ordnung mit dem Bein?«
Archimedes musterte sein Knie. Es hatte zu bluten aufgehört. »Ja«, sagte er und schob sich den Zirkel in den Gürtel.
Der Soldat kommentierte diese Narretei mit einem Schnauben, trotzdem bot er sich an, beim Gepäck zu helfen. Archimedes fiel auf, daß der Wachposten ungefähr gleich alt war wie er. Ein breitschultriger Mann mit einem kurzgeschnittenen, lockigen Bart und einem pfiffig-freundlichen Gesicht. Trotz der Scherze, die er vorher seinem Kameraden zugeflüstert hatte, hatte er sich inzwischen offensichtlich zu einer freundlichen Haltung entschlossen. Archimedes nahm das Angebot an.
Während Marcus das eine Truhenende unterfaßte und sich der Soldat mit der anderen Seite abschleppte, versuchte Archimedes ziemlich wirkungslos, die Mitte abzustützen. So marschierten sie auf das Tor zu. »Danke für das Geld«, sagte der Soldat. »Übrigens, ich heiße Straton, der Sohn des Metrodoros. Wenn du dich zum Militär meldest, beruf dich auf mich, dann werde ich dafür sorgen, daß du gut behandelt wirst.«
Читать дальше