Mängel, welche in der Natur der Coalitionen liegen
Keine Coalition, deren Andenken die Geschichte uns aufbewahrt, hat ein geschickteres Oberhaupt gehabt als Wilhelm es war. Aber selbst Wilhelm kämpfte oft vergebens gegen die Mängel an, welche allen Coalitionen von Natur eigen sind. Kein Unternehmen, das ein herzliches und dauerndes Zusammenwirken vieler unabhängiger Staaten erfordert, verspricht einen gedeihlichen Fortgang. Eifersüchteleien entstehen unvermeidlich; Streitigkeiten erzeugen neue Streitigkeiten. Jeder Bundesgenosse fühlt sich versucht, einen Theil der Last, die er selbst tragen sollte, auf Andere zu wälzen. Kaum Einer stellt ehrlich das versprochene Contingent, kaum Einer hält pünktlich den bestimmten Tag ein. Aber vielleicht keine Coalition, welche je existirt hat, war in so fortwährender Gefahr der Auflösung als die, welche Wilhelm mit unendlicher Mühe gebildet hatte. Die lange Liste der Potentaten, die in Person oder durch Bevollmächtigte vertreten, im Haag zusammenkamen, nahm sich in den Zeitungen vortrefflich aus. Die Masse der von bunten Garden und Lakaien umgebenen fürstlichen Equipagen gewährte unter den Linden des Voorhout einen ganz prächtigen Anblick. Aber gerade die Umstände, welche den Congreß glänzender machten als andere Congresse, machten die Conföderation schwächer als andere Conföderationen. Je zahlreicher die Alliirten, um so zahlreicher waren die Gefahren, welche der Allianz drohten. Es war unmöglich, daß zwanzig Regierungen, welche durch Rang-, Gebiets-, Handels- oder Religionsstreitigkeiten veruneinigt waren, lange in vollkommener Harmonie zusammenhandeln konnten. Daß sie mehrere Jahre lang wenigstens in unvollkommener Harmonie zusammenhandelten, ist lediglich der Klugheit, Geduld und Festigkeit Wilhelm’s zuzuschreiben.
Die Lage seines mächtigen Feindes war eine ganz andre. Die Hülfsquellen der französischen Monarchie kamen zwar den vereinten Hülfsquellen England’s, Holland’s, des Hauses Oesterreich und des deutschen Reichs nicht gleich, waren aber doch sehr achtunggebietend, denn sie waren alle in einer Hand vereinigt und standen alle unter der unumschränkten Leitung eines einzigen Geistes. Ludwig konnte mit zwei Worten soviel erreichen als Wilhelm kaum durch zweimonatliche Unterhandlungen in Berlin, München, Brüssel, Turin und Wien zu Stande bringen konnte. Deshalb war Frankreich in effectiver Stärke allen gegen dasselbe verbündeten Staaten zusammen gewachsen. Denn in der politischen Welt kann, wie in der natürlichen Welt, zwischen zwei ungleichen Körpern eine Gleichheit der Wirkung stattfinden, wenn der an Gewicht geringere Körper an Geschwindigkeit überlegen ist.
Dies zeigte sich bald in augenfälliger Weise. Im März trennten sich die im Haag versammelt gewesenen Fürsten und Gesandten, und kaum waren sie auseinandergegangen, so wurden alle ihre Pläne durch eine kühne und geschickte Bewegung des Feindes über den Haufen geworfen.
Belagerung und Fall von Mons
Ludwig sah wohl ein, daß die Zusammenkunft des Congresses einen großen Eindruck auf die öffentliche Meinung in Europa machen werde. Diesen Eindruck beschloß er durch einen plötzlichen und furchtbaren Schlag zu zerstören. Während seine Feinde die Zahl der Truppen, welche jeder von ihnen stellen sollte, festsetzten, ließ er zahlreiche Divisionen seiner Armee von weit entfernten Punkten gegen Mons marschiren, das eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste der Festungen war, welche die spanischen Niederlande vertheidigten. Sein Vorhaben wurde erst entdeckt, als es fast schon ausgeführt war. Wilhelm, der sich auf einige Tage nach Loo zurückgezogen hatte, erfuhr mit Erstaunen und mit größtem Verdrusse, daß sich Cavallerie, Infanterie, Artillerie und Pontons auf verschiedenen convergirenden Straßen der dem Verderben geweihten Stadt rasch näherten. Es waren hunderttausend Mann zusammengezogen worden, und Louvois, im Verwaltungsfache der Erste seiner Zeit, hatte reichlich für alle Kriegsbedürfnisse gesorgt. Das Commando führte Luxemburg, der erste der lebenden Generäle, und die wissenschaftlichen Operationen leitete Vauban, der erste der lebenden Ingenieurs. Damit nichts fehlte, um in allen Reihen eines tapferen und loyalen Heeres einen edlen Wetteifer zu entzünden, war der große König selbst von Versailles nach dem Lager abgereist. Wilhelm hatte indessen noch eine schwache Hoffnung, daß es möglich sein könne, die Belagerung aufzuheben. Er eilte nach dem Haag, setzte alle Truppen der Generalstaaten in Bewegung und schickte Eilboten an die deutschen Fürsten. Schon drei Wochen nachdem er die erste Kunde von der drohenden Gefahr erhalten, stand er an der Spitze von funfzigtausend Mann Truppen verschiedener Nationen in der Nähe der belagerten Stadt. Eine an Zahl überlegene, von einem Feldherrn wie Luxemburg befehligte Armee anzugreifen, war ein kühnes, fast verzweifeltes Unternehmen. Wilhelm aber war so entschieden der Meinung, daß der Fall von Mons ein fast nicht wieder gutzumachendes Unglück und eine unauslöschliche Schmach sein würde, daß er sich entschloß, sein Heil zu versuchen. Er war überzeugt, daß der Ausgang der Belagerung die Politik der Höfe von Stockholm und Kopenhagen bestimmen werde. Diese beiden Höfe schienen seit Kurzem geneigt, der Coalition beizutreten; wenn aber Mons fiel, blieben sie gewiß neutral oder wurden vielleicht gar Feinde. „Es ist ein großes Wagniß,” schrieb er an Heinsius, „doch bin ich nicht ohne Hoffnung. Ich werde thun was möglich ist, der Ausgang liegt in Gottes Hand.” An dem nämlichen Tage, an welchem dieser Brief geschrieben wurde, fiel Mons. Die Belagerung war energisch betrieben worden. Ludwig selbst war, obgleich am Podagra leidend, mit dem Beispiele körperlicher Anstrengung vorangegangen. Seine Haustruppen, das schönste Soldatencorps in Europa, hatten unter seinen Augen sich selbst übertroffen. Die jungen Cavaliere seines Hofes hatten seinen Blick auf sich zu lenken gesucht, indem sie sich dem heftigsten Feuer mit der nämlichen sorglosen Heiterkeit aussetzten, mit der sie gewohnt waren, ihre eleganten Gestalten bei seinen Ballfesten zu zeigen. Seine verwundeten Soldaten waren entzückt über die herablassende Leutseligkeit, mit der er zwischen ihren Betten umherging, den Chirurgen beim Verbinden der Wunden zusah und zum Frühstück einen Napf Hospitalsuppe aß. Während bei den Belagerern Alles Gehorsam und Begeisterung war, herrschte unter den Belagerten Uneinigkeit und Angst. Die französischen Vorpostenlinien versahen ihren Dienst so gut, daß kein von Wilhelm abgesandter Bote im Stande war, sich durchzuschleichen. Die Garnison wußte daher nicht, daß Entsatz in ihrer Nähe war. Die Bürger schauderten bei der Aussicht auf die entsetzlichen Drangsale, denen mit Sturm genommene Städte preisgegeben sind. In den Straßen regnete es Bomben und glühende Kanonenkugeln, und die Stadt gerieth an zehn verschiedenen Stellen zugleich in Brand. Die friedlichen Bewohner fanden in dem Uebermaaß ihrer Angst einen ungewöhnlichen Muth und erhoben sich gegen die Soldaten. Von diesem Augenblicke an war jeder Widerstand unmöglich, und es wurde daher eine Kapitulation geschlossen. Dann kehrten die Armeen in ihre Quartiere zurück und die militärischen Operationen ruhten einige Wochen; Ludwig kehrte im Triumph nach Versailles zurück und Wilhelm machte England, wo seine Anwesenheit dringend nöthig war, einen kurzen Besuch. 9 9 London Gazette vom 26. März bis 13. April 1691; Monthly Mercury vom März und April; Wilhelm’s Briefe an Heinsius vom 18. und 29. März und 7. und 9. April; Dangeau’s Memoiren; The Siege of Mons, eine Tragikomödie 1691. In diesem Drama überreden die Geistlichen, welche im französischen Interesse handeln, die Bürger zur Uebergabe der Stadt. Dieser Verrath ruft die Aeußerung des Unwillens hervor: „O, Priesterthum, o Krämerstand, wie schwächet ihr Der Menschen Muth!”
Читать дальше