Adolf Mützelburg - Pocahontas

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Adolf Mützenburg

Pocahontas Ein historisches Gemälde

Ihr steigt hinab in den Schacht der Erde, Ihr forscht emsig in dem glitzernden Gestein, Ihr findet endlich irgend eine neue Spur längst untergegangener Schöpfungen – und hoch erfreut zeigt Ihr die Stein gewordene Pflanze, das verhärtete Thier den Blicken der Kundigen und der Laien, und Beide freuen sich über die wunderbare Formenschönheit, die auch damals schon die Schöpfung entfaltete.

Oder Ihr durchforscht die Tiefe des Meeres, schweift mit dem Geiste durch die Wälder »voll Nacht und Grauen«, und überrascht findet Ihr auch hier eine neue seltsame Schönheit, abenteuerliche Gestaltungen der schaffenden Natur, die Ihr freudig hinauf an das Licht des Tages fördert, um sie den Augen der staunenden Menge zu offenbaren.

So laßt auch mich denn hinabsteigen in die Fluth der Vergangenheit, wenn auch nicht als der Erste, als der Kühnste. Laßt mich auf einsamen, gemiedenen Fluren der Geschichte nach seltenen Blüthen, laßt mich in dem Strom der Zeiten nach vereinzelten und vergessenen Perlen suchen! Und wenn ich sie glücklich gefunden, so wendet Euch nicht ab. Noch giebt es Wunderbares genug, von dem die ernsten Forscher sich nichts träumen lassen! Folgt mir, Ihr einfachen, leicht bewegten Seelen, die Ihr gern dem Seltsamen lauscht, – folgt mir, Ihr prüfenden Gelehrten, die Ihr alle Reiche des Geistes erforscht zu haben glaubt! Ich will Euch ein altes Mährchen erzählen, das volle Wahrheit ist, – ich will Euch eine Blüthe zeigen, die um so köstlicher duftet, weil sie, wie die schönste ihres Gleichen, bisher im Dunkel geblüht —ich will Euch eine neue Geschichte von einem Edelstein und einer Perle berichten, die ich wieder ausgefunden: von dem Edelstein, John Smith, und von Pocahontas, der Perle Virginiens, wie sie damals schon genannt wurde.

Also folgt mir! —

Wir schweben über den atlantischen Ocean mit den Flügeln des Geistes, und unsere Phantasie führt« uns zurück in den Anfang des siebzehnten Jahrhunderts.

Wir verlassen das hohe Meer und eine grüne, lachende Küste, sanft anschwellende Hügel empfangen uns. Ein breiter Meeresarm durchbricht diese Hügel und zieht sich als eine tiefe Bai hinein in das Land. Der Anblick ist bezaubernd in seiner einfachen Anmuth. Er bietet nicht die üppige, verführerische und gefährliche Pracht der Tropen, nicht die glühende, stolze Hoheit der Küsten Italiens, nicht die trotzige Schroffheit der wild zerklüfteten Fjorden Norwegens. Klar und rein, in den schönsten Linien, erheben diese Hügel sich zu beiden Seiten der meergrünen Fluth, sanft anschwellend, liebliche Thäler bildend, saftig-grüne Wiesen begrenzend, und bedeckt mit den schönsten Laubwäldern, die nur je die gütige Natur dem Boden der gemäßigten Zone abgewann. In tiefster Ruhe liegen sie da, in der Ferne von bläulichem Duft umhüllt. Nirgends zeigt sich ein Book, ein menschliches Wesen. In seiner Ruhe, seiner anmuthigen Schönheit gleicht dieser Anblick dem Bilde einer keuschen, sittigen Jungfrau germanischen Stammes. Und jungfräulich ist diese Erde, wie das Bild, dem sie gleicht. Es sind die Küsten Virginiens , die sich uns offenbaren. Es ist die herrliche Bai von Chesapeake , über die wir dahinschweben.

Noch scheint die Bai sich weiter auszudehnen, bis in’s Unendliche. Aber die veränderte Farbe, die uns entgegeneilende Strömung, die schmalen Ufer künden, daß wir uns auf einem Flusse befinden. Es ist der James-River, einer der kleinsten, aber der schönsten Flüsse Nordamerika’s, dessen Ufer mit denen der Elbe, des Rheines und der Donau wetteifern.

Wiesen und Wald, Grün überall, umgeben uns. In saftigster Frische neigen die Gräser, die Blätter der Bäume selbst, sich tief niederbeugend hinab zu der blauen Fluth. Im verschiedensten Grün leuchten die Kronen der Laubhölzer, unter ihnen die ernsten Wipfel der mannichfaltigsten Eichen. Zuweilen treten die Wälder zurück, um den Blick auf glänzende Wiesen freizulassen. Zuweilen erheben sich die Hügel zu der Höhe stattlicher Berge, den Strom einzwängend. Hin und wieder tritt malerisch ein Felsen hervor und spiegelt sich ernst in der Fluth. Und darüber wölbt sich der Himmel in milder deutscher Bläue, weht dieselbe frische Luft, in der die Kinder der gemanischen Stämme stark geworden.

Da zeigt sich eine freie Fläche am Ufer und auf dieser erheben sich die ersten Hütten. Keine Indianerhütten, keine Wigwams, aber vielleicht noch ärmlicher, noch einfacher. Europäer mit Lederkollern und breitkrempigen Hüten schweifen um dieselben herum, theils müßig, theils mit den ersten Einrichtungen einer Kolonie beschäftigt. Es sind Engländer, die unter der Führung Edward Maria Wingfield’s, Robert Hunt’s und John Smith’s hierher gekommen, die ersten Abenteurer, die es gewagt, nach Raleigh’s unglücklicher Expedition von Roanoke eine Kolonie in dem neugefundenen Nord-Amerika zu gründen. Sie sind es, die dem Flusse den Namen James-River und ihrer ärmlichen Ansiedelung den Namen James-Town gegeben haben.

Aber wir fliegen an ihnen vorüber, um später zu ihnen zurückzukehren. Den breiten Strom zu unsrer Linken lassend, wenden wir uns nach Nordwesten, einem schmaleren Flusse zu.

Es ist der Chickahominy. Dieselben Wälder umgeben ihn, nur noch dichter an das Ufer herantretend, noch tiefer, noch dunkler, noch ursprünglicher.

Plötzlich unterbrechen menschliche Laute die tiefe Stille. Ruderschläge ertönen, Boote tauchen vor uns auf. Wieder sind es Europäer. Sie rudern den Fluß hinauf, der hier bereits seicht und durch Baumstämme versperrt ist. Auf den ersten Blick erkennen wir Genossen jener Engländer in James-Town.

Ein einzelner Mann erhebt sich in einem der Boote. Ein Kommandowort ertönt. Die Boote lenken dem Ufer zu.

Jener Führer ist der Erste, der an das Ufer springt. Im Augenblick fesselt seine Gestalt, sein Wesen unsere Aufmerksamkeit. Es ist ein Mann in der ersten Blüthe des Lebens, noch nicht dreißig Jahre alt, hoch, kräftig, mit fliegendem goldblonden Haar, blauen und doch feurigen Augen, Muth, Energie, Zuversicht und Heiterkeit in seiner Miene, ein Mann, untadelhaft in seinem Wuchs und unwiderstehlich in seinem Wesen, ein ächter Normanne vom Scheitel bis zur Zehe – es ist John Smith, unser Liebling, unser Held.

Ein würdiger Genosse Götz von Berlichingen’s, Schärtlin von Burtenbach’s, Gonzalvo de Cordova’s und Bayard’s – wie ihn einer seiner Bewunderer nennt – hat er dennoch nicht das Loos jener Helden erreicht. Sein Name lebt nicht, wie der jener kühnen Männer, im Munde der Nachwelt. Verborgen und vereinzelt erwähnt irgendwo ein Geschichtsschreiber des kühnen Mannes, und der Forscher, den die flüchtige Erwähnung seiner Herkulesthaten mit Staunen und Bewunderung erfüllt, muß zu jenen verblichenen Quart- und Foliobänden zurückkehren, in denen John, jenen Helden gleich, die Geschichte seines Lebens selbst beschrieben. Dann aber entrollt sich ihm das Bild eines Muthes, einer Heldenstärke, einer Mannichfaltigkeit der verworrensten und seltsamsten Abenteuer, die beinahe zum Zweifel zwingt und endlich zu um so größerer Bewunderung hinreißt, wenn andere Zeugnisse die Wahrheit jener Thaten bestätigen. Unwillkürlich muß man in das begeisterte Lob ausbrechen, das ihm Bancroft, der besonnene und ernste Geschichtschreiber Amerika’s spendet, der ihn den ,,Abenteurer von seltenem Genie und unsterblichem Ruhm«, den »Vater Virginiens« nennt, und die Erzählung seiner Bemühungen um die erste Kolonisation jenes Landes mit den Worten schließt: ». . . Schmerzhafte Wunden und die Undankbarkeit seiner Oberen waren der Lohn für seine Dienste. Für alle Opfer, die er gebracht, für alle Gefahren, die er bestanden, erhielt er keinen Fuß Landes, nicht das Haus, das er selbst gebaut, nicht das Feld, das er mit eigenen Händen bepflanzt, keine andere Belohnung, als den Beifall seines eigenen Gewissens und der Welt.

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