»Natürlich wird es für dich nicht leicht ohne dein Kind«, meinte Gloria. »Aber du musst bedenken, dass es ja nur zu seinem Besten ist.«
Albina dachte darüber nach, was ihre Freundinnen ihr gesagt hatten. »Ihr habt recht, er braucht Gesellschaft. Ich werde mit Donald darüber reden.«
Donald sagte, es wäre sehr teuer.
»Internate kosten ein Vermögen. Aber ich glaube, es wäre gut, um seinen Charakter zu formen. Dieses Theater, das er da wegen dieses dämlichen Hundes gemacht hat, lässt mich für seine Zukunft das Schlimmste befürchten. Wenn ich jedes Mal bei einem Geschäft meinen Gefühlen freien Lauf lassen würde, wo wäre ich dann heute wohl?«
»Natürlich werde ich ihn vermissen«, sagte Albina. »Sehr sogar. Aber er ist so schrecklich launisch zurzeit. Außerdem werden wir sowieso bald umziehen. Ich hab ein Haus gesehen mit einem Swimmingpool im Keller und einem Billardzimmer. Nicht dass wir Billard spielen würden, aber man weiß ja nie. Das wird mich auf jeden Fall sehr in Anspruch nehmen.«
Donald interessierte sich nicht für Albinas Umzugspläne. Er war schon daran gewöhnt, alle paar Jahre umzuziehen, genauso wie er daran gewöhnt war, sein Auto zu wechseln. Außerdem expandierte seine Firma gerade in Asien. Er würde noch mehr unterwegs sein als sonst und war froh, wenn Henry dann gut untergebracht war.
Jeder Vater, der auf sich hält, will für seine Kinder das Beste.
8. Kapitel
Das Haus am Meer
»Wir haben eine Postkarte von Henry bekommen«, sagte Alec Fenton, als er ins Haus kam und den Dreck von seinen Stiefeln abklopfte. Vom Ufer, wo sein Dinghi vertäut lag, bis zum Haus waren es nur wenige Schritte, aber in der Nacht hatte es geregnet und der Weg war schlammig.
Seine Frau Marnie, die gerade auf dem Küchentisch Brotteig knetete, wischte sich die Hände an der Schürze ab und sagte lächelnd: »Wie schön. Lass mal sehen.«
Es war zwar schon lange her, seit sie in London gewesen waren, um Sohn und Schwiegertochter zu besuchen, aber sie sprachen oft von Henry und hielten große Stücke auf ihn.
»Das sind ja mal gute Nachrichten!«, rief Marnie, die über die Schulter ihres Mannes die Karte las. »Er hat einen Hund bekommen! Ich hab doch immer gesagt, dass das genau das ist, was Henry braucht.«
Alec nickte. »In diesem Museum aufzuwachsen ist doch kein Leben für einen Jungen.«
Er schaute aus dem Fenster ihres kleinen Fischerhauses. Es war gerade Ebbe und der Sandstrand erstreckte sich in einer goldenen Kurve bis zum Meeressaum.
Ein Kormoran stürzte sich von einem Felsen herab ins Meer und tauchte mit einem Fisch im Schnabel wieder auf. Möwen kreisten. Alecs Fischerboot, die Peggotty , lag am Ufer, bereit, um für einen abendlichen Fischzug wieder in See zu stechen.
»Scheint so, als sei Albina endlich ein Licht aufgegangen«, sagte Marnie. »Wenn sie Henry einen Hund erlaubt, kann sie ja so schlimm nicht sein. Vielleicht waren wir voreilig in unserem Urteil.«
Der Besuch bei ihrem Sohn und dessen Frau war so fürchterlich gewesen, dass sie ihn nie wiederholt hatten.
Beim Anblick ihrer altmodischen Koffer hatte Albina nur die Nase gerümpft. Und als Marnie in die Küche gegangen war, um sich bei dem Dienstmädchen für das leckere Essen zu bedanken, hatte sie schmerzlich das Gesicht verzogen und gemeint, dass das Mädchen schließlich fürs Kochen bezahlt werden würde.
Und ihr Sohn Donald war praktisch nie da gewesen. Ständig flog oder fuhr er irgendwo in der Weltgeschichte herum, und wenn er zu Hause war, hingen ihm Strippen aus den Ohren und er sprach mit Moskau oder New York anstatt mit den Menschen im gleichen Raum.
Früher war Donald ein ganz normaler netter kleiner Junge gewesen. Er hatte seinem Vater mit den Hummerfallen geholfen und auf dem Feld gearbeitet. Seine Eltern hatten gehofft, er würde später einmal ihr Land und das Fischerboot übernehmen.
Doch nachdem er ein Stipendium für ein teures Internat bekommen hatte, hatte Donald sich verändert. Er fing an, abfällige Bemerkungen über ihr Haus zu machen, darüber, wie klein und schäbig es war, und wollte wissen, warum sie statt des keuchenden alten Lieferwagens nicht ein richtiges Auto hätten. Nach der Schule war er dann nach London gegangen, um dort sein Glück zu machen.
Und er hatte sein Glück gemacht. Zumindest wenn Glück darin besteht, in einer Villa zu leben, in der die Wasserhähne so glänzen, dass man Kopfschmerzen davon bekommt, das Essen so aussieht, als sollte es jeden Augenblick für ein Hochglanzmagazin fotografiert werden, und es nirgendwo etwas Lebendiges gibt, nicht mal eine winzige Spinne.
Aber Henry war anders. Er war ein liebenswerter, lustiger kleiner Junge. Alec und Marnie hätten ihn auf der Stelle bei sich aufgenommen, wenn das möglich gewesen wäre. Vor allem, als sie gemerkt hatten, wie einsam der Kleine war.
Aber nun würde es ihm endlich gut gehen. Es gab nichts Besseres gegen Einsamkeit als einen Hund. Sie hatten nur noch ihren alten Labrador, aber sie konnten sich ein Leben ohne Hund nicht vorstellen.
»Er könnte uns doch mit Fleck besuchen kommen«, sagte Alec.
Also schrieben sie Henry einen Brief, nicht nur eine Karte. Darin stand, dass sie ihn und Fleck gern einladen würden. Henry sei nun ja schon alt genug, um allein zu reisen, und die Fahrt sei auch nicht schwierig. Er müsse nur einen Zug bis Berwick nehmen, da würden sie ihn und Fleck mit dem Lieferwagen abholen.
Henry erhielt den Brief an dem Tag, an dem er mit seiner Mutter die Schuluniform für das Internat kaufte.
9. Kapitel
Die Hundebefreiung
Jeden Monat ließ Mr Carker einen Werbeprospekt von Rent-a-Dog drucken, der den Tageszeitungen beilag. Die Werbung war sehr aufwendig und zeigte Fotos von besonders schönen oder seltenen Hunden, die ausgeliehen werden konnten. Im neuesten Prospekt wurde auch der Tottenham-Terrier erwähnt, eine neue Züchtung, von der es in England nur sehr wenige Exemplare gab. Rent-a-Dog wäre die einzige Agentur, bei der man diesen Hund bekäme.
Dieser Prospekt fiel einer gewissen Miss Gertie Gorland in die Hände, einer großen dünnen Frau, die mit ihrem Bruder Harold zusammenlebte, der ebenfalls groß und dünn war.
Den Gorlands gehörte ein Hotel am Meer, das schlecht lief, außerdem eine Wäscherei, die schlecht lief, und ein Lebensmittelladen, der nicht nur schlecht lief, sondern gerade pleitegegangen war. Als sie nun die Werbung von Rent-a-Dog sahen, hatten sie die Geschäftsidee.
»Wir könnten doch Tottenham-Terrier züchten«, sagte Gertie. »Wenn sie so selten sind, zahlen die Leute bestimmt ein Vermögen für die Welpen.«
Also gingen sie zu Rent-a-Dog , um sich den Tottenham-Terrier für ein paar Stunden auszuleihen. Sie wollten sichergehen, dass diese neue Züchtung nicht bösartig oder aggressiv Fremden gegenüber wäre.
Doch als sie vor Flecks Käfig standen, hatten sie keinerlei Bedenken mehr. Er lag zusammengerollt in seinem Käfig und schaute kaum zu ihnen hoch. Kayley legte ihm Halsband und Leine um und er folgte Gertie und Harold brav auf die Straße hinaus. Um die Wahrheit zu sagen, es war ihm herzlich egal, mit wem er wohin ging.
Die Gorlands waren noch nicht sehr weit gekommen, als sie merkten, dass ein Tottenham-Terrier nicht unbedingt als Modehund durchging. Niemand hielt an und fragte, woher sie diesen reizenden kleinen Hund hatten, keiner drehte sich nach ihnen um und jetzt bei Tageslicht konnten sie auch sehen, dass der Terrier wahrhaftig keine Schönheit war mit seinen kurzen Beinen und den Fledermausohren.
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