Land. Sie hatten es geschafft.
Elden und die anderen gingen zum Anker und gemeinsam wuchteten sie ihn von Bord. Sie kletterten an der Kette hinunter und hatten endlich wieder festen Boden unter den Füssen.
Thor seufzte, als seine Füße den Boden berührten. Es fühlte sich so gut an - trockenes, unbewegtes Land! Es würde ihm nichts ausmachen, nie wieder ein Schiff zu besteigen.
Alle ergriffen die Taue und zerrten das Boot so weit an Land wie sie nur konnten.
„Denkst du, dass die Gezeiten es davonziehen werden?“, fragte Reece und sah zum Boot auf.
Thor sah es an und es schien sicher und fest am Strand zu liegen.
„Nicht mit diesem Anker.“, erklärte Elden.
„Die Gezeiten werden es nicht nehmen.“, stellte O’Connor fest. „Die Frage ist vielmehr, ob jemand anderes es vielleicht tun wird.“
Thor warf einen letzten Blick auf das Schiff und erkannte, dass sein Freund Recht hatte. Selbst wenn sie das Schwert finden konnten, würden sie vielleicht zu einer leeren Küste zurückkehren.
„Und wie kommen wir zurück?“, fragte Conval.
Thor konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass sie mit jedem Schritt, den sie taten, die Brücken hinter sich abbrachen.
„Wir werden schon einen Weg finden.“, sagte Thor. „Es muss ja schließlich im Empire andere Schiffe als unseres geben, nicht wahr?“
Thor versuchte autoritär zu wirken um seine Freunde zu beruhigen. Doch tief in seinem inneren war er selbst nicht so sicher. Diese ganze Reise schien ihm immer wenige unter einem guten Stern zu stehen.
Sie sahen auf die Baumgrenze. Es war eine Wand aus Blättern, mit nichts als Finsternis dahinter. Die Laute der Tiere um sie herum hoben zu einer wahren Kakophonie an. So laut, dass Thor kaum klar denken konnte. Es war, als ob jedes Tier des Empire zu ihrer Begrüßung schreien würde.
Oder um sie zu warnen.
*
Thor und die anderen wanderten Seite an Seite, argwöhnisch und wachsam, durch den dicken tropischen Urwald. Es fiel Thor schwer einen klaren Gedanken zu fassen, so laut und anhaltend waren die Schreie und das Orchester der Insekten und Tiere um ihn herum. Doch wenn er in die Schwärze des Waldes blickte, konnte er sie nicht sehen.
Krohn folgte ihm und knurrte, das Haar auf seinem Rücken aufgestellt. Thor hatte ihn noch nie so wachsam erlebt. Er sah hinüber zu seinen Waffenbrüdern und sah dass sie alle, genauso wie er eine Hand am Schwertknauf hatte. Auch sie waren aufs Äußerste angespannt.
Sie liefen schon seit Stunden, tiefer und tiefer in den Urwald hinein und die Luft wurde nur wärmer und dicker, noch feuchter, und das Atmen fiel schwer. Sie waren den Spuren von etwas gefolgt, was wohl einmal ein Weg gewesen war, ein paar abgebrochene Äste ließen darauf schließen, dass die Diebe vielleicht hier entlang gekommen waren. Thor hoffte nur, dass dies wirklich ihre Spuren waren.
Er blickte voller Ehrfurcht über die Natur auf. Alles war in epischen Ausmaßen überwuchert, viele der Blätter waren so groß wie er selbst. Er fühlte sich wie ein Insekt in einem Land von Riesen. Er sah eine Bewegung hinter ein paar Blättern, konnte aber nichts erkennen. Er hatte das eigenartige Gefühl, dass sie beobachtet wurden.
Der Weg vor ihnen endete plötzlich vor einer dichten Wand von Blättern. Sie blieben stehen und blickten einander verwundert an.
„Ein Weg kann doch nicht einfach so verschwinden!“, sagte O’Connor und schien verzweifelt.
„Ist er auch nicht.“, erklärte Reece und untersuchte die Blätter. „Der Urwald hat ihn sich zurückgeholt.“
„Wohin sollen wir dann jetzt gehen?“, wollte Conval wissen.
Thor blickte sich um und fragte sich dasselbe. Egal wohin er sah, sie waren von dichtem Blattwerk umgeben aus dem es keinen Weg heraus zu geben schien. Thor wurde bange ums Herz und er fühlte sich in zunehmendem Masse verloren.
Dann hatte er eine Idee.
„Krohn.“, sagte er und kniete sich hin um in sein Ohr zu flüstern. „Klettere auf den Baum da. Sei unsere Augen und sag uns wo wir hin müssen.“
Krohn schaute mit treuen Augen zu ihm auf und Thor wusste, dass er ihn verstanden hatte.
Krohn nahm Anlauf und sprintete auf einen riesigen Baum, mit einem Stamm so dick wie zehn Männer, zu und mit einem riesigen Satz sprang er daran hoch und kletterte von Ast zu Ast bis fast nach ganz oben. Er schob sich bis zur Spitze des Astes vor und hielt mit aufgestellten Ohren Ausschau. Thor hatte schon immer geglaubt, dass Krohn ihn verstehen konnte, doch jetzt war er sich sicher.
Krohn duckte sich und gab einen seltsamen schnurrenden Laut von sich, sprang flink über die Äste wieder herunter und lief los. Die Jungen tauschten zunächst verwunderte Blicke aus und folgten dann Krohn tiefer in den Urwald hinein. Sie mussten sich mühsam ihren Weg durch das dichte Blattwerk bahnen.
Nach ein paar Minuten, in denen sie fast blind durch den Wald tasteten entdeckte ein sehr erleichterter Thor den schon verlorengeglaubten Weg, und die abgebrochenen Äste wiesen ihnen wieder den Weg den die andere Gruppe gegangen sein musste. Thor beugte sich zu Krohn herunter und gab ihm einen Kuss auf den Kopf.
„Keine Ahnung, was wir ohne ihn tun würden“, erkannte Reece.
„Ich auch nicht!“, antwortete Thor, und Krohn schnurrte zufrieden und es erschien fast so, als ob er stolz war.
Als sie tiefer in den Urwald vordrangen und sich ihren Weg durch das dicht gewachsene Unterholz bahnten, kamen sie in eine Gegen mit neuen Pflanzen. Sie hatten die Größe eines ausgewachsenen Mannes und blühten überall um sie herum. Die Farbenpracht war hypnotisch. Es gab Bäume mit Früchten in der Größe von Felsbrocken, die von ihren riesigen Ästen hingen.
Sie blieben stehen und bestaunten diese Wunder der Natur während Conval sich nach einer besonders leuchtend roten Frucht streckte.
Plötzlich hörten sie ein tiefes Knurren. Conval sprang zurück und griff sein Schwert und sie sahen sich nervös an.
„Was war das?“, fragte Conval.
„Es kam von da drüben.“, sagte Reece und deutete in die andere Richtung.
Sie wandten sich um schauten. Doch Thor konnte nichts außer Blättern erkennen. Krohn fauchte zurück. Das Knurren wurde lauter, anhaltender, und schließlich hörten sie Blätter rascheln.
Thor und die anderen traten zurück und zogen in Erwartung des Schlimmsten ihre Schwerter.
Was ihnen da aus dem Urwald entgegenkam übertraf selbst Thors schlimmste Erwartungen. Vor ihnen stand ein Insekt, das einer Gottesanbeterin oder Heuschrecke ähnelt, jedoch fünfmal so groß war wie er. Es hatte zwei muskulöse Hinterbeine, und zwei kürzere Vorderbeine mit langen Zangen an den Enden, die in der Luft baumelten und den Scheren eines Hummers ähnelten. Es war leuchtend grün und mit schillernden Schuppen bedeckt und hatte kleine Flügel, die surrten und vibrierten. Es hatte zwei Augen dort, wo man sie erwartet hätte und ein weiteres, drittes Auge an der Nasenspitze. Es bewegte sich und enthüllte noch mehr Zangen unter seinem Hals, die vibrierten und schnappten.
Es stand vor ihnen und überragte sie und eine weitere Zange kam aus seinem Bauch hervor, an einer Art langen, dünnen hervorstehenden Arm; plötzlich und schneller als auch nur einer von ihnen reagieren konnte, schossen drei seiner zangenbewehrten Arme vor und griffen O’Connor um die Hüfte, um ihn hoch in die Luft zu heben, als wäre er leicht wie ein Blatt.
O’Connor schwang sein Schwert aber er war nicht einmal annähernd schnell genug. Das Tier schüttelte ihn ein paarmal, dann öffnete es das Maul und entblößte Reihen von scharfen Zähnen und wollte O’Connor seitwärts hineinstecken.
Angesichts eines wahrscheinlich schmerzvollen Todes schrie O’Connor. Thor erwachte aus seiner Schreckensstarre. Ohne viel zu denken platzierte er einen Stein in seiner Schleuder, zielte auf das dritte Auge des Biests und holte aus.
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