„Natürlich kannst du das“, maulte Bryn. Sie starrte wieder in ihr Glas.
Maxine hob fragend die Augenbrauen. Sie und Shelby waren Bryns Herumzickerei gewohnt, aber Keira verstand nicht, warum Bryn so besitzergreifend war. Sie hatte doch wohl das Recht auf andere Menschen in ihrem Leben. Bryn war selber sehr unabhängig und hatte ständig Freunde und Liebhaber, war permanent unterwegs, von einem Ereignis zum nächsten. Aber sobald Keira Zeit mit jemand anderem verbringen wollte, stellte sie sich an. Manchmal hatte Keira schon das Gefühl, sie sei die ältere der beiden. Bryn konnte sich manchmal wie eine verwöhnte Zicke aufführen.
„Thanksgiving ist noch so weit weg“, meinte Shelby.
„Ich weiß“, antwortete Keira. „Ich habe auch das Gefühl, kaum in New York angekommen zu sein. Es ist, als ob ich nur auf Urlaub hier gewesen wäre. Ich dachte, ich hätte mehr Zeit, um mit allem auf den neuesten Stand zu kommen. Ich habe noch nicht mal eine neue Wohnung gefunden.“
„Wo wir gerade von Wohnungen reden …“, sagte Bryn.
Sie schaute auf Keiras Handy, das auf dem Schrank lag. Der Bildschirm war erleuchtet, gerade war eine Nachricht eingetroffen. Zachs Name stand gut lesbar im Display.
„Wehe, das ist nicht wegen der Kaution, die er mir schuldet“, sagte Keira.
Shelby und Maxine tauschten einen schuldbewussten Blick und Keira bekam das unbestimmte Gefühl, die beiden hätten etwas zu verbergen.
„Was ist los?“, frage sie energisch.
Sie hatte von Überraschungen die Nase gestrichen voll.
Shelby gab schließlich alles zu. „Ich könnte mir vorstellen, dass es mit Julia zu tun hat. Sie haben sich getrennt.“
Keira hob überrascht eine Augenbraue. „Haben sie?“ Diese Affäre war der Grund für ihre Trennung gewesen und hatte nur ein paar Wochen angehalten?
Sie nahm das Telefon und las Zachs Nachricht. Shelbys Vermutung wurde bestätigt.
Hallo Keira. Lange nichts voneinander gehört. Ich wollte dir nur mitteilen, dass ich mich von Julia getrennt habe, bevor du es durch die Gerüchteküche hörst. Hat einfach nicht gepasst mir ihr. Frage mich, ob du Lust auf einen Drink hast? Heute? Morgen? Lass es mich wissen. X
„Was für ein arroganter Drecksack“, murmelte Keira.
„Was hat er denn geschrieben?“, fragte Maxine.
„Nichts darüber, dass er meine Kaution als Geisel genommen hat“, meinte Keira angewidert. „Er will mich auf einen Drink treffen.“
Bryn fiel die Kinnlade runter. „Das machst du doch wohl nicht, oder?“
Keira schaute sie schockiert an. „Natürlich nicht. Es sei denn, es ist die einzige Möglichkeit, an mein Geld zu kommen.“
Bryn schüttelte tadelnd den Kopf. „Wenn er dich erpresst, damit du mit ihm ausgehst, dann kriegt er es mit mir zu tun.“
Shelby schaute sie irritiert an. „Er erpresst sie doch nicht, übertreib doch nicht so.“
Bryn sah beleidigt aus. „Entschuldige mal, wessen Freunde seid ihr doch gleich? Seine oder Keiras?“
„Beides“, antwortete Shelby und verschränkte die Arme.
Bryn sah unbeeindruckt aus. „Obwohl er fremdgegangen ist?“
„Leute!“, rief Keira. Sie hatte keinen Bock auf Rumgezicke. Sie starrte noch immer auf ihr Handy.
Bryn nahm es ihr aus der Hand.
„Denk nicht mal dran“, sagte sie streng.
„Tue ich ja gar nicht!“, rief Keira empört.
Aber Bryn hatte recht. Ein winziger Teil von ihr hatte darüber nachgedacht. Trotz all seiner Fehler hatte Zach sie gern gehabt. Sie waren zwei Jahre zusammen gewesen, hatten zusammen gewohnt. Er war verlässlich gewesen. Und vertraut. Bloß die Tatsache, dass für sie die Karriere vor der Beziehung kam, hatte alles zunichte gemacht. Hatte einen Keil zwischen sie getrieben und ihn in die Arme von Julia.
Bryn schaute sie finster an und ließ das Handy über ihrem Weinglas baumeln.
„Bring mich nicht dazu“, sagte sie.
Aus dem Augenwinkel konnte Keira sehen, dass Shelby und Maxine über Bryns dramatische Vorstellung den Kopf schüttelten.
Sie seufzte laut. „Okay, okay. Ich werde mich nicht mit ihm treffen. Ist es das, was du hören willst?“
Bryn nickte zufrieden und gab ihrer Schwester das Handy zurück.
„Jetzt löschst du die Nachricht und dann Zachs Kontaktdaten.“
Keira atmete geräuschvoll aus.
„Das ist lächerlich“, murmelte Shelby.
Keira blickte auf das Handy und Zachs Daten. Seit Jahren waren die da gespeichert. Sie konnte das nicht einfach löschen, als habe es ihn nie gegeben.
Aber sie musste zugeben, dass Bryn durchaus recht hatte, auch wenn sie mal wieder zu sehr dramatisierte. Sich mit Zach wieder zu treffen, wäre ein Schritt zurück. Keiras Leben hatte sich in kürzester Zeit so sehr verändert, dass Zach darin wie ein Rückschritt wirkte. Sie musste nach vorn schauen. Sie musste Zach hinter sich lassen und Shane ebenfalls. Sie musste endlich lernen auf eigenen Füßen zu stehen und ihre Unabhängigkeit zu erlangen.
Entschlossen löschte sie die Kontaktdaten, sah, wie sein Name vom Display verschwand. Es fühlte sich gut an, machte sie stark. Wenn sie es jetzt noch über sich brachte, auch Shanes Daten zu löschen, dann hatte sie es geschafft. Aber dafür war der Schmerz noch zu frisch.
Keira schaute ihre Schwester an.
„Glücklich?“
Bryn grinste. „Sicher. Ich bin immer glücklich, wenn ich gewinne. Und ich sorge dafür, dass ich immer gewinne“, fügte sie verschlagen hinzu.
Shelby stöhnte auf. Maxine vergrub ihr Gesicht in den Händen und schüttelte theatralisch mit dem Kopf. Keira lachte einfach, glücklich und erleichtert, dass sie einen weiteren Schritt nach vorne in ihrem Leben gemacht hatte.
Keira musste schnell feststellen, dass es gar nicht so leicht war, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Und es würde weit mehr dazu gehören, als nur ein paar Kontaktdaten vom Handy zu löschen. Denn sobald sie am nächsten Morgen auf dem Weg zum Flughafen war, wurde sie von Erinnerungen an Shane und an Irland eingeholt.
Sie wurde geradezu von Nostalgie überwältigt, als sie durch die Flughafenhalle ging. Als sie ihren Bordpass überreichte, erinnerte sie sich lebhaft an all die Gefühle, die sie beim letzten Mal überkommen hatten, die Anspannung, gemischt mit Aufregung und Hoffnung. Das war noch gar nicht lange her, aber dennoch hatte sie das Gefühl, ein vollkommen anderer Mensch zu sein, trauriger und verbitterter.
Sie ging an Bord und suchte sich ihren Platz. Zum Glück saß sie am Fenster, was ihr als willkommene Ausrede diente, um nicht mit dem Passagier neben ihr ins Gespräch kommen zu müssen. Sie war nicht in der Stimmung für Geplauder. Dummerweise war der Mann aber sehr wohl in der Stimmung dafür. Sie waren gerade erst in der Luft, als er sich schon zu ihr herüber beugte und anfing zu reden.
„Garrett heiße ich. Waren Sie schon mal in Neapel?“, fragte er und grinste gut gelaunt.
Er war ein Mann mittleren Alters, mit dem Ansatz einer Glatze. Offenbar reiste er allein. Keira bemerkte, dass er keinen Ehering trug, aber ein schmaler Streifen blasser Haut verriet, dass das erst seit kurzem der Fall war. Frisch geschieden, vermutete sie und stöhnte innerlich. Das würden verdammt lange acht Stunden.
„Nein“, antwortete sie knapp.
„Warum fliegen Sie heute hin? Geschäftlich oder Vergnügen?“
Keira sank tiefer in ihren Sitz. „Geschäftlich“, antwortete sie. „Ich …“
Sie hielt inne und erinnerte sich daran, was Bryn und Nina ihr im Coffeeshop geraten hatten. Eine falsche Identität anzunehmen. Das war jetzt genau das Richtige. Und vielleicht sogar unterhaltsam. „Ich bin Weinkennerin“, sagte sie. „Die Beste in der Branche. Ich bin auf dem Weg nach Italien, um ein paar besondere Flaschen aufzuspüren.“
Garrett hob überrascht die Augenbrauen. „Das klingt nach einer Menge Spaß. Jedenfalls deutlich unterhaltsamer als mein eigener verdammter Job.“
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