Sie dekorierten die Flure und gingen ins Esszimmer, wo sie funkelnde Schneeflocken auf allen Tischen platzierten und die Herbstthemen durch Winterthemen ersetzten. Es sah wunderschön aus und Emily wurde noch aufgeregter wegen Weihnachten.
Aber die Aufregung reichte nicht aus, um sie davon abzuhalten zu gähnen. Die Dekorationsarbeiten waren ziemlich anstrengend und sie hatte in letzter Zeit nicht mehr so viel Energie wie sonst.
„Ich muss mich ein bisschen ausruhen”, gestand sie. „Wenn ich im Ballsaal mitmache, könnte ich dabei einschlafen!”
Sie bemerkte, dass Amy und Chantelle gegenseitig schelmische Blicke austauschten.
„Was ist los?”, fragte sie und legte die Hände auf ihre Hüften.
„Nichts”, sagte Amy in einem Ton, der das Gegenteil nahelegte.
„Können wir es ihr zeigen?”, fragte Chantelle Amy.
„Es liegt an dir. Du bist diejenige, die wollte, dass es eine Überraschung ist.”
„Mir was zeigen?”, fragte Emily nach.
Aber Chantelle und Amy redeten nur miteinander. Sie wurde ungeduldig.
„Leute, ich möchte wissen, was das für eine Überraschung ist!”, jammerte sie.
„Okay”, sagte Chantelle. „Komm mit.”
Sie nahm ihre Hand und führte sie in den niedrigen Flur, der in den Ballsaal mündete. Aber anstatt geradeaus zu gehen, bog sie nach rechts ab, entlang des noch kleineren Durchgangs, der bis zu den Nebengebäuden und der Garage führte. Sie blieben an einer der Türen stehen.
Emily runzelte die Stirn, sie war so neugierig.
„Wir waren nicht sicher, wo wir das machen könnten”, sagte Chantelle. „Weil wir nicht eines der Pensionszimmer nehmen wollten. Dann hat Amy eines der Nebengebäude vorgeschlagen. Also ...“ Sie machte eine Pause für einen dramatisches Effekt und öffnete dann die Tür.
Emily blinzelte und keuchte. Der kleine Raum war komplett umgebaut worden. Statt freigelegter Ziegelmauern war er verputzt und gelb gestrichen worden. Statt des Zementbodens war Vinyl ausgelegt worden und darüber lag ein flauschiger Teppich. Der Raum war voller Lichter - Nachtlichter und Lichterketten und sich drehende Musiklichter, die Sterne auf die Wände projizierten.
„Was ist das?“, fragte Emily verblüfft.
„Das Spielzimmer!“, rief Chantelle aus.
Dann sprach Amy. „Wir dachten, dass es schön wäre, wenn die Mädchen abseits vom Rest der Pension einen Platz zum Spielen hätten. Irgendwo, wo sie so viel Lärm machen können, wie sie wollen, ohne die Gäste zu stören. Und irgendwo, wo sie ihre Spielsachen aufbewahren können, damit sie nicht überall rumliegen.“
Emily war so berührt. Das Zimmer war schön. Es musste jetzt nur noch mit Spielzeug gefüllt werden!
„Ich liebe es, vielen Dank, Leute“, sagte sie und umarmte abwechselnd Amy und Chantelle.
Sie gingen zurück ins Wohnzimmer, damit Emily sich ausruhen konnte, bevor sie mit der restlichen Dekoration weiter machten. Sobald sie sich erholt fühlte, nahmen sie die Mammutaufgabe, den Ballsaal zu schmücken, in Angriff.
„Du weißt, dass noch etwas fehlt, oder?“, fragte Emily, nachdem sie die letzten Lichterketten aufgereiht hatte.
„Was denn?“, fragte Chantelle.
„Ein Weihnachtsbaum!“, rief Emily.
Chantelles Augen wurden groß. „Ja sicher. Aber wir brauchen mehr als einen, nicht wahr? Wir brauchen einen für den Ballsaal und einen für den Flur. Und einen fürs Trevor‘s. Und das Spa. Und das Restaurant.“
„Klingt so, als ob du einen ganzen Wald brauchst“, scherzte Amy.
„Wie wäre es, wenn wir alle morgen in den Wald gehen?“, schlug Emily vor. „Yvonne hat mir von einer tollen Weihnachtsbaumfarm außerhalb der Stadt erzählt. Es ist nicht die, bei der wir letztes Jahr waren, diese hier soll wirklich riesig sein. Wir könnten einen Tagesausflug daraus machen.“
„Kann Oma Patty auch mitkommen?“, fragte Chantelle.
Emily schüttelte den Kopf. „Sie muss heute wieder fahren“, sagte sie.
Chantelle machte einen niedergeschlagenen Eindruck. Emily hasste es, sie traurig zu sehen.
„Warum fragst du sie nicht?“, schlug sie vor.
Patricia hatte sie mit ihrem Besuch überrascht. Vielleicht würde sie noch bleiben, wenn sie klarstellen würden, dass sie sie auch haben wollten.
Chantelle verließ den Ballsaal und rannte den Korridor entlang, wo sich Patricia im Wohnzimmer ausruhte.
„Oma Patty!“, schrie Chantelle. Ihre Stimme war laut genug, dass selbst sie sie hören konnte, als sie durch das Haus watschelte und versuchte, sie einzuholen. „Kannst du morgen mit uns Weihnachtsbäume kaufen gehen?“
Emily betrat das Wohnzimmer, in dem Moment als Patricia den Kopf schüttelte.
„Ich habe einen Flug gebucht, um nach Hause zu fliegen“, sagte Patricia. „Der Flieger geht heute Abend.“
„Bitte“, sagte Chantelle. Sie hockte sich neben Patricia auf die Couch und schlang ihre Arme um ihren Hals. „Ich möchte wirklich, dass du bleibst.“
Patricia war von der Zuneigung verblüfft. Sie tätschelte Chantelles Arm und sah Emily an, die in der Tür stand. Emily lächelte, berührt von der süßen Szene, von der Liebe, die Chantelle zu geben hatte, sogar denen, die sich so benahmen, als wäre ihnen nicht daran gelegen. Ihre Fähigkeit zu Vergebung und Freundlichkeit inspirierte Emily immer wieder.
„Nun, ich möchte nicht länger stören“, sagte Patricia, während sie mit Chantelle sprach und ihre Worte an Emily richtete.
„Du störst nicht“, sagte Emily. „Wir lieben es, dich hier zu haben. Und es ist nicht so, dass in der Pension im Moment viel los ist. Es ist die perfekte Zeit zu bleiben. Wenn du willst.“
„Bitte!“, bettelte Chantelle.
Schließlich lächelte Patricia. „Okay. Ich werde bleiben und dir helfen, einen Baum zu finden.“
Emily wusste, dass Patricia gerührt war, eingeladen zu werden und nach all ihrem schlechten Benehmen und den schrecklichen Kämpfen, die sie gehabt hatten, willkommen zu sein. Emily überkam ein überwältigendes Gefühl von Dankbarkeit und sie erkannte, dass sich das Leben immer zum Besseren wenden konnte. Es schien, dass man nie zu alt war, um zum ersten Mal Weihnachtsstimmung zu empfinden!
Chantelle sah überglücklich aus, als Emily und Daniel sie am nächsten Tag von der Schule abholten. Patricia saß geduldig auf dem Rücksitz. Sie sah in ihrem zweiteiligen Outfit und ihrer Blazer-Kombi sehr fehl am Platz aus, aber Chantelle schien das nicht zu kümmern. Sie sprang strahlend auf den Rücksitz, ihre Wangen waren rosig vom kalten Wetter.
„Weihnachtsbaum-Zeit!“, erklärte sie.
Daniel fuhr sie. Das Wetter war immer noch wenig winterlich, obwohl es viel kälter war als in den Tagen zuvor. Es gab aber keinen Frost, wie es sonst zu dieser Jahreszeit üblich war. Emily war dankbar, dass das Wetter so mild war. Das bedeutete, dass Evan, Clyde und Stu ihre Arbeit auf der Insel ungehindert fortsetzen konnten.
Die Weihnachtsbaum-Farm war ziemlich weit weg von Sunset Harbor. Sie hätten natürlich auch zum Depot in Ellsworth fahren können, aber das war für Chantelle keine magische Erfahrung! Also fuhren sie weiter zu der Farm in der Taunton Bay.
Als sie die kleine, holprige, mit Schlaglöchern übersäte Straße hinunterfuhren, die zu der Farm führte, konnte Emily sehen, dass sich die zusätzliche Fahrtstrecke lohnte. Die Weihnachtsbaum-Farm war riesig und dank der abschüssigen Hügel, die den ganzen Weg von der Straße bis zum See hinunterliefen, hatten sie einen herrlichen Blick auf alle Bäume.
„Es ist wie ein ganzer Weihnachtswald“, sagte Chantelle ehrfürchtig.
Daniel fuhr zu dem behelfsmäßigen Verkaufsplatz hinauf, der eigentlich nur ein Stück abgeflachter Boden war, bedeckt mit Heu, um zu verhindern, dass es zu matschig wurde. Es gab ein kleines holzgetäfeltes Haus auf einer Seite, mit einem handgemachten Schild, das verkündete: Weihnachtsbäume!
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