»Daisy! Daisy! Daisy!« brüllte Mrs. Wilson. »Ich sag’s, wenn es mir paßt! Daisy! Dai –«
Tom Buchanan machte eine kurze zielsichere Bewegung mit der flachen Hand und brach ihr das Nasenbein.
Dann waren auf einmal lauter blutige Handtücher im Badezimmer verstreut, keifende Weiberstimmen und – hoch über dem konfusen Lärm – ein anhaltendes ersticktes Schmerzgewimmer. Mr. McKee wachte aus seinem Schlummer auf und rannte entsetzt zur Tür. Jedoch auf halbem Wege machte er kehrt und starrte entgeistert auf die Szene – seine Frau und Catherine, schimpfend und tröstend, stolperten mit allem möglichen für Erste Hilfe in Händen zwischen den dichtgedrängten Möbeln umher, und auf der Couch die bejammernswerte Gestalt, die unter ständigen Blutströmen versuchte, eine Nummer von ›Town Tattle‹ zum Schutz der Szenen aus Versailles auf dem Polster auszubreiten. Dann wandte Mr. McKee den Rücken und schritt weiter zur Tür hinaus. Ich nahm meinen Hut vom Wandleuchter und folgte ihm.
»Kommen Sie mal zum Mittagessen«, schlug er vor, als wir im Aufzug hinuntersummten.
»Wohin?«
»Wo Sie wollen.«
»Nehmen Sie Ihre Hände vom Hebel«, sagte der Liftboy scharf.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Mr. McKee würdevoll, »ich wußte nicht, daß ich da angefaßt hatte.« »Abgemacht«, sagte ich, »wird mir ein Vergnügen sein.« … Ich stand an seinem Bett, und er saß aufrecht in den
Kissen, in Unterhosen und mit einer großen Photomappe in Händen.
»Schönheit und Bestie … Einsamkeit … Alter Karrengaul … Brook’n Bridge …«
Später fand ich mich halb schlafend auf dem kalten unteren Bahnsteig von Pennsylvania Station, mit stierem Blick auf die Morgenausgabe der ›Tribune‹, und wartete auf den Zug um vier Uhr früh.
Aus meines Nachbars Hause hörte man an Sommerabenden Musik bis tief in die Nacht. Im blauen Dämmer der Gärten war von Männern und Mädchen ein Kommen und Gehen, wie Mottengeschwirr, und Flüstern und Sekt unter Sternen. Auch nachmittags konnte ich seine Gäste schon beobachten, wie sie bei Flut vom Turm des großen Floßes ihre Kopfsprünge machten oder sich im heißen Sand seines Privatstrandes sonnten, während seine zwei Motorboote die Wasserfläche des Sunds durchschnitten und Wellenreiter hinter sich her durch schaumige Katarakte zogen. Am Wochenende wurde sein Rolls-Royce jedesmal zu einem wahren Omnibus, der von neun Uhr früh bis lange nach Mitternacht Gäste aus der Stadt und wieder dorthin beförderte, und sein Zubringerauto hetzte wie ein wildgewordenes gelbes Insekt zum Bahnhof, um keinen Zug zu versäumen. Am Montag hatte dann ein achtköpfiges Dienstpersonal, nebst Extragärtner, den ganzen Tag zu tun, um mit Besen und Schrubber, mit Hammer und Gartenschere die Verwüstungen der Nacht zu beseitigen.
Jeden Freitag wurden von einem New Yorker Fruchthaus fünf Kisten Apfelsinen und Zitronen angefahren; jeden Montag verließen dieselben Apfelsinen und Zitronen als eine Pyramide entleerter Schalenhälften das Haus durch die Hintertür. In der Küche gab es einen Apparat, der binnen einer halben Stunde aus zweihundert Apfelsinen den Saft preßte, wenn nur ein Butler zweihundertmal auf einen kleinen Knopf drückte.
Wenigstens einmal alle vierzehn Tage erschien eine Horde von Handwerkern mit einigen hundert Metern Leinwand und soviel bunten Glühbirnen, wie nötig waren, um Gatsbys großen Park in eine einzige Weihnachtsdekoration zu verwandeln. Auf improvisierten Büfetts glänzten die garnierten Horsd’œuvres, drängte sich pikanter gebackener Schinken vor Phantasiesalaten, und Ferkel und Puter waren in rotgoldene Pasteten verhext. In der großen Halle war eine Bar mit richtigem Messinggeländer aufgebaut – ein Arsenal von Gin, Cordial Medoc und Likören, die man nur noch vom Hörensagen kannte, so daß die meisten weiblichen Gäste zu jung waren, um die Marken auseinanderhalten zu können.
Gegen sieben ist dann auch die Musik da – keine kümmerliche Fünfmannkapelle, sondern ein ausgewachsenes Orchester mit Oboen, Posaunen und Saxophonen, Bratschen, Hörnern, Pikkoloflöten, Trommeln und Pauken. Mittlerweile sind die letzten Schwimmer vom Strand herein und oben beim Umkleiden. Auf dem Vorplatz parken, in fünf Reihen gestaffelt, die Wagen aus New York. Und schon wogt es in grellbunter Farbenskala durch die Hallen, Salons und Veranden. Man sieht neuartig gestutzte Bubiköpfe und spanische Schals, vor denen alle Träume Kastiliens verblassen. Die Bar ist in vollem Betrieb; Cocktailrunden schwärmen aus und bevölkern den Garten, bis auch dort die Luft von Plaudern und Lachen erfüllt ist. Es wird getuschelt; man stellt sich vor, um den anderen gleich wieder zu vergessen, und es kommt zu überschwenglichen Begrüßungen zwischen Frauen, die einander nicht einmal dem Namen nach kennen.
Alle Lampen strahlen heller, indes die Erdkugel sich allmählich von der Sonne weg auf die andere Seite rollt. Das Orchester spielt jetzt grelle Cocktailmusik, und das vielstimmige Opernensemble geht in eine höhere Tonlage über. Von Minute zu Minute löst sich das Lachen leichter, greift verschwenderisch um sich und ergießt sich über jedes witzige Wort. Rascher wechseln die Gruppen, schwellen an, wenn neue Gäste hinzukommen, lösen sich auf und bilden sich im gleichen Atem wieder neu. Schon gibt es Wanderlustige – unternehmende Mädchen, die mal hier, mal da unter den behäbigeren und stetigeren Gästen umherschweifen, für einen kurzen heiteren Moment zum Mittelpunkt einer Gruppe werden und dann, von ihrem Erfolg beschwingt und weitergetragen von der Flut und Ebbe der Gesichter, Stimmen und Farben, im ständig wechselnden Licht dahingleiten.
Plötzlich ergreift dann eins dieser opalisierenden, zigeunernden Wesen wie aus der Luft einen Cocktail, stürzt ihn hinunter, um sich Mut zu machen, und tanzt mit typischem Händewerfen à la San Franzisko allein hinaus in die künstliche Szenerie. Alles verstummt; der Kapellmeister wechselt ihr zuliebe den Rhythmus, und dann erhebt sich ein allgemeines Geraune, wenn das Gerücht, sie sei Gilda Greys zweite Besetzung von den Ziegfeld Follies, die Runde macht. Damit hat dann der Abend erst richtig begonnen.
An dem Abend, als ich Gatsbys Haus zum ersten Male betrat, war ich vermutlich einer der wenigen Gäste, die wirklich eingeladen waren. Man wurde nicht eingeladen – man ging einfach hin. Die Leute packten sich in Autos, die sie nach Long Island hinausfuhren, und irgendwie endete die Fahrt immer vor Gatsbys Tür. War man erst einmal da, so wurde man von jemand, der Gatsby kannte, eingeführt und benahm sich von da an nach den gleichen Verkehrsregeln, die auch für einen Vergnügungspark gelten. Manchmal kamen Leute und gingen wieder, ohne Gatsby auch nur gesehen zu haben; sie kamen der Gesellschaft wegen, und das mit jener naiven Selbstverständlichkeit, die allein zum Eintritt berechtigte.
Ich hingegen war in aller Form eingeladen. Früh an jenem Samstagmorgen kam ein Chauffeur in taubenblauer Livree über meinen Rasen geschritten und brachte eine überraschend förmliche Mitteilung von seinem Dienstherrn. Die Ehre sei ganz auf seiner Seite, schrieb Gatsby, wenn ich an diesem Abend an seiner ›kleinen Party‹ teilnehmen würde. Er habe mich mehrmals gesehen und mich längst anrufen wollen, sei aber durch eine besondere Verquickung der Umstände daran verhindert worden – gezeichnet Jay Gatsby, in schwungvoller Handschrift.
Kurz nach sieben – ich hatte mich in meinen weißen Flanellanzug geworfen – ging ich hinüber. Ich wanderte ziellos auf dem Rasen umher und bewegte mich einigermaßen unbehaglich in dem strudelnden Gewoge von Menschen, die ich nicht kannte; nur hier und da ein Gesicht, dem ich gelegentlich im Vorortzug begegnet war. Als erstes fiel mir auf, wie stark die Gesellschaft mit jungen Engländern durchsetzt war, die alle, tadellos angezogen und etwas hungrig dreinblickend, in gedämpftem, seriösem Ton auf gutfundierte und vermögende Amerikaner einredeten. Ich war sicher, daß sie irgend etwas an den Mann bringen wollten – Pfandbriefe, Versicherungspolicen oder Autos. Zumindest ließ ihnen die Erkenntnis, daß hier Geld zu machen war, keine Ruhe, und sie waren überzeugt, es bedürfe dazu nur weniger Worte an die richtige Adresse.
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