Die Fokuskonstituente kann nun gleich groß wie der Fokusexponent (FE) sein und damit – wie in (13) – nur aus einer Silbe bestehen. (cf. Musan 2010, 46) Der Akzent kann jedoch seine Funktion ausgehend vom Fokusexponenten auch über weitere Silben projizieren (14). Welche das sind, ist vor allem für den Hörer relevant. Mit einer adäquaten Platzierung des Fokusakzents ermöglicht der Sprecher dem Hörer folglich eine optimale Dekodierung seiner Äußerung.24 (cf. Musan 2010, 47)
(13) |
dt. |
Wen will Moritz treffen? – Moritz will [MAX] F=FEtreffen. |
(14) |
dt. |
Wen will Moritz treffen? – Moritz will [Maxi [MI] FElian] Ftreffen. (Musan 2010, 46–47) |
Bei einem engen Fokus umfasst der Fokus das akzentuierte Wort.25 (cf. Musan 2010, 49) Eine sehr weite Fokusprojektion ist im Deutschen etwa dann möglich, wenn der Fokusakzent auf einem internen Argument des Verbs liegt, vorausgesetzt, dieses Argument wurde – wie im folgenden Beispiel (15) – nicht aus seiner ursprünglichen Position wegbewegt. (cf. Musan 2010, 49–50) Der Fokusakzent auf Buch kann hier folglich je nach den Kontexten (16)–(20) mehr oder weniger (neue Information kodierende) Konstituenten als Fokus markieren. (cf. Höhle 1982, 91–92)
(15) |
dt. |
Karl hat dem Kind das BUCH geschenkt. |
(16) |
dt. |
Was hat Karl dem Kind geschenkt? |
(17) |
dt. |
Was hat Karl hinsichtlich des Kindes getan? |
(18) |
dt. |
Was hat Karl getan? |
(19) |
dt. |
Was hat das Kind erlebt? |
(20) |
dt. |
Was ist geschehen? (Höhle 1982, 91–92) |
Die Möglichkeit der Fokusprojektion impliziert jedoch nicht, dass die prosodische Realisierung des Satzes (15) auch tatsächlich in jedem der Kontexte (16)–(20) völlig identisch ist. So wird etwa ein eng fokalisiertes Objekt einer SVO-Konstruktion – vgl. Kontext (16) – im Englischen Bishop (2012, 240) zufolge mit einer größeren akustischen Prominenz im Vergleich zum pränuklearen Material realisiert als das bei einem all focus -Satz – vgl. Kontext (20) – der Fall ist. Vergleicht man hingegen all focus- Sätze wie jenen in (21) mit Äußerungen, in denen der Fokus die Verbalphrase umfasst (22), lässt sich nach Primus (1993, 888) im Englischen und im Deutschen kein relevanter Unterschied in der prosodischen Realisierung beobachten. Bei schneller Sprechweise und ohne Kontexteinbettung seien die Antworten der jeweiligen Beispielsätze dementsprechend ambig.
(21) |
dt. |
(Was gibt es Neues?) – [HANS hat MARIA ÄPFEL gegeben] F26 |
(22) |
dt. |
(Was hat Hans gemacht?) – Hans [hat MARIA ÄPFEL gegeben] F(Primus 1993, 888) |
Ob – und wenn ja, wie – man die genaue Position des (Fokus-)Akzents bei einem weiten Fokus vorhersagen kann, ist Gegenstand kontroverser Diskussionen. Manche Modelle nehmen grammatisch-syntaktische Faktoren als ausschlaggebend für die Akzentuierung an. So wurde für das Deutsche und Englische festgestellt, dass bei einem weitem Fokus wie in (23) der Akzent tendenziell eher auf ein Argument als auf ein prädikatives Element fällt. (cf. Baumann 2006a, 165)
(23) |
en. |
Why did you miss the party? – My MOther got sick.27 (Terken/Hirschberg 1994, 126) |
In pragmatischeren Zugängen wird auch die konkrete Position des Akzents auf informationsstrukturelle Faktoren zurückgeführt. Die Beobachtung, dass innerhalb einer Verbalphrase eher einer Nominalphrase oder einer Präpositionalphrase als dem Verb selbst die Prominenz zugewiesen wird, erklärt Lambrecht folgendermaßen: „The existence of this rule is based on the […] fact that the pragmatic status of a verb tends to be more neutral or at least less important than the status of an argument constituent.“ (Lambrecht 1986, 188)28 Ocampo (1995, 433) erklärt sich Lambrechts Regel mit der „subjective opinion of the speaker who decides, and indicates – by primary stress placement – what is the most important, crucial, piece of the information asserted“. Ähnlich argumentiert Krifka (2007). Er führt die Akzentuierung auch auf den Informationsstatus der Konstituenten zurück. Argumente werden deswegen akzentuiert, weil sie referenziell sind und dadurch für den Sprecher die Notwendigkeit größer wird auszudrücken, ob die Argumente gegeben sind oder nicht. (cf. Krifka 2007, 40)
Nach Bolinger (1972) hängt die Akzentuierung eines Elements mit dessen semantischem „Gewicht“ zusammen. Ihm zufolge werden in erster Linie jene Einheiten akzentuiert, die in einer Äußerung für den Hörer schwierig vorherzusehen sind. In Fügungen wie clothes to wear, books to write, work to do und topics to cover betrifft dies die Substantive (Kleidung wird für gewöhnlich getragen, Bücher geschrieben etc.). Ist das Verb nicht vorhersehbar, kann auch dieses den Akzent erhalten, wie der Vergleich der beiden Sequenzen (24)–(25) zeigt. (cf. Bolinger 1972, 634)
(24) |
en. |
I can’t finish in an hour – there are simply too many TOPICS to cover. |
(25) |
en. |
I can’t finish in an hour – there are simply too many topics to ELUCIDATE. (Bolinger 1972, 633–634) |
Um das relative semantische Gewicht von Konstituenten zu ermitteln, ist es folglich nötig, den Kontext von Äußerungen zu berücksichtigen. Dass semantisch reichere Formen wiederum mit längeren Lexemen korrelieren, ist für Bolinger zwar statistisch korrekt, für die Akzentuierung jedoch nicht entscheidend.29 (cf. Bolinger 1972, 634–635)
Durchaus legitim – und zwar sowohl in Sätzen mit engem als auch in Fällen von weitem Fokus – ist die Frage, ob Satzakzente tatsächlich Fokus oder nicht doch in erster Linie neue Information markieren. So ist die Konstituente, auf der der Satzakzent in Beispiel (26) liegt, nicht nur Fokus, sondern gleichzeitig neue Information. Satz (27) zeigt, dass eine Akzentuierung der gegebenen Information nicht zulässig ist. (cf. Musan 2010, 19)
(26) |
dt. |
(Wo bemerkte Solvejg die Spinne?) – Solvejg bemerkte die Spinne in einer dunklen SCHRANKecke. |
(27) |
dt. |
(Wo bemerkte Solvejg die Spinne?) – #Solvejg bemerkte die SPINne in einer dunklen Schrankecke. (Musan 2010, 19) |
Für eine gewichtige Rolle der Gegebenheit spricht die Tatsache, dass bei der Fokalisierung eines längeren Ausdrucks jene Konstituente, die eigentlich den Akzent hätte, deakzentuiert werden kann, wodurch einer anderen, nicht vorerwähnten Konstituente innerhalb des Fokus die Möglichkeit zukommt, den Hauptakzent zu erhalten. Dementsprechend wird in der Antwort in (28) nicht – wie bei einem Verbalphrasen-Fokus üblich – das Argument, sondern das Verb selbst akzentuiert.30 (cf. Krifka 2007, 39–40)
(28) |
en. |
I know that John stole a cookie. What did he do then? – He [reTURNED [the cookie] geg] F(Krifka 2007, 40) |
Auch das Beispiel (29) illustriert den Einfluss der Gegebenheit auf die Akzentuierung von Sätzen. Für Umbach (2009, 152) wird hier die additive Partikel noch nicht aufgrund ihres fokalen Charakters akzentuiert, sondern alleine deshalb, weil alle anderen Elemente gegeben sind.
(29) |
dt. |
(Otto hat nach dem Essen einen Schnaps getrunken, und du glaubst es nicht:) Otto hat NOCH einen Schnaps getrunken. (Umbach 2009, 152) |
Die folgende englische Sequenz (30) zeigt, dass die Korrelation zwischen Gegebenheit und Deakzentuierung offensichtlich so stark ist, dass ein gegebener Ausdruck selbst dann nicht akzentuiert werden kann, wenn er nicht koreferenziell mit der zuvor realisierten Konstituente ist. (cf. Baumann/Riester 2012, 133)
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