Ich dachte an den leisen Krach von vorhin. ›Ach, es wird ja nichts gewesen sein!‹ Mit dieser Selbsttröstung lief ich die Treppe hinab und durch die Hintertür ins Freie.
[24]So viel stand fest, der Kasper war doch nur eine richtige Holzpuppe; aber das Lisei – was das für eine allerliebste Sprache führte! und wie freundlich sie mich gleich zu den Puppen mit hinaufgenommen hatte! – Freilich, und sie hatte es ja auch selbst gesagt, dass sie es so heimlich vor ihrem Vater getan, das war nicht völlig in der Ordnung. Unlieb – zu meiner Schande muss ich’s gestehen – war diese Heimlichkeit mir grade nicht; im Gegenteil, die Sache bekam für mich dadurch noch einen würzigen Beigeschmack, und es muss ein recht selbstgefälliges Lächeln auf meinem Gesicht gestanden haben, als ich durch die Linden- und Kastanienbäume des Gartens wieder nach dem Bürgersteig hinabschlenderte.
Alleinzwischen solchen schmeichelnden Gedanken hörte ich von Zeit zu Zeit vor meinem inneren Ohre immer jenen leisen Krach im Körper der Puppe; was ich auch vornahm, den ganzen Tag über konnte ich diesen, jetzt aus meiner eigenen Seele herauftönenden unbequemen Laut nicht zum Schweigen bringen.
*
Es hatte sieben Uhr geschlagen; im Schützenhofe war heute, am Sonntagabend, alles besetzt; ich stand diesmal hinten, fünf Schuh hochüber dem Fußboden, auf dem Doppelschillingsplatze. Die Talglichter brannten in den Blechlampetten, der Stadtmusikus und seine Gesellen fiedelten; der Vorhang rollte in die Höhe.
Ein hochgewölbtes gotisches Zimmerzeigte sich. Vor einem aufgeschlagenen Foliantensaß im langen schwarzen Talareder Doktor Faust und klagte bitter, dass ihm all seine [25]Gelehrsamkeit so wenig einbringe; keinen heilen Rock habe er mehr am Leibe und vor Schulden wisse er sich nicht zu lassen; so wolle er denn jetzo mit der Hölle sich verbinden. – ›Wer ruft nach mir?‹, ertönte zu seiner Linken eine furchtbare Stimme von der Wölbung des Gemachesherab. – ›Faust, Faust, folge nicht!‹, kam eine andere feine Stimme von der Rechten. – Aber Faust verschwor sich den höllischen Gewalten. – ›Weh, weh deiner armen Seele!‹ Wie ein seufzender Windeshauch klang es von der Stimme des Engels; von der Linken schallte eine gellende Lache durchs Gemach. – – Da klopfte es an die Tür. ›Verzeihung, Eure Magnifizenz!‹ Fausts FamulusWagner war eingetreten. Er bat, ihm für die grobe Hausarbeit die Annahme eines Gehülfen zu gestatten, damit er sich besser aufs Studieren legenkönne. ›Es hat sich‹, sagte er, ›ein junger Mann bei mir gemeldet, welcher Kasperl heißt und gar fürtrefflicheQualitäten zu besitzen scheint.‹ – Faust nickte gnädig mit dem Kopfe und sagte: ›Sehr wohl, lieber Wagner, diese Bitte sei Euch gewährt.‹ Dann gingen beide miteinander fort. – –
›Pardauz!‹, rief es; und da war er. Mit einem Satz kam er auf die Bühne gesprungen, dass ihm das Felleisenauf dem Buckel hüpfte.
– – ›Gott sei gelobt!‹, dachte ich; ›er ist noch ganz gesund; er springt noch ebenso, wie vorigen Sonntag in der Burg der schönen Genovefa!‹ Und seltsam, so sehr ich ihn am Vormittage in meinen Gedanken nur für eine schmähliche Holzpuppe erklärt hatte, – mit seinem ersten Worte war der ganze Zauber wieder da.
Emsig spazierte er im Zimmer auf und ab. ›Wenn mich jetzt mein Vater-Papa sehen tät‹, rief er, ›der würd sich was [26]Rechts freuen! Immer pflegt’ er zu sagen: Kasperl, mach, dass du dein Sach in Schwung bringst!– O jetzundhab ich’s in Schwung; denn ich kann mein Sach haushoch werfen!‹ – Damit machte er Miene, sein Felleisen in die Höhe zu schleudern; und es flog auch wirklich, da es am Draht gezogen wurde, bis an die Deckenwölbung hinauf; aber – Kasperles Arme waren an seinem Leibe kleben geblieben; es ruckte und ruckte, aber sie kamen um keine Handbreit in die Höhe.
Kasperl sprach und tat nichts weiter. – Hinter der Bühne entstand eine Unruhe, man hörte leise aber heftig sprechen, der Fortgang des Stückes war augenscheinlich unterbrochen.
Mir stand das Herz still; da hatten wir die Bescherung! Ich wäre gern fortgelaufen, aber ich schämte mich. Und wenn gar dem Lisei meinetwegen etwas geschähe!
Da begann Kasperl auf der Bühne plötzlich ein klägliches Geheule, wobei ihm Kopf und Arme schlaff herunterhingen, und der Famulus Wagner erschien wieder und fragte ihn, warum er denn so lamentiere.
›Ach, mei Zahnerl, mei Zahnerl!‹, schrie Kasperl.
›Guter Freund‹, sagte Wagner, ›so lass’ Er sich einmal in das Maul sehen!‹ – Als er ihn hierauf bei der großen Nase packte und ihm zwischen die Kinnladen hineinschaute, trat auch der Doktor Faust wieder in das Zimmer. – ›Verzeihen Eure Magnifizenz‹, sagte Wagner, ›ich werde diesen jungen Mann in meinem Dienst nicht gebrauchen können; er muss sofort in das Lazarettgeschafft werden!‹
›Is das a Wirtshaus?‹, fragte Kasperle.
›Nein, guter Freund‹, erwiderte Wagner, ›das ist ein Schlachthaus. Man wird Ihm dort einen Weisheitszahn aus [27]der Haut schneiden, und dann wird Er seiner Schmerzen ledig sein.‹
›Ach, du liebs Herrgottl‹, jammerte Kasper, ›muss mi arms Viecherlso ein Unglück treffen! Ein Weisheitszahnerl, sagt Ihr, Herr Famulus? Das hat noch keiner in der Famili gehabt! Da geht’s wohl auch mit meiner Kasperlschaft zu End?‹
›Allerdings, mein Freund‹, sagte Wagner; ›eines Dieners mit Weisheitszähnen bin ich bass entraten; die Dinger sind nur für uns gelehrte Leute. Aber Er hat ja noch einen Bruderssohn, der sich auch bei mir zum Dienst gemeldet hat. Vielleicht‹, und er wandte sich gegen den Doktor Faust, ›erlauben Eure Magnifizenz!‹
Der Doktor Faust machte eine würdige Drehung mit dem Kopfe.
›Tut, was Euch beliebt, mein lieber Wagner‹, sagte er; ›aber stört mich nicht weiter mit Euren Lappalienin meinem Studium der Magie!‹
– – › Heere, mei Gutester‹, sagte ein Schneidergesell, der vor mir auf der Brüstung lehnte, zu seinem Nachbar, ›das geheertja nicht zum Stück; ich kenn’s, ich hab es vor ä Weilchen erst in Seifersdorf gesehn.‹ – Der andere aber sagte nur: ›Halt’s Maul, Leipziger!‹ und gab ihm einen Rippenstoß.
– – Auf der Bühne war indessen Kasperle, der Zweite, aufgetreten. Er hatte eine unverkennbare Ähnlichkeit mit seinem kranken Onkel, auch sprach er ganz genau wie dieser; nur fehlte ihm der bewegliche Daumen, und in seiner großen Nase schien er kein Gelenk zu haben.
Mir war ein Stein vom Herzen gefallen, als das Stück nun ruhig weiterspielte, und bald hatte ich alles um mich [28]her vergessen. Der teuflische Mephistopheleserschien in seinem feuerfarbenen Mantel, das Hörnchen vor der Stirn, und Faust unterzeichnete mit seinem Blute den höllischen Vertrag:
›Vierundzwanzig Jahre sollst du mir dienen; dann will ich dein sein mit Leib und Seele.‹
Hierauf fuhren beide in des Teufels Zaubermantel durch die Luft davon. Für Kasperle kam eine ungeheure Kröte mit Fledermausflügeln aus der Luft herab. › Auf dem höllischen Sperling soll ich nach Parma reiten?‹, rief er, und als das Ding wackelnd mit dem Kopfe nickte, stieg er auf und flog den beiden nach.
– – Ich hatte mich ganz hinten an die Wand gestellt, wo ich besser über alle die Köpfe vor mir hinwegsehen konnte. Und jetzt rollte der Vorhang zum letzten Aufzug in die Höhe.
Endlich ist die Frist verstrichen. Faust und Kasper sind beide wieder in ihrer Vaterstadt. Kasper ist Nachtwächter geworden; er geht durch die dunklen Straßen und ruft die Stunden ab:
›Hört ihr Herrn und lasst euch sagen,
Meine Frau hat mich geschlagen;
Hüt’t euch vor dem Weiberrock!
Zwölf ist der Klock! Zwölf ist der Klock!‹
Von fern hört man eine Glocke Mitternacht schlagen. Da wankt Faust auf die Bühne; er versucht zu beten; aber nur Heulen und Zähneklappen tönt aus seinem Halse. Von oben ruft eine Donnerstimme:
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