Friederike Schmöe
O du fröhliche, o du grausige
Weihnachtskrimi
Wenn dein Leben implodiert Bella pflegt ihren dementen Vater, schreibt für die Zeitung, versorgt Ehemann und Tochter, engagiert sich für den dörflichen Weihnachtsmarkt, und nun kriecht auch noch ihr liebeskranker Bruder bei ihr unter. Wie gern würde sie aus der Familienarbeit aussteigen und nur noch schreiben! Als sie eines Abends auf der Landstraße eine sterbende Frau findet, scheint der Moment gekommen: Sie macht die Fahrerflucht zu »ihrem Fall«. Doch im Dorf stößt ihr Interesse an dem Unfall auf Unverständnis. Plötzlich erweisen sich die sonst freundlichen Nachbarn und angeblichen Freunde als Gegner. Aber Bella lässt nicht locker. Jemand in ihrer Nachbarschaft hat Dreck am Stecken, und sie will herausfinden, wer für den Tod der jungen Frau verantwortlich ist. Immer weiter dringt sie in die Beziehungen hinter den malerischen Fassaden vor, bis das Dorf sich gegen sie wendet. Um sich zu verteidigen, muss sie die Fäden dieses Falles entwirren. Doch wie es aussieht, stürzt sie damit ihre Familie ins Unglück …
Geboren und aufgewachsen in Coburg, wurde Friederike Schmöe früh zur Büchernärrin – eine Leidenschaft, der die Universitätsdozentin heute beruflich nachgeht. In ihrer Schreibwerkstatt in der Weltkulturerbestadt Bamberg verfasst sie seit 2000 Kriminalromane und Kurzgeschichten, gibt Kreativitätskurse für Kinder und Erwachsene und veranstaltet Literaturevents, auf denen sie in Begleitung von Musikern aus ihren Werken liest. Ihr literarisches Universum umfasst u. a. die Krimireihen um die Bamberger Privatdetektivin Katinka Palfy und die Münchner Ghostwriterin Kea Laverde.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2020
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © united lenses / photocase.de
ISBN 978-3-8392-6660-1
Manchmal muss man in einem Buch allerlei erfinden: zum Beispiel gänzlich neue Tageszeitungen, Redaktionen und ihre Leiter. Sie sind einfach Buchfiguren. Darauf basiert das Prinzip »Roman«. Gleiches gilt für Impfgegner und -befürworter, Bioladenkunden und Wirte. Sie sind nur in unseren Köpfen existent. Ebenso wie Dörfer. Und Siedlungen. Das liebliche Maintal und seine Umgebung jedoch habe ich so gezeigt, wie es mir schon oft begegnet ist – gerade in einem trüben Winter.
Fröhliche Weihnachten.
Schneegriesel trieb über den Parkplatz. Bella lehnte an ihrem Mini und rauchte. Im Bioladen gingen die Lichter aus. Nur noch ihr Wagen stand da und ein E-Auto mit der Aufschrift: »Mittel fürs Leben«. Meine Güte, dachte Bella. Tief inhalierte sie den Rauch. Was für eine Wohltat nach Stunden in dem stickigen Raum voller Knalltüten. Sie war bis zuletzt geblieben, um noch kurz mit dem Arzt zu sprechen. Dr. Wolfram Brandenburg, Impfgegner, kein schlechter Rhetoriker. Ihr sollte es recht sein. Sie war gegen alles geimpft worden, ihre Generation hatte sogar noch eine ordentliche Portion Pockenvakzin verabreicht bekommen. Sie war 50 geworden, ihr Geburtstag vor ein paar Wochen hatte es ihr vor Augen geführt, es hatte geklappt, sie war einfach nicht totzukriegen, Zigaretten und Impfungen hin oder her. Jedenfalls nicht so leicht. Sie steckte Nebenwirkungen genauso weg wie Krankheiten. Gleich im Rachenraum abtöten, die Bakterien, dachte sie, nahm einen letzten Zug. Warf die Kippe weg. Die Glut erlosch zischend in einer Schneepfütze.
Wolters schickte natürlich immer sie zu diesen Terminen. Impfgegner und -befürworter zusammen in einem Bioladen, zwischen Regalen voller schlapper Lauchstangen, Flaschen mit Schwarzkümmelöl und veganen Weihnachtsplätzchen. Was sollte dabei wohl rauskommen? Angekündigt war das Ganze als Infoveranstaltung. Beigewohnt hatte sie einer verbalen Keilerei. Die Impfbefürworter ließen es sich nicht nehmen, eine eigene Abordnung zu schicken. Hier galt es einmal mehr, das Vaterland zu verteidigen. Bella stieg in den Wagen. In ihr machte sich das deutliche Gefühl bemerkbar, dass ihre verbleibende Lebensspanne zu kurz geworden war für Besprechungen, in denen aufgeblasene Egos die Messer wetzten.
Das Licht im Laden ging aus. Wendy Gleichsam, Bioladeneigentümerin, schlüpfte durch die Tür, sperrte sorgfältig ab und hastete durch den Griesel zu ihrem Elektroauto. Bella stöhnte leise, während sie über die beschlagenen Scheiben wischte. Sie kaufte hier ihren Kaffee und wollte das gerne weiterhin tun. Also besser nicht zu bissig über den heutigen Abend schreiben. Ihr Bioeinkaufserlebnis war sowieso kompliziert. Der Bioladen lag in der Neubausiedlung. Die Bewohner aus dem Dorf ließen sich hier nicht blicken und gaben schon gar kein Geld aus, um diesen »verteufelten Kram« zu unterstützen. Bioladen: Das war eine Sache für die Latte-Macchiato-Bewohner der Siedlung, die Neuen, die Zugezogenen, für die, die im Homeoffice arbeiteten. Patchworkfamilien mit der neuesten IT-Technik im Haus. Mit denen traf man nur in der Dorfschule zusammen. Allein das führte schon zu Fehden.
Ich habe keinen Nerv mehr für diesen Quatsch.
Siedlung – neu; Dorf – alt. So lautete das Naturgesetz der Gemeinde Silldorf zwischen Main und Autobahn, in nicht allzu ferner Nachbarschaft der Weltkulturerbestadt Bamberg. Bella und Diethard hatten, als ihre Tochter ein Baby war, hier gebaut. Das war fast 25 Jahre her. Sie waren ins Dorf hineingewachsen, quasi eine organische Bepflanzung desselben. Damals hatte es die Siedlung noch gar nicht gegeben. Mittlerweile herrschte eine Art subtiler Krieg zwischen Siedlung und Dorf, und die Auswirkungen sickerten bereits in die verschworene Dorfgemeinschaft hinein. Nach Jahren des Lebens und Lebenlassens wuchs Unmut und entschieden triviale Fragen, wer noch mit wem grillte und mit wem im »Dorfkrug« anstieß.
Seufzend startete Bella den Motor. Im Dorf würden sie jedes Wort, das sie in der Tageszeitung schrieb, daraufhin abtesten, ob sie vielleicht zu wohlmeinend mit dem Siedlungszeug umging: dem Bioladen, dem Impfgegner. Dr. Brandenburg hatte seine Praxis natürlich in der Siedlung. Seine Patienten kamen nicht aus dem Dorf. Soweit man wusste.
Sie fuhr langsam los. Die Straßen hier waren breiter und heller beleuchtet als im alten Dorf. Man leistete sich modernere Lampen, ganz klar. Hastig arbeiteten die Scheibenwischer gegen die wässrigen Flocken an. In den Fenstern blinkte Weihnachtsschmuck. Manche stellten auch beleuchtete Rehe in ihre Vorgärten. Bella fragte sich, was Weihnachten mit beleuchteten Rehen zu tun hatte.
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