Robert Krieg - Blütenträume

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Mit Fünfzig beschließt Dieter Schulz den größten Coup seines Lebens. Um die Herstellung von Falschgeld im Wert von einer Million Mark finanzieren zu können überfällt er 1990 eine Bank im Osten Deutschlands. Kurz bevor die ersten gemeinsamen Wahlen in Ost und West einen endgültigen Schlussstrich unter die Geschichte der DDR ziehen. Mit den Blüten finanziert er Drogen, die er für den doppelten Wert wiederverkaufen will. Doch dazu kommt es nicht mehr. Er wird gefasst und sitzt eine zehnjährige Haftstrafe ab. Im Knast schreibt er seine Erinnerungen auf. Als Flüchtlingskind aus Königsberg – heute Kaliningrad – nach Leipzig verschlagen wird er 1953 während einer Demonstration verhaftet. Es folgen zahlreiche Aufenthalte in Kinder- und Erziehungsheimen, aus denen er immer wieder ausbricht. Gemeinsam mit seiner Mutter gelingt ihm die Flucht nach Westdeutschland. Doch alle Versuche, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen, scheitern. Sein rebellischer Geist passt in kein System und fordert im Osten wie im Westen Deutschlands die ganze Härte einer autoritär gesonnenen Gesellschaft heraus. Dieter Schulz wünschte sich, dass seine Geschichte publik wird. Daraus entstanden ist ein Tatsachenroman.

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© 2020 – e-book-Ausgabe

RHEIN-MOSEL-VERLAG

Zell/Mosel

Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel

Tel 06542/5151 Fax 06542/61158

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-89801-903-3

Ausstattung: Stefanie Thur

Titelfoto: Stefanie Thur

Korrektorat: Melanie Oster-Daum

Robert Krieg

Blütenträume

Eine deutsch-deutsche Geschichte

Aufgeschrieben im Knast –

frei nacherzählt von Robert Krieg

Rhein-Mosel-Verlag

Vorwort

Mit Fünfzig beschloss Dieter Schulz den größten Coup seines Lebens. Im letzten Jahr der DDR überfiel er eine Bank in Ostdeutschland, um damit eine hochmoderne Kopiermaschine zu finanzieren. Die brauchte er, um die gerade neu auf den Markt gekommenen 200-DM-Scheine zu fälschen. Mit einer Million in Blüten kaufte er Drogen in Holland, die er für den doppelten Wert in einer westdeutschen Großstadt wiederverkaufen wollte. Doch dazu kam es nicht mehr. Er wurde verhaftet und zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Richter bot ihm eine geringere Haftstrafe an, wenn er im Gegenzug die Namen seiner Komplizen verraten würde. Schulz schwieg und saß die gesamte Strafe ab.

Viele Jahre später fuhr ich nach Kaliningrad, um dort Dieter Schulz in seiner Geburtsstadt bei seiner russischen Gastfamilie zu besuchen. Ich kannte seine Lebensgeschichte. Ich hatte die eng bedruckten Schreibmaschinen-Seiten seiner Biografie gelesen, die er während seines langen Gefängnisaufenthalts aufgeschrieben hatte. Sein starker emotionaler Bezug zu den Nachfahren der russischen Besatzer, die er als Kind trotz Vertreibung, Hunger und Flucht eher in beschützender als bedrohlicher Rolle wahrgenommen hatte, war offensichtlich. Nachdem alle Anläufe, eine Familie zu gründen – und nichts sehnlicher wünschte sich Schulz – letztendlich gescheitert waren, einen Trümmerhaufen an Beziehungen hinterlassen hatten und Söhne, die nichts mehr von ihm wissen wollten, hoffte Schulz im Rentenalter doch noch eine neue Familie zu finden, einen sicheren emotionalen Hort. Und nichts war für ihn logischer, als ihn dort zu suchen, wo er einst im Schutz der Mutter seine ersten Lebensjahre verbracht hatte.

Seine russische Gastfamilie hatte ihn in ihr Herz geschlossen. Auf beiden Seiten wogten Emotionen hoch. Er wollte als Deutscher etwas wiedergutmachen, und die Familie wollte ihm Gutes tun. Es hätte für Schulz ein beschaulicher Lebensabend in Kaliningrad werden können. Doch sein langes Vorstrafenregister versagte ihm die Möglichkeit eines dauerhaften Visums. Seine guten russischen Sprachkenntnisse, die er sich als Kind erworben hatte, waren trotz der Jahrzehnte erstaunlich lebendig geblieben. Er erzählte frei über seine Vergangenheit und ließ auch nicht den Bankraub aus. Für seine neuen russischen Freunde war er ein Mensch, der eine neue Heimat in der alten suchte. Sie bestätigten ihm auf ihre Weise, dass er bei ihnen endlich nach Hause gekommen war. Bis zu seinem Tod 2019 bewahrten sie den Kontakt und besuchten ihn einige Male in seiner kleinen Wohnung an der deutsch-polnischen Grenze, nicht unweit der berühmten Seelower Höhen, deren Eroberung die rote Armee 1945 mit schweren Verlusten bezahlen musste.

Schulz war ein neugieriges und rebellisches Kind. Die Vertreibung 1948 aus Kaliningrad und die lange Irrfahrt bis Leipzig erlebte er wie eine Abenteuergeschichte. Kosaken machten den Jungen zu ihrem Maskottchen, das sie beschützten. Aus purer Wissbegierde schloss er sich 1953 den Demonstranten in Leipzig an und wurde festgenommen. Das trug ihm eine lange Heimkarriere in der DDR ein. Als seine Situation immer auswegloser wurde, flüchtete er als Jugendlicher mit seiner Mutter in die BRD. Doch das Schicksal war ihm auch im Westen nicht wohl gesonnen. Alle Anläufe, sich ein bürgerliches Leben aufzubauen, scheiterten immer wieder. Schulz wollte und konnte sich keinen Normen unterwerfen, die er nicht für sich akzeptiert hatte. Gegen alles, was er als Unrecht am eigenen Leib tatsächlich erfuhr oder auch nur zu erfahren glaubte, wehrte er sich vehement. Seine Widerständigkeit passte in kein System. Sowohl im Osten wie im Westen Deutschlands forderte er so die ganze Härte einer autoritär gesonnenen Gesellschaft heraus.

Als ich Schulz in Kaliningrad traf, fiel es mir schwer zu glauben, dass alles, was er im Gefängnis aufgeschrieben hatte, in dieses eine Leben hineingepasst hatte. Vor mir saß ein vorzeitig gealterter, kranker Mann, dessen kaum kontrollierte Emotionalität ihn als passives Opfer der Geschichte erscheinen ließ. Dabei waren sein Widerstand gegen fremde Autoritäten, sein unbedingter Wunsch nach Freiheit, seine Fantasie, Intelligenz und Witz – Eigenschaften, die in seinen Aufzeichnungen aufscheinen – fraglos authentisch und in jeder Zeile spürbar. In einem Artikel, den er im Zuchthaus für eine Gefangenenzeitschrift verfasst hatte, warnte er seine Mitgefangenen vor den Knastpsychologen, deren Gutachten über ihr Wohl und Wehe entschieden: »Der Psychologe wähnt sich, auf Grund seines Studienvorteils, dir gegenüber schon als Respektsperson. Und wehe, du trittst ihm nicht mit dem nötigen Untertanengehabe entgegen, schon hast du die Reizdosis für eine exakte Formulierung deines wahren Ich’s überschritten. Du bist nach deren Verständnis nicht mehr anpassungsfähig … (man) hält dir vor, du seist unbeherrscht, ohne zu registrieren, dass deren Verlangen dich demütig zu sehen, gerade diese Aggressivität auslöst.«

Unbeirrbare Auflehnung gegen falsche Autoritäten und eine aus Devianz geschöpfte kriminelle Energie bedingten und paarten sich in seiner Psyche. Sie kulminierten 1990, fast zeitgleich verschwand die DDR. Wie andere Raubritter zog es Schulz in die untergehende DDR, um sich schnell und mühelos zu bereichern. Mit dem fundamentalen Unterschied, dass er eine der ersten provisorischen Filialen der Dresdner Bank, mithin einen der größten Raubritter, überfiel.

Dieter Schulz wünschte sich, dass seine Geschichte publik wird. Wir haben häufig über die unterschiedlichen Entwicklungen, die die beiden Deutschlands genommen haben, gesprochen und versucht herauszufinden, wie sich das in seiner persönlichen Biografie widerspiegelte. Das problematische Verhältnis, das Schulz zeitlebens zu Frauen hatte, sein Hang, bei ihnen die Schuld für sein Scheitern zu suchen, offenbart sich schonungslos. Herausgekommen ist eine biografische Erzählung, die zwischen Realität und Fiktion changiert. Wobei nicht eindeutig zu erkennen ist, wo die Realität endet und die literarische Phantasie beginnt. In der Literatur der Neuen Sachlichkeit der Zwanziger Jahre hieß das Stichwort »Tatsachenroman«. Ich nenne es eine Nacherzählung.

Erster Teil

1

1990: Bankraub in Eisenhüttenstadt

Schulz zog nervös an der bis auf einen winzigen Rest aufgerauchten Zigarette und schnippte den Stummel aus dem halb geöffneten Autofenster. Er starrte nach oben auf das Flachdach des dreistöckigen Plattenbaus. Einen Moment lang kreuzte sich sein Blick mit dem des Gerüstbauers, der gerade eine schwere Bohle nach oben zog und sich dabei über den Dachvorsprung beugte.

»Verdammt«, durchfuhr es Schulz«, der könnte mich wiedererkennen. Mein Auto, das merkt der sich doch bestimmt!« Schulz drehte den Rückspiegel so, dass er die Toreinfahrt hinter ihm genau im Blick hatte.

»Wo bleiben die Scheißkerle«, fluchte er innerlich und verbot sich, eine weitere Zigarette aus dem Päckchen zu fingern.

Eine Gruppe Kinder zog Hand in Hand durch die stille Nebenstraße. Die Kindergärtnerin in ihrem Schlepptau blickte neugierig in den metallblauen Passat. Der Mann auf dem Fahrersitz war um die Fünfzig und sah aus wie der Typ, der ihr kürzlich eine Lebensversicherung angedreht hatte.

»Stehenbleiben!«, rief sie, »Jetzt überqueren wir die Straße. Alle warten! Erst nach links gucken, dann nach rechts und dann erst rüber laufen.«

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