Edi Graf
Leopardenjagd
Linda Roloffs vierter Fall
Von Rache getrieben Er tötet seine Opfer wie ein Leopard. Die Leichen versteckt er auf Bäumen, seine todbringende Spur zieht sich vom Bodensee über den Schönbuch bis nach Afrika. Die Polizei jagt einen Mörder, der den Namen »Chui« – Leopard – trägt, und nur ein Ziel zu kennen scheint: Rache. Auf der Liste seiner Opfer taucht auch der Name der Tübinger Journalistin Linda Roloff auf. Sie ahnt, dass nur einer sie retten kann: der kenianische Safariführer Alan Scott, der weiß, wie »Chui« denkt. Doch Scott ist seit Wochen in Afrika verschwunden ...
Edi Graf, Jahrgang 1962, studierte Literaturwissenschaft in Tübingen und arbeitet als Moderator und Redakteur bei einem Sender der ARD. Zuhause ist er in Rottenburg am Neckar. Seit über 30 Jahren bereist der Autor den afrikanischen Kontinent und lässt neben seinen Protagonisten, der Journalistin Linda Roloff und ihrer Fernliebschaft, dem Safariführer Alan Scott, die gemeinsam zwischen Schwarzwald, Neckar und Afrika ermitteln, auch Tierwelt und Natur tragende Rollen zukommen. Er greift aktuelle und bewegende Themen auf und liefert dazu detailliert recherchierte Hintergründe, die er geschickt in den Plot integriert. Durch authentisch beschriebene reale Handlungsorte haucht er seinen Krimis Echtheit und Leben ein.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von Schwarzvogel, Photocase.de
ISBN 978-3-8392-3048-0
Für unsere Tochter Rahel
– afrikanische Sonne in unserem Leben –
Rache trägt keine Frucht!
Sich selbst ist sie die fürchterlichste Nahrung,
ihr Genuss ist Mord, und ihre Sättigung das Grausen.
Friedrich Schiller – Wilhelm Tell
Montag, 21. November 1994, Kenya, Südküste
Der weiße Mann sah regungslos zu, wie die Leiche der Frau von der unruhigen Brandung am Riff verschlungen wurde. Der Ozean würde den Rest für ihn erledigen. Er konnte es sich nicht leisten, dass man ihre Leiche fand, zu viel stand auf dem Spiel. Spiel ist der passende Ausdruck, dachte er. Sie hatte mit ihm gespielt, und sie hatte verloren, weil sie das Spiel zum falschen Zeitpunkt beenden wollte.
Ihre letzten Minuten waren grausam gewesen, doch daran mochte er jetzt nicht denken. Das brodelnde Meer hatte seine milchige Gischt wie ein wogendes Leichentuch über ihren Körper gebreitet. Dort, wo noch vor wenigen Sekunden ihr gelbroter Sari aus dem Wasser ragte und ihm ein toter brauner Arm, von den Wogen emporgetrieben, zuwinkte, wie einst Käptn Ahab seiner Mannschaft, als er, an den Weißen Wal gefesselt, in den Fluten versank, war jetzt nichts zu sehen als das ewige Kommen und Gehen der grauen Unendlichkeit des Ozeans.
Der Regenschauer hatte die Touristen kurz vor Sonnenuntergang in die Hotels zurückgetrieben, und er war allein am Strand gewesen, als er das weiße Laken mit der Leiche in dem Auslegerboot verstaut und sich auf den Weg zur Riffkante gemacht hatte. Der Strand war menschenleer gewesen, das Meer eine grau in grau wabernde Wassermasse. Ein düsterer Regenvorhang, aus Süden kommend, entzog das kleine Boot bald dem neugierigen Blick des dunkelhäutigen Jungen, der dem weißen Mann unbeobachtet an den Strand gefolgt war und sich hinter dem Stamm einer Palme versteckt hielt.
Der weiße Mann blieb mit dem Ausleger am Riff, bis er auf die Haut durchnässt war und sicher sein konnte, dass die Leiche nicht wieder auftauchen würde. Hier, 300 Meter vor der Küste, würde niemand nach der Frau suchen. Die zurückgehende Flut würde sie aufs offene Meer hinaustreiben, wo die Räuber des Indischen Ozeans ihr Festmahl abhielten. Bewusst hatte er darauf verzichtet, sie mit einigen Kilo Blei aus dem Tauchcenter zu beschweren; sollte sie wider Erwarten an den Strand gespült werden, würde man sie für eine Ertrunkene halten und kein Mensch würde auf den Gedanken kommen, sie zu obduzieren, niemand würde ihren Körper nach Spuren absuchen, nach dem Sperma, das er in ihr hinterlassen hatte. Die blauen Male an ihrem Körper und die klaffende Wunde an ihrem Kopf, die der letzte, tödliche Hieb mit der Panga verursacht hatte, würde man als Verletzungen aus dem Meer ansehen. Vielleicht war sie im Kampf der Ertrinkenden gegen das Riff geschleudert worden, vielleicht war sie aus einem Boot gefallen und in die Schraube geraten, vielleicht, vielleicht, vielleicht …
Viel wahrscheinlicher war, dass man sie nie finden würde, ja, nicht einmal vermissen, zumindest nicht hier an der Küste, denn ihre Familie lebte weit entfernt im zentralen Hochland von Kenya. Er konnte nicht ahnen, dass es den kleinen Jungen gab, denn sie hatte ihren Sohn vor ihm geheim gehalten, nie über ihn gesprochen, nie von ihm erzählt.
Der Knabe hatte in der kleinen Hütte in Ukunda gewohnt, mit den anderen Kindern gespielt, sie hatte ihn nie mit ins Hotel gebracht. Nur dieses eine Mal war er ihr gefolgt. Heimlich. Geräuschlos wie Chui, der Leopard, auf seinem Beutezug. Wie es ihm die Älteren gezeigt hatten. Am Abend ihres Todes.
Er hatte ihre Spuren im Sand erkannt, war bis zu dem Zaun geschlichen, der das Hotelgelände umgab, und dort, wo er die schwarzweißen Mantelaffen über den Ast eines Flammenbaums aus dem Hotelgarten klettern sah, war er hineingelangt. Den Baum hinauf, auf dem Ast über den Zaun und hinunter ins Gras. Wie die Affen. Wie Chui.
Es hatte lange gedauert, bis er seine Mutter fand. Die Hütte stand neben einem kleinen Haus unter einer Akazie, abseits, von den übrigen Gebäuden der Hotelanlage durch eine hohe Hecke getrennt. Eine Kette versperrte den schmalen Zugang. Zuerst hatte er ihre Stimme erkannt, dann die Stimme des Mannes gehört. Sie hatten in einer Sprache gesprochen, die er nicht verstand. Er war unter der Kette hindurchgekrochen und hatte durch das glaslose Fenster in der Lehmwand gespäht. Eine Pritsche, ein paar Möbel, ein Durcheinander von leeren Kanistern, verbeulten Blechfässern, Holzstangen, Müll.
Er hatte gesehen, wie der Weiße seine Mutter an den Haaren zerrte und zu Boden warf. Hart traf die Faust ihr Gesicht und brach ihr das Nasenbein. Ihr gelbroter Sari war bis zu den Hüften hochgeschoben, blutend und wimmernd lag sie im Dreck, ihre schlanken Finger krallten sich in den klammen Lehmboden der Hütte, doch die kühle Erde vermochte nicht, das Brennen auf ihrer nackten Haut zu kühlen. Die Worte des Weißen klangen hart, aus ihrem Mund kam nur ein leises Wimmern. Er schlug zu, immer wieder, trat sie mit den Füßen wie im Rausch, schlug noch einmal zu, obwohl sich die Frau nicht mehr bewegte. Dann nahm er die Panga von der Wand und spaltete ihr den Schädel. Er hielt erst inne, als er das Geräusch an der Fensteröffnung vernahm.
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